„Frieden sichern“: Olaf Scholz und Spitzenkandidatin Katarina Barley werben gemeinsam für die SPD. Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

Die Europawahl am 9. Juni wird für die SPD zum Stimmungstest in schwierigen Zeiten. Vor fünf Jahren führte sie zu einem Erdbeben in der Partei. Auch deshalb ist der Kanzler jetzt mit hohem Einsatz im Wahlkampf dabei.

Olaf Scholz spielt Schach. „In einer Zeit, in der Bedrohungen in vielen Feldern lauern, braucht es Entscheiderinnen und Entscheider, die beim ersten Zug schon an den übernächsten denken“, heißt es in dem SPD-Wahlwerbespot zur Europawahl. Auch Spitzenkandidatin Katarina Barley sitzt hinter einem Schachbrett. „Nutze deine Stimme am 9. Juni“, sagt sie.

Nicht nur in diesem Wahlwerbespot kann jeder sehen: Es geht bei der Europawahl auch um den Kanzler. Scholz steht zwar nicht selbst zur Wahl. Aber die Sozialdemokraten plakatieren ihn gemeinsam mit Barley.

Die Ausgangslage der größten deutschen Regierungspartei vor der Europawahl ist prekär. Die SPD liegt in bundesweiten Umfragen seit längerem um die 15 Prozent, die Union erreicht das Doppelte. Der andauernde Streit in der Ampel nervt viele. Europawahlen gelten – wegen der eher komplizierten politischen Verhältnisse in Brüssel und oft schwer zu erklärender Themen – meist als bundespolitischer Stimmungstest. Wenn die Menschen in Deutschland einer Bundesregierung einen Denkzettel verpassen möchten, tun sie das gern bei der Abstimmung über das Europäische Parlament.

Grundsympathische Kandidatin

Dass Scholz trotzdem das Risiko eingeht, sich auf den Plakaten selbst mit zum Zentrum der Kampagne zu machen, hat zwei Gründe. Erstens würde ihm ein schlechtes Ergebnis ohnehin mit angerechnet werden. Zweitens ist Spitzenkandidatin Barley zwar grundsympathisch. Aber als besonders zugkräftige Kandidatin sehen sie auch in der eigenen Partei viele nicht.

Wie schwer sich Barley auf der großen Bühne tut, hat sie beim Europaparteitag Ende Januar gezeigt, auch wenn sie dort mit einem beeindruckenden Ergebnis von 98,66 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt wurde. Die Rede der 55-Jährigen kam im Plauderton daher und riss die Delegierten nicht mit. Es war – dafür, dass die eigene Spitzenkandidatin sprach – ungewöhnlich laut im Saal. Merke: Nicht nur Barley kann plaudern. Andere SPD-Mitglieder können es auch – wenn sie sich langweilen.

Das Mobilisierungsthema, auf das die SPD in der eigenen Partei, aber auch nach außen setzt, ließ sich bereits auf diesem Parteitag erkennen. Es ist der Kampf gegen Rechtsextremismus und die AfD. Der Kanzler rief schon beim Parteitag im Januar in den Saal, die Europawahl solle ein „klares Votum gegen rechts“ sein. Mittlerweile hat noch der brutale Überfall auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke für Entsetzen in der Partei gesorgt. Und für zusätzliche Kampfbereitschaft.

„Rechtsruck stoppen“, „Besonnen handeln“ und „Arbeitsplätze schützen“: Das sind Botschaften, mit denen Scholz und Barley gemeinsam vor der Europawahl auf den Plakaten werben. Der Kanzler, der die Ukraine mehr als jeder andere europäische Regierungschef mit Geld und Waffenlieferungen unterstützt, wirbt damit für die SPD, dass er als Regierungschef jede einzelne Entscheidung genau abwäge. Umfragen haben gezeigt: Sein Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist in der Bevölkerung mehrheitsfähig. Auch im aktuellen Haushaltsstreit setzt Scholz darauf, dass viele Wählerinnen und Wähler sein Nein zu Einsparungen bei der Rente teilen.

Der Kanzler und sein Selbstbewusstsein

Scholz weiß genau, wie gefährlich Europawahlergebnisse für politisches Spitzenpersonal sein können. Seine langjährige politische Weggefährtin Andrea Nahles ist als Partei- und Fraktionschefin der SPD nicht zuletzt über das schwache Ergebnis bei der Europawahl im Jahr 2019 gestürzt. 15,8 Prozent holte die SPD vor fünf Jahren.

Dass es Scholz – trotz alledem – nicht an Selbstbewusstsein mangelt, bewies er am Wochenende bei einer Talkrunde des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Scholz sagte dort, er halte einen Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz für sehr wahrscheinlich und das wäre ihm auch „ganz recht“.

Bis zur Bundestagswahl ist es – solange die Ampel hält – noch Zeit bis Herbst 2025. Für die nahende Europawahl gilt: Scholz‘ realistisches Ziel wird sein, seine Schachzüge so zu wählen, dass die Niederlage der SPD nicht ganz so schlimm ausfällt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.