Was geschah mit Jamal Khashoggi? Das wollte US-Außenminister Mike Pompeo (links) vom saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman wissen. Foto: AFP

Im Fall Khashoggi ist der diplomatische Schaden für Saudi-Arabien immens – trotz Unterstützung durchden US-Präsidenten.

Washington/Istanbul/Riad - Das saudische Königshaus sucht händeringend nach einem Ausweg aus der diplomatischen Megakrise, die es sich mit dem mutmaßlichen Staatsmord an dem Journalisten Jamal Khashoggi eingehandelt hat. Der zuletzt im US-Exil lebende Kolumnist der „Washington Post“ hatte vor zwei Wochen das saudische Konsulat in Istanbul aufgesucht, um dort Heiratsunterlagen abzuholen. Nach Erkenntnissen türkischer Behörden wurde der Kritiker des Kronprinzen Mohammed bin Salman in dem Gebäude ermordet und sein Leichnam zerstückelt. Die neueste Erklärung der Saudis ist nach Berichten von US-Medien, dass der Regierungskritiker Khashoggi tatsächlich im Konsulat starb, weil das Verhör aus dem Ruder gelaufen sei. Nachdem die Saudis zwei Wochen alles geleugnet haben, soll die ganze Operation also als eine eigenmächtige Tat übereifriger Geheimdienstler plakatiert werden. Die Verantwortung könnte so auf Mitarbeiter des Kronprinzen abgewälzt werden, um den saudischen Thronfolger selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Die „New York Times“ zitiert regimenahe Kreise in Riad mit der Darstellung, Prinz Mohammed habe zwar das Verhör und auch eine mögliche Verschleppung des unliebsamen Journalisten nach Saudi-Arabien angeordnet, seine Schergen vor Ort seien aber zu weit gegangen.

US-Außenminister Pompeo reiste nach Riad

Dass Khashoggi möglicherweise ohne Auftrag aus Riad ermordet worden sei, diese Version hatte am Montag als Erster US-Präsident Donald Trump ins Spiel gebracht, offensichtlich um die laufenden 110 Milliarden Dollar Rüstungsgeschäfte mit dem Königreich angesichts der wachsenden Turbulenzen nicht zu gefährden. „Es klang mir eher so, als sei er möglicherweise von Schurken getötet worden“, erklärte Trump nach einem zwanzigminütigen Telefonat mit König Salman, in dem der greise, saudische Potentat erneut jede Verwicklung seines Landes in den Fall Khashoggi kategorisch bestritten hatte.

Derweil traf US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag in Riad ein, um „aus erster Hand“ zu erfahren, was in dem saudischen Konsulat vorgefallen sei. Am Vormittag sprach er für rund 15 Minuten mit König Salman, der offensichtlich die ganze Tragweite des Geschehens nicht mehr erfasst. Anschließend konferierte Pompeo, der an diesem Mittwoch nach Ankara weiterreisen will, mit Mohammed bin Salman. „Wir sind starke und alte Verbündete, wir meistern unsere Herausforderungen gemeinsam“, beschwor der Kronprinz das saudisch-amerikanische Verhältnis. Mike Pompeo lächelte stumm. Nach US-Angaben erklärte sich der Kronprinz einverstanden mit einer „sorgfältigen, umgehenden und transparenten Untersuchung“.

Der Kronprinz ist mit Jared Kushner befreundet

Dass die US-Regierung bereit ist, den Fall Khashoggi nicht zum Anlass einer ernsten Krise in den Beziehungen zu Riad zu machen, liegt an der wichtigen Rolle der Saudis als Verbündete. Diese Bedeutung ist mit dem Aufstieg des Thronfolgers Mohammed, der sein Land zumindest wirtschaftlich modernisieren und von der Abhängigkeit vom Öl befreien will, noch gestiegen. Das Umbauprogramm des Prinzen entspricht US-Interessen. Washington wünscht sich ein Saudi-Arabien, das auch wegen seiner Bedeutung für den weltweiten Ölhandel stabil bleibt, US-Gegner in der Golfregion bekämpft und Israel stärkt. Kronprinz Mohammed, ein enger persönlicher Freund von Donald Trumps Schwiegersohn und Nahost-Beauftragtem Jared Kushner, ist bei all diesen Punkten ein wichtiger Mann.

Das nun hinter den Kulissen offenbar diskutierte neue Narrativ aber könnte den diplomatischen Schaden, statt zu begrenzen, weiter vergrößern. König Salman selbst und sein allmächtiger Sohn Mohammed stünden als Lügner da, zu viele Fragen bleiben in einer solchen Version der Vorfälle im Konsulat offen. So widerspricht sie der türkischen Darstellung, dass sich unter den 15 saudischen Geheimdienstoffizieren, die am fraglichen Tag in Istanbul einreisten, auch ein führender Gerichtsmediziner des Landes mit einer Knochensäge im Gepäck befunden habe, was auf einen vorsätzlichen Mord hindeutet. Interessanterweise hat der Mann zudem wissenschaftliche Aufsätze publiziert, wie man menschliche Körper zerlegt.

Auch halten es Kenner der Region für ausgeschlossen, dass ein saudisches Verhörkommando ohne Billigung des Kronprinzen einen Regimekritiker exekutiert. In sozialen Medien wird Mohammed bin Salman mit seinem Kürzel MBS bereits als „Mister Body Saw“ verspottet, Mister Knochensäge. Zudem müsste Riad offenlegen, was mit der Leiche geschehen ist und wo sie sich befindet. Auch eine mögliche Präsentation der Täter und ihrer angeblichen Geständnisse könnte zu einem PR-Desaster werden.

Der saudische Botschafter reiste aus Washington ab

In Washington sagte die saudische Botschaft den seit Langem für Donnerstag geplanten, offiziellen Empfang zum Nationalfeiertag ohne Begründung ab. Der saudische Botschafter in den USA, Prinz Khalid bin Salman, ein jüngerer Bruder des Kronprinzen, reiste ab und wird nach Angaben von US-Diplomatenkreise nicht auf seinen Posten zurückkehren. Khalid bin Salman hatte in den vergangenen beiden Wochen immer wieder versichert, Khashoggi habe das Konsulat unversehrt verlassen und saudische Stellen hätten mit seinem Verschwinden nichts zu tun. Sollte Saudi-Arabien die Tötung des Regierungskritikers durch das aus Riad entsandte Kommando jetzt doch offiziell zugeben, wäre er als Chefgesandter in der US-Hauptstadt nicht mehr tragbar. Tatsächlich sind amerikanische Medien, Menschenrechtsgruppen und Außenpolitiker beider Kongressparteien empört über den mutmaßlichen barbarischen Komplott. Eine Gruppe von demokratischen und republikanischen Senatoren fordert einen Stopp der Waffenlieferungen an das Königreich. Drei amerikanische Lobbyfirmen, die für Saudi-Arabien in Washington arbeiten, kündigten ihre lukrativen Beraterverträge. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet forderte Saudi-Arabien auf, die Immunität aller Diplomaten aufzuheben, die in das Verschwinden Khashoggis verwickelt sind.

Für die nächste Woche in Riad geplante internationale Investorenkonferenz „Davos in der Wüste“ hagelt es Absagen. Zahlreiche Medien, die Vorstandsbosse mehrerer Großbanken sowie die Chefs des Unterhaltungskonzerns Viacom und des Fahrdienstleisters Uber wollen nicht mehr teilnehmen. Bei dem glamourösen Event will sich der Kronprinz als Reformer und die Hauptstadt als „Davos in der Wüste“ präsentieren. Der deutsche Siemens-Konzern, einer der strategischen Partner der PR-Show, hat die Teilnahme von Konzernchef Joe Kaeser bisher jedoch nicht abgesagt.