Die Zahl der Landwirte, die auf Milchkühe setzen, ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Foto: dpa

Die Landwirte erhalten für ihre Milch wieder etwas mehr Geld als vor einigen Jahren. Doch die Sorgen bleiben. Auch künftig wird der Milchpreis unter Druck stehen – nicht nur wegen des Brexits.

Stuttgart - Wenn das Gras bald wieder in sattem Grün leuchtet, stehen auch im deutschen Südwesten wieder mehr Kühe auf der Weide – aber nur, weil mehr Bauern ihre Kühe auf die Weide lassen als vor wenigen Jahren. Die Zahl der Kühe ist auf 340 000 gesunken, die Zahl der Milchviehhalter sogar dramatisch geschrumpft. Die Milch kommt somit von immer weniger Höfen: 2008 machten sich noch 12 000 Halter von Milchkühen an ihren Melkständen zu schaffen, zehn Jahre später nur noch 6700. Deutschlandweit gab es einen Rückgang von 101 000 auf 64 000. Die Milchmenge aber stieg: Kühe gaben mehr Milch, Höfe wurden größer. Vor zehn Jahren wurden in Baden-Württemberg noch 2,2 Millionen Tonnen gemolken, 2017 waren es bereits 2,4 Millionen Tonnen, berichtet Horst Wenk, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes Baden-Württemberg.

Auf der Suche nach einer Strategie 2030

Wie in Deutschland insgesamt, so suchen auch die Bauern im Südwesten nach einer „Strategie 2030“ – auf den Nägeln brennen ihnen besonders die immer wieder heftigen Ausschläge des Preises, den sie für ihre Milch erhalten. Ein neuer Branchenverband, so meint Gerhard Glaser, der für Milch zuständige Vizepräsident des Bauernverbandes in Baden-Württemberg, könne helfen, das Problem zumindest zu mildern. Doch schon bei solchen Überlegungen sind sich die Vertreter der Milchwirtschaft keineswegs einig. Einen solchen Verband gebe es schon, sagt Markus Albrecht, der Geschäftsführer des Milchwirtschaftlichen Vereins Baden-Württemberg – den bereits 1874 gegründeten Verband der Deutschen Milchwirtschaft (VDM), ein Zusammenschluss von Molkereien. Zwar räumt Glaser ein, dass die Spitzen von Molkereien und Bauernverband gemeinsam am Tisch säßen. „Doch auf den unteren Etagen herrscht eine große Lustlosigkeit“, stellt der Bauern-Vize fest und fordert für einen neuen Verband auch Geld: „Dieser braucht einen eigenen Etat.“

Es ist weiter mit schwankenden Preisen zu rechnen

„Der neue Verband könnte den Bauern helfen, die Risiken eines schwankenden Milchpreises an Warenterminbörsen abzusichern“, sagt Glaser. Auch in Zukunft nämlich müssen sich die Milchbauern mit schwankenden Preisen auseinandersetzen und versuchen, das Risiko zu mindern – durch längerfristige Lieferverträge oder durch eine Absicherung an Warenterminbörsen. „Für kleine und mittlere Landwirte ist es aber bisher wenig praktikabel, ihre Milch an der Warenterminbörse selber abzusichern“, meint Hess.

In den letzten Jahren hat die Fieberkurve des Milchpreises den Bauern zu schaffen gemacht: 2013 lag der Preis noch bei rund 40 Cent pro Liter, bis 2016 rutschte er auf nur noch 24 Cent. Verantwortlich dafür machen die Landwirte gerne den hochgradig konzentrierten Lebensmittelhandel. Der Preissturz ist aber auch das Resultat eines immer weiter globalisierten Marktes. „2015/16 war die weltweite Nachfrage schlecht, dazu kamen noch die Sanktionen, die Russland 2014 gegen Agrargüter verhängt hat und das Auslaufen der Milchquote“, so die Diagnose von Sebastian Hess, Professor an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Zwar steigen die Exporte in Schwellenländer, in denen sich eher Wohlhabende gerne auch Milchprodukte aus Europa schmecken lassen, doch „ein langsameres Wachstum in China merkt man schnell bei der Nachfrage nach Milchprodukten,“so Hess.

Deutschlandweit gibt es Überschüsse

Um den Export aber kommen zumindest die konventionellen Milcherzeuger kaum herum. In Baden-Württemberg melken diese zwar nur zwei Drittel dessen, was im Ländle getrunken wird – doch deutschlandweit sieht es anders aus: „Der Selbstversorgungsgrad liegt bei 115 Prozent“, sagt Wenk – es gibt also Überschüsse. Der Druck könnte sogar noch stärker werden. Mit dem Brexit könnte einer der wichtigsten Märkte wegbrechen oder zumindest schwerer zu beliefern sein – eine Sorge, die in den beiden vergangenen Tagen auch das „10. Berliner Milchforum“ des Deutschen Bauernverbandes umtrieb. Dazu kommt der demografische Wandel. „Menschen, die älter als 50 oder 60 Jahre sind, essen und trinken in der Regel auch weniger“, sagt Albrecht. „Und in der Summe ist es eben ein Unterschied, ob ein Joghurt-Becher mit 150 Gramm oder mit 200 Gramm gekauft wird, oder ob eine oder zwei Scheiben Käse mehr gegessen werden“. Dazu kommt, dass Deutschland eben kein reines Ausfuhrland ist: Exporte und Importe von Milcherzeugnissen halten sich fast die Waage. Die Experten rechnen Käse, Butter, Joghurt, Milchpulver und mehr in „Milchäquivalente“ um und kommen so zu Ausfuhren von 16,5 Millionen Tonnen und Einfuhren von 12,6 Millionen Tonnen.

Doch gleichgültig, ob die Ware im Inland verzehrt oder auf Auslandsmärkte geworfen wird – für die Bauern ist entscheidend, was sie von den Molkereien erhalten. Immer wieder wurde in der Vergangenheit auch über die Struktur der deutschen Molkereiwirtschaft diskutiert. Zu viele und eher kleinere Molkereien stünden den vier großen Kunden im Lebensmitteleinzelhandel, den Ketten Aldi, Lidl, Rewe und Edeka gegenüber. Diese Ketten haben gezeigt, dass sie sich selbst bei Preisverhandlungen von Großkonzernen wie Nestlé nicht schrecken lassen.

Im Südwesten gab es deutschlandweit die höchsten Erzeugerpreise

„Tendenziell zahlen die kleineren Molkereien bessere Preise“, sagt Glaser. So wurden etwa in Baden-Württemberg, wo es eine Vielzahl kleinerer Molkereien gibt, mit durchschnittlich 35,6 Cent im vergangenen Jahr die deutschlandweit höchsten Erzeugerpreise gezahlt.

Weitgehend verschont von Preisschwankungen blieben die Erzeuger von Biomilch. Sie melken weniger pro Kuh und haben einen höheren Aufwand auch wegen des Futters. Aber seit 2014 liegt der Erzeugerpreis stabil bei 48 bis 49 Cent. Der Bioanteil an der gesamten von deutschen Höfen angelieferten Milch liegt nach Angaben von Gerald Wehde, Geschäftsleiter für Agrarpolitik beim Ökoverband Bioland, bei etwa 3,5 Prozent, Tendenz steigend. Noch kommen 30 Prozent der in Deutschland gekauften Biomilchprodukte aus dem Ausland. Der Anteil des Imports aber wird nach Ansicht von Wehde sinken, da immer mehr Betriebe auf Biomilch umstellen. Neue Anbieter werden bei Molkereien bereits auf Wartelisten gesetzt, um Angebot und Nachfrage auszugleichen. „Bio“, so meint Wehde, könne „ein Weg aus der Volatilitätsfalle sein“.