Bahnvorstand Ronald Pofalla hat beim Projekt Stuttgart 21 Kosten- und Terminprobleme. Verkehrsminister Winfried Hermann (li.) und OB Fritz Kuhn (re., biede Grüne) begrüßen eine erneute Überprüfung. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Bahn-Vorstand und -Aufsichtsrat hat erneut eine Überprüfung der Kosten- und Zeitpläne angeordnet, weil die Angebote von Baufirmen deutlich über den erwarteten Summen liegen.

Stuttgart - Das Bahnprojekt Stuttgart 21 befindet sich erneut zeitlich und finanziell in einer schwierigen Phase. DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla erklärte am Freitag im Stuttgarter Rathaus, dass dem Konzern bei den noch anstehenden, bisher mit 1,4 Milliarden Euro kalkulierten Bauvergaben erhebliche Mehrkosten drohten. Zuvor hatte der politisch besetzte S-21-Lenkungskreis getagt.

Die Bahn macht für die Entwicklung die überhitzte Baukonjunktur verantwortlich. Die Abweichungen seien „so vor wenigen Monaten noch nicht da gewesen“, sagte Pofalla: „Erwartungen und Vergaben klaffen immer weiter auseinander.“ Im August habe er nach wochenlanger Beratung mit dem Bahn-Chef Richard Lutz entschieden, trotz einer „fundamentalen Abweichung“ einen Bauauftrag doch zu erteilen, „weil sonst ein Verzug von drei Jahren nicht auszuschließen gewesen wäre“. Dann wäre das Fertigstellungsdatum von Stuttgart 21 Ende 2024.

Erst vor 18 Monaten neue Zahlen

Die Entscheidung sei für die Vergabe gefallen, weil die Mehrkosten sich noch unter den Kosten für ein weiteres Jahr Bauzeit bewegten. Diese waren von Pofallas Vorgänger Volker Kefer wiederholt mit 100 Millionen Euro angegeben worden. Die Konsequenz aus der Misere sei eine beschleunigte externe Komplettüberprüfung von Kosten- und Zeitplänen. Ergebnisse sollen dem Bahn-Aufsichtsrat Mitte Dezember vorliegen, noch im Dezember will Pofalla mit den Projektpartnern sprechen.

Pofallas Amtsvorgänger hatte Stuttgart 21 erst vor 18 Monaten auch teils extern überprüfen lassen. Er hatte dem Aufsichtsrat über Mehrkosten durch Risiken von 623 Millionen Euro berichtet. Um den vom Kontrollgremium freigegebenen Kostenrahmen zu halten, hätten in weiteren Vergaben 524 Millionen Euro eingespart werden müssen. Dieser „Gegensteuerungsbedarf“ war bisher in öffentlichen Unterlagen aktualisiert und genannt worden. Die Bahn stellt diese Position nun nicht mehr dar.

Kostendeckel erneut gefährdet

Der Konzern muss nun von der gegenteiligen Entwicklung ausgehen: statt Einsparungen höhere Bausummen. Der Kostendeckel von 6,526 Milliarden Euro scheint akut gefährdet. Das ist nicht nur bedeutsam, weil sich Bahn und Land vor Gericht darüber streiten, wer wie viel des bereits zwei Milliarden Euro über der verhandelten Finanzierung liegenden Budgets stemmt. Sondern auch weil Kefer betont hatte, dass die Wirtschaftlichkeit des Projekts für die Aktiengesellschaft Bahn bei 6,526 Milliarden Euro nur noch knapp gegeben sei.

Zu „spekulativen Aspekten“ werde er keine Stellung beziehen, sagte Pofalla. Er wolle aber zu Gerüchten zu Einsparversuchen über eine vereinfachte Ausführung des Flughafenanschlusses sagen, dass sich die Bahn an die Verträge halte. Der Flughafen zahlt 360 Millionen Euro dafür, dass er einen zweigleisigen Fernbahnhof in Tieflage vor den Terminals und keinen weiter entfernt liegenden oberirdischen Halt an der Strecke beim Bosch-Parkhaus erhält. Die Schutzgemeinschaft Filder klagt gegen die Pläne, ein Urteil wird nicht mehr in diesem Jahr erwartet. „Es ist spekuliert worden, dass das da oben anders wird, aber es gilt der Vertrag“, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der auch Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft ist. Im November wolle man Details zum Flughafen mit S-21-Projektchef Manfred Leger erörtern.

Zweigleisige Wendlinger Kurve soll kommen

Hermann erklärte, die bisher nur eingleisig geplante Wendlinger Kurve (Anschluss der Neubaustrecke nach Tübingen) solle zweigleisig werden, die Finanzierung des Ausbaus müsse „im Rahmen der Koalitionsgespräche“ der neuen Bundesregierung gesichert werden. Regionaldirektorin Nicola Schelling sagte, die zweigleisige Kurve bringe einen „tatsächlichen Mehrwert“, dem Regionalverband werde wohl die Frage nach der Mitfinanzierung gestellt werden. Schelling betonte, dass die Betriebsqualität der S-Bahn bei den weiteren Bauschritten von Stuttgart 21 gesichert werden müsse.

Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) begrüßte die Ankündigung von Pofalla, Kosten- und Zeitrahmen überprüfen zu lassen. „Wir brauchen Klarheit, keine Motivationsdaten“, so der Verwaltungschef. Die Stadt unterstütze die Bahn bei ihrer Aufholjagd. Beim Flughafen werde man nochmals ins Detail gehen. Das Aktionsbündnis der S-21-Gegner sieht in der erneuten Überprüfung „die Vorbereitung für den nächsten Offenbarungseid“. Kosten und Termine liefen immer mehr aus dem Ruder.