Kaffee oder Tee? Immer mehr Frauen gründen ein Unternehmen wie diese mobile Kaffeebar in der Stadt Dammam. Foto: Eglau

Der saudische Thronfolger Mohammed bin Salman treibt die von Reichtum und Müßiggang verwöhnten Bewohner des Wüstenstaats aus der Komfortzone. Vor allem für die Frauen deutet sich eine regelrechte Befreiung an. Doch werden religiösen Hardliner stillhalten?

Riad - Noch nie haben die Saudis einen ihrer Mächtigsten so erlebt. Entspannt und lachend, ohne die übliche traditionelle Kopfbedeckung saß Mohammed bin Salman in einem Pariser Edelrestaurant. Mit ihm der libanesische Premierminister Saad Hariri, dazwischen Marokkos König Mohammed VI., der sich in der französischen Hauptstadt von einer Herzoperation erholt. „Saad, mach ein Foto von uns“, frotzelte der starke Mann aus Saudi-Arabien. „Warum ich?“, fragte Hariri. „Ich kann dich auch festnehmen lassen“, flachste Mohammed bin Salman. „O. k., alle mal cheese“ – und dann grinsten die drei einträchtig für ein Selfie.

Für den saudischen Nachwuchs ist der designierte Thronfolger auch wegen solcher lockeren Szenen populär. „Mehr Spaß und mehr freie Marktwirtschaft“, rief der 32-Jährige als Zukunftsmotto aus, mit dem er seine über Jahrzehnte verkrustete und erstarrte Heimat umkrempeln will. Dabei setzt er vor allem auf eine kulturelle und soziale Öffnung, ein Ende der Bevormundung durch den erzkonservativen islamischen Klerus und auf eine Megareform des Arbeitsmarkts, um dem eigenen Nachwuchs Beine zu machen und neue Berufsperspektiven zu eröffnen.

Eine barbusige Frau für den arabischen Gast

Fast fünf Wochen lang tourte er jetzt durch die westliche Welt, besuchte Großbritannien, bereiste Amerika, schaute drei Tage bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorbei, bevor er zum Abschluss noch nach Spanien flog. In Beverly Hills mieteten die Besucher von der Arabischen Halbinsel gleich für mehrere Tage das gesamte Hotel Four Seasons. Auf dem Alten Kontinent zeigte Macron seinen Gast beim privaten Louvre-Rundgang außerhalb des Protokolls das Delacroix-Gemälde der barbusigen „Freiheit“, bevor sich die Hoffnungsträger ihrer beiden Nationen beim Abendessen zwei Stunden lang unter vier Augen unterhielten. Beide verstehen sich als Wegbereiter von Reformen. Gegenüber Kritik nahm der 40-jährige Macron seinen Besucher dann auch ausdrücklich in Schutz: „Ich höre legitime Fragen über Menschenrechte und andere sensible Themen, aber man muss auch in Betracht ziehen, was derzeit im gesamten Nahen Osten vor sich geht“, sagte er. Mohammed bin Salman sei ein junger Staatslenker in einem Land, „wo 70 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahren sind“.

Es sind vor allem diese jungen Saudis, die dem Kronprinzen applaudieren, weil sie endlich Anschluss haben wollen an die moderne Welt. Energischer als alle bisherigen Machthaber wies Salman das religiöse Establishment in die Schranken und entmachtete die Religionspolizei. „Wir wollen dahin zurück, wo wir einmal waren, zu einem Ort des moderaten Islam, der offen ist gegenüber allen Religionen und offen gegenüber der Welt“, erklärte er. „Was in den letzten 30 Jahren passiert ist, das ist nicht Saudi-Arabien.“ Man werde nicht weitere 30 Jahre mit solch destruktiven Ideen zubringen, sagte er mit Blick auf den ultrakonservativen Klerus.

Endlich dürfen Frauen autofahren

Für viele junge Saudis ist MbS, wie sie ihn nennen, ein Idol, weil er Schwung in die erstarrten Verhältnisse bringt. Auch seine rabiate Verhaftungswelle gegen fast 400 korrupte Geschäftsleute und gegen selbstherrliche Prinzen findet Beifall, während internationale Menschenrechtsorganisationen Folter, Erpressung und Willkür anprangerten. Dass seine Majestät sich gleichzeitig für 800 Millionen Euro eine Luxusjacht im Mittelmeer und ein Schloss in Frankreich kaufte, darüber sehen die meisten seiner Landsleute hinweg.

Gesprächspartner beschreiben den wohl schillerndsten Mann der Arabischen Halbinsel als ehrgeizig, intelligent, hart arbeitend und gut informiert. Seine Gäste empfängt er bisweilen auch weit nach Mitternacht. Unter dem Twitter-Beifall des Volkes setzte er bei seinem König-Vater durch, dass Frauen von Juni 2018 an Auto fahren dürfen, etablierte eine „Nationale Behörde für Unterhaltung“ und gab grünes Licht für Open-Air-Konzerte. Nächste Woche wird das erste Kino in Saudi-Arabien eröffnet, bis 2030 sollen 350 weitere folgen. Ein eigenes Opernhaus und Symphonieorchester sind ebenfalls geplant. In Riad findet diese Woche die erste Modemesse statt. Und geht es nach dem umtriebigen Thronfolger, soll auch der Zwang für Frauen, sich in der Öffentlichkeit nur mit Kopftuch und langer dunkler Abaya zu kleiden, demnächst fallen.

Die faulenzenden Beamten müssen sich warm anziehen

Das dickste Brett jedoch, an dem der Kronprinz bohrt, ist der saudische Arbeitsmarkt. Bislang existierte im Königreich die paradoxe Situation, dass 30 Prozent der Schulabgänger arbeitslos waren, während zehn Millionen Migrantenarbeiter aus Indien, Pakistan, Bangladesch und den Philippinen die privaten Geschäfte, Hotels und Handwerksfirmen am Laufen hielten. 80 Prozent aller saudischen Männer sind im öffentlichen Dienst beschäftigt und genießen ihren gut dotierten Müßiggang, der in der Regel nach dem Mittagsgebet endet. Auch viele junge Menschen wollen vor allem eines – einen bequemen Staatsjob mit Sessel, Schreibtisch und Klimaanlage. Diese Arbeitsverweigerer wollen der rastlose Kronprinz, sein Arbeitsminister sowie die frisch ernannte erste weibliche Vizearbeitsministerin des Landes jetzt auf Trab bringen. Für junge arbeitslose Saudis organisiert der Staat Jobbörsen. Mehr und mehr Berufe werden auch für Frauen geöffnet. Auf 140 neu geschaffene Stellen für Grenzpolizistinnen an Flughäfen gab es 107 000 Bewerbungen. Gleichzeitig gelten für Firmen und Geschäfte immer höhere Quoten für saudisches Personal.

Der absolute Renner aber sind derzeit Staatsdarlehen für Foodtrucks, mit denen sich junge Saudis selbstständig machen können. Überall an den Promenaden, auf Parkplätzen oder großen Ausfallstraßen stehen nun die rollenden Imbisse, die Eis, Kaffee, Tee, Burger oder Grillspieße anbieten. Die meisten dieser neuen Kleinunternehmer sind Frauen, deren Anteil am Arbeitsmarkt bis 2030 von derzeit 18 auf 30 Prozent steigen soll.

„Wie findet ihr mein Design?“, begrüßt die 38-jährige Amal Qahtani fröhlich ihre Kunden. Unter ihrem Gesichtsschleier strahlt die Mutter zweier Töchter Tatkraft und Lebensfreude aus. Die drei Meter hohe Teekanne, in der sie Kaffee und Tee brüht, hat sie selbst entworfen, für 35 000 Euro in einer Fabrik in Riad fertigen und dann per Tieflader zur Corniche von Dammam im Osten des Landes bringen lassen. „Endlich bekommen wir Frauen jetzt Unterstützung von ganz oben“, sagt sie. „Ich bin froh, dass meine Töchter es einmal leichter haben werden.“