Die Arbeiten an der Baustelle für den neuen Tiefbahnhof werden deutlich länger dauern als von der Bahn angegeben. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG befasst sich an diesem Freitag mit der erneuten Kostenexplosion von Stuttgart 21. Das Inbetriebnahmedatum wird auf 2024 oder 2025 gesetzt. Der Ausstieg soll keine Option sein.

Stuttgart - Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG entscheidet an diesem Freitag von 10 Uhr an im Berliner Bahntower über die weitere Finanzierung von Stuttgart 21. Die neue Infrastruktur mit dem Tiefbahnhof in Stuttgart und der Strecke bis Wendlingen wird von externen Gutachtern mit 7,9 statt bisher 6,5 Milliarden Euro Baukosten angesetzt, sie soll nicht Ende 2021, sondern Ende 2024 fertig werden. In den 7,9 Milliarden ist ein Risikopuffer von rund 300 Millionen Euro enthalten.

Der Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla hat die 18 Kontrolleure und den das Gremium leitenden Utz-Hellmuth Felcht allerdings in einer Vorbesprechung vor die Wahl gestellt, über noch größerer Zahlen zu befinden. „Es ist ein Gedankenspiel des Vorstandes, statt des Werts aus den Gutachten 8,2 Milliarden Euro und das Jahr 2025 anzusetzen“, sagt ein Gremiumsmitglied. Pofalla plädiere damit für „eine größere Sicherheit bei der Zielerreichung“ – er wolle Stuttgart 21 in dieser Form offenbar nicht mehr auf den Tisch bekommen.

Pofalla will mehr Puffer

Die 8,2 Milliarden Euro ergäben sich, wenn für den Risikopuffer weitere 200 Millionen Euro veranschlagt werden und außerdem ein Teil der in den Gutachten mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von unter 50 Prozent angesetzten Risiken in die Kategorie über 50 Prozent wandern; zudem wolle man 60 Millionen Euro für die weitere Verzögerung bis 2025 addieren. Der 31. Dezember 2025 sei „der letzte denkbare Termin für die Inbetriebnahme“, heißt es aus dem Gremium. Davor solle es ein halbes Jahr Probebetrieb geben.

Allen Aufsichtsräten sowie den zuständigen Vorstandsmitgliedern werden vom Aktionsbündnis gegen das Projekt Strafanzeigen wegen Untreue angedroht. Bereits 2016 hatte Pofallas Vorgänger Volker Kefer die Entscheidungen der Kontrolleure per Gutachten absichern lassen. Mehrere Juristen haben den teils verunsicherten Kontrolleuren im Vorgespräch versichert, dass ein weiteres Gutachten unnötig sei, sie also nichts zu befürchten hätten.

Enorme Probleme mit Anhydrit

Der Aufsichtsrat hat sich im Detail die Schwierigkeiten bei Stuttgart 21 erläutern lassen, auch von Walter Wittke. Der Gutachter für die Bahn und anerkannte Experte für Felsmechanik habe das Bauen in Anhydrit, einem quellfähigen Gestein, erläutert. „Drastisch mehr Beton, Stahl und Zeit“ seien nötig, um es gegen Wassereintritt und die Tunnel gegen hohe Drücke durch das Quellen abzusichern. Das führe zu immensen Verzögerungen. „Wittke sprach von einer 99,99-prozentigen Sicherheit, dass es keine Hebungen von Tunneln über die Toleranzwerte hinaus geben werde“, so ein Teilnehmer der Veranstaltung.

„Den von den Gegnern geforderten Ausstieg aus Stuttgart 21 kann man guten Gewissens nicht empfehlen“, sagt ein Aufsichtsrat. Die Bahn AG werde dann mit Milliardenforderungen konfrontiert werden. Der Ausstieg aus Stuttgart 21 koste allerdings nicht, wie verschiedentlich kolportiert werde, sieben Milliarden, sondern nach Bahnrechnung 4,8 Milliarden Euro.

Bahn treibt Ausstiegskosten hoch

Mit den sieben Milliarden Euro habe die Bahn unterstellt, dass es auch die Neubaustrecke ab Wendlingen nach Ulm nicht geben würde. Diese Strecke ist aber, anders als S 21, ein Projekt des Bundesverkehrswegeplanes. Ausstieg und Rückbaukosten addierten sich bei Stuttgart 21 zu 4,8 Milliarden. „Dafür hat man dann aber nichts“, so ein Bahn-Kontrolleur. Man benötige wohl weitere bis zu 1,5 Milliarden Euro, um den Kopfbahnhof mit der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zu verbinden. Die mit bis zu 250 Kilometer pro Stunde befahrbare Strecke bringt die wesentliche Fahrzeitverkürzung.

Zum Ausstiegsszenario soll der Konzern dem Aufsichtsrat bis Freitag weitere Zahlen liefern. Der Zeitpunkt zur Umkehr sei aber verstrichen. „Er wäre 2013 noch möglich gewesen“, so ein Aufsichtsrat. Damals hatte Bahnchef Rüdiger Grube bei Ausstiegskosten von zwei Milliarden Euro gesagt, dass die Bahn das Projekt mit dem damals aktuellen Kenntnisstand gar nicht begonnen hätte.