1,1 Millionen Überstunden 2020 – Stuttgarts Polizistinnen und Polizisten kommen, wie ihre Kollegen im ganzen Land – kaum noch aus der Uniform. Foto: dpa/Marijan Murat

FDP-Mann Friedrich Haag wirft Innenminister Strobl vor, der versuche kläglich zu verschleiern, dass er ein ernstes Personalproblem hat. Seit Jahren hat das Land die wenigsten Polizisten in Deutschland.

In der Landeshauptstadt waren zum 1. April bei der Schutz- ebenso wie bei der Kriminalpolizei eine erhebliche Anzahl von Dienstposten nicht besetzt. Das ergibt sich aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des FDP-Landtagsabgeordneten Friedrich Haag. Demnach sind in Stuttgart 211,4 der vorhandenen 1028,5 Stellen bei der Schutzpolizei nicht besetzt. Das ist fast jede fünfte Stelle. Bei der Kriminalpolizei sind mit 59,8 mehr als 13 Prozent der durch den Haushalt vorgesehenen 454 Dienstposten unbesetzt.

Die durch Staatssekretär Thomas Blenke (CDU) an den Landtag übermittelte Aufstellung über die Stärke der Stuttgarter Polizei bilde „die tatsächlich vorhandene Arbeitsstärke zum Stichtag ab“. Zudem rechneten die Ministerialen in die Aufstellung für die Schutzpolizei offenbar auch Polizeischülerinnen und -schüler ein. Denn sie weisen darauf hin, dass in der Personalstärke „nur diejenigen Anwärterinnen und Anwärter berücksichtigt werden, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Ausbildungsstands bereits während des Praktikums einen entsprechenden Beitrag zur Unterstützung unserer fertig ausgebildeten“ Polizisten leisten könnten.

Die tatsächliche Personalstärke der Polizei liege „regelmäßig unterhalb“ der verfügbaren Dienstposten. Als Gründe hierfür nennt Blenke Teilzeitbeschäftigung, Mutterschutz und Elternzeit, längere Erkrankungen, Aus- und Fortbildungen sowie Abordnungen an andere Dienststellen.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) verweist seit Jahren auf die „größte Einstellungsoffensive bei der Polizei in der Geschichte des Landes“. Kritiker wie die Deutsche Polizeigewerkschaft sowie die Gewerkschaft der Polizei halten ihm entgegen, dass mit den Einstellungen, wenn überhaupt, lediglich die Pensionierungen von Polizisten ausgeglichen werden. Von mehr Polizisten könne nicht die Rede sein. Zudem ist in der Polizei davon die Rede, dass viele Polizeischüler nicht den Anforderungen an den Beruf und den Alltag gewachsen seien.

Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, bemängelt seit Jahren, dass es „Polizeidienststellen in Baden-Württemberg gibt, die mit 60 oder 70 Prozent versuchen, die innere Sicherheit zu gewährleisten“. 7000 Polizisten, so die Gewerkschaften unisono, fehlten im Land. Bei der sogenannten Polizeidichte, also der Anzahl von Polizisten auf 100 000 Menschen, belegt Baden-Württemberg seit Jahren den letzten Platz. Die Situation stelle sich in allen Polizeipräsidien ähnlich desaströs wie in Stuttgart dar.

Dass sich durch die Differenz zwischen verfügbaren Polizeidienstposten einerseits und der tatsächlichen Dienststärke auf den acht Polizeirevieren sowie der Kripo andererseits eine Gefährdung für die Menschen in der Stadt ergebe, weist Blenke als Unterstellung „entschieden zurück“. Das zuständige Polizeipräsidium Stuttgart „gewährleistet durch einen lage- und bedarfsorientierten Personaleinsatz gleichwohl auch bei temporären personellen Engpässen zuverlässig die polizeiliche Versorgung“.

Dennoch muss der Staatssekretär einräumen, dass die Anzahl der Straftaten in der Stadt nach der Coronapandemie wieder deutlich gestiegen sind und 2023 über dem Wert des Corona-Vorjahres 2019 liegen: Demnach wurden im vergangenen Jahr in der Landeshauptstadt 55 577 Straftaten begangen. Vor allem Diebstahls- Vermögens-, Fälschungs- und Rauschgiftdelikte registrierte die Polizei. Zudem sind die Gewaltdelikte in der Stadt von 1406 Taten im Jahr 2022 auf 1518 im vergangenen Jahr gestiegen.

Haag bewertet die neue Antwort des Innenministers auf seine Landtagsanfrage als „kläglichen Versuch, sich aus der Sache herauszureden: Die Personalstärke habe nichts mit der Sicherheitslage zu tun. Das bestätigt nur noch einmal, dass der Minister ein massives Personalproblem trotz seiner Personaloffensive hat. Schöne Worte und leere Versprechungen tragen aber nun mal kein bisschen zu mehr Sicherheit in Stuttgart bei.“ Dass die Gewalttaten im öffentlichen Raum in Stuttgart 2023 im Vergleich zum Vorjahr zunahmen, sollte bei Strobl „die Alarmglocken läuten lassen! Gerade nach der Ankündigung, an Kriminalitätsschwerpunkten wie der Klett-Passage in der Innenstadt mehr Fußstreifen einzusetzen, muss der Minister dafür sorgen, dass auch ausreichend Polizisten zur Verfügung stehen.“

Im April 2023 fehlten nach Angaben des Ministeriums in früheren Anfragen 193,5 Polizisten in Stuttgart, im Oktober 2023 174,64. Jetzt zum Beginn der Fußball-Europameisterschaft 211,4. Zudem klagen die Polizisten über extrem viele Überstunden: 1,1 Millionen waren es alleine 2022.