Viele Obdachlose versuchen mit Flaschensammeln ein bisschen Geld zu verdienen. Foto: Sven Simon/Imago/Frank Hoermann

Die Bundesregierung will bis 2030 Wohnungslosigkeit überwinden und stellt dazu einen Nationalen Aktionsplan vor – doch Kritiker bezweifeln, dass damit das Ziel erfüllt werden kann.

Ob auf Plätzen, in Fußgängerzonen oder Parks – in fast jeder Großstadt sieht man Menschen, die auf der Straße leben. Das soll sich nach Willen der Ampelkoalition bis zum Ende des Jahrzehnts ändern. „Wir setzen uns zum Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden“, haben SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag verabredet. In dieser Woche will das Bundeskabinett einen entsprechenden Nationalen Aktionsplan verabschieden. Doch es gibt große Zweifel daran, ob das ausreicht, um dieses Ziel zu erreichen – selbst innerhalb der eigenen Koalition.

Der Entwurf der Bundesregierung, der unserer Redaktion vorliegt, trägt den Titel: „Gemeinsam für ein Zuhause“. Erarbeitet wurde er unter Führung von Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Der Plan widmet sich dem Problem der „Wohnungslosigkeit“. Dieser Begriff umfasst mehr als das gängige Bild von Menschen, die auf der Straße leben. Von Wohnungslosigkeit betroffen sein kann etwa jemand, der keinen festen Wohnsitz hat, aber immer wieder bei wechselnden Freunden und Verwandten unterkommt. Auch Frauen, die in Frauenhäusern vorübergehend Schutz suchen, gehören dazu. Nicht jeder Mensch, der wohnungslos ist, lebt auf der Straße.

Größe des Problems lässt sich nur schwer beziffern

Wie groß das Problem der Obdach- und Wohnungslosigkeit ist, lässt sich kaum verlässlich sagen. Eine Erhebung des Bundessozialministeriums von 2022 kommt zu einem Stichtag auf eine Zahl von 263 000 wohnungslosen Menschen. Das betrifft aber lediglich diejenigen, die in einer Notunterkunft untergebracht waren. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) gibt bei ihren Hochrechnungen eine Zahl von 447 000 an. Die Schätzungen über die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, schwankt zwischen 38 000 und 50 000.

Um das Problem bis zum Jahr 2030 zu beseitigen, sind neun Leitlinien verabredet. So sollen Betroffene ein passendes Wohnungsangebot erhalten. Das setzt allerdings voraus, dass ausreichend günstiger Wohnraum vorhanden ist. Doch gerade in Großstädten verschärft sich der Wohnungsmangel seit Jahren.

Sozialverband hegt Zweifel an Aktionsplan

Darüber hinaus soll verhindert werden, dass Menschen überhaupt in die Wohnungslosigkeit abrutschen. So soll geprüft werden, ob Gerichte Daten über eine drohende Zwangsräumung an Sozialämter weitergeben dürfen, damit ein Wohnungsverlust abgewendet werden kann. Darüber hinaus sind im Nationalen Aktionsplan 31 Maßnahmen geplant. Viele davon sind bereits bekannte Schritte, etwa die Förderung des sozialen Wohnungsbaus oder die Erhöhung des Wohngelds.

Dass es den Nationalen Aktionsplan gibt, wird allgemein begrüßt. Dieser zeuge „vom guten Willen der Bauministerin, wenn es um die Bekämpfung der Wohnungslosigkeit in Deutschland geht“, sagte etwa Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, unserer Redaktion. Doch er kritisierte gleichzeitig auch die Unverbindlichkeit des Plans. „Mehr als zweifelhaft ist daher, ob er so seinem Ziel gerecht werden kann, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden“, sagte er.

Hanna Steinmüller (Grüne), Mitglied des Bauausschusses im Bundestag, sagte: „Um unser Ziel zu erreichen, Wohnungslosigkeit zu überwinden, muss noch weit mehr passieren.“ Sie plädiert daher auch für eine stärkere Regulierung von Mietsteigerungen und auch dafür, dass noch mehr Geld in bezahlbares Wohnen investiert wird.

Steinmüller kritisierte außerdem, dass es eine Regelung zu sogenannten Schonfristzahlungen nicht in den Aktionsplan geschafft hat. Damit lässt sich eine ordentliche Kündigung des Mietvertrags im Nachhinein heilen, wenn der Mietrückstand beglichen wird. Mit Blick auf das Zieljahr 2030 sagte die Grünen-Politikerin Steinmüller: „Ohne diese Maßnahmen werden wir unser Ziel vermutlich verfehlen.“

Sabine Bösing, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, sagte, die Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit benötige zudem ausreichend finanzielle Ressourcen. Doch zusätzliches Geld ist mit dem Nationalen Aktionsplan nicht verbunden. Daher, sagte Bösing, sei sie „skeptisch, ob die Maßnahmen ausreichen werden, um das Problem wirklich überwinden zu können“.

Keine Bleibe – das trifft unterschiedlichste Altersgruppen Foto: Grafik Locke//Quelle Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Wohnungslosenbericht 2022