Adam Palka als Boris Godunow Foto: Matthias Baus

Die Staatsoper Stuttgart bringt Modest Mussorgskys „Boris Godunow“ und zeitgenössisches Musiktheater von Sergej Newski über den Roman „Secondhand-Zeit“ von Swetlana Alexijewitsch zusammen. Das Experiment ist gedankenvoll, musikalisch exzellent – aber auch überfrachtet und überfordernd.

Stuttgart - Gleich haben sie den Betrüger enttarnt, gleich werden sie ihn festhalten, packen, und dann . . . Dann fangen die Geigen im Stuttgarter Staatsorchester an zu sirren und zu flirren. Die bunte, ja groteske Szene im Wirtshaus, die Modest Mussorgsky für seine Oper „Boris Godunow“ entwarf, friert ein, und der Sänger, der eben noch der machtgeile Novize Grigori war, tritt aus dem Kreis. „Ich erinnere mich“, singt der Tenor Elmar Gilbertsson mit derselben Intensität und Präsenz wie zuvor, aber jetzt in der Rolle eines jüdischen Partisanen. „Ich erinnere mich an unseren Umzug ins Getto. Ich erinnere mich an ein ständiges Gefühl der Scham.“ „Ich hatte Angst“, ergänzt Ramina Abdulla-zadè, die den Partisanen als Kind verkörpert, quirlig, das Gewehr auf dem Rücken. „Ich nahm meine Schmetterlingssammlung mit“, singt Urban Malmberg als greiser Partisan. Der jungen und der alte Mann stehen in den Proszeniumslogen. Die Videos, die fast während des ganzen Abends über der Bühne flimmern, haben eben noch Versatzstücke aus Comics präsentiert; nun zeigen sie Haut mit Schmetterlings-Tatoos.