Methusalem Tigger (Tigger’s Story- The 21 yr. Old Cat & His Bucket List) – ein Traum von einem Kater. Foto: Facebook

Wenn die geliebte Katze und der umsorgte Hund in die Jahren kommen und alt und krank werden, brauchen sie besonders viel Liebe und Streicheleinheiten. Wie der todkranke Tigger, der ein kleines Wunder erlebt.

Stuttgart - Das Leben schreibt immer noch die schönsten Geschichten. Wie die von Tigger, einem 21-jährigen rotbraunen, samtweichen Kater. Sein früherer Besitzer hat ihn vor einigen Monaten einfach beim Tierarzt zurückgelassen. Der schwer kranke Maunzer war dem Halter lästig und zu teuer geworden. Der arme Tigger konnte die Welt nicht mehr verstehen. Nach 20 Jahren obdachlos, gerade jetzt, wo er einen Dosenöffner am meisten braucht.

Doch Rettung nahte. Adriene Buisch, eine junge Frau aus Baltimore (US-Bundesstaat Maryland), die als Marketing coordinator im Charm City Veterinary Hospital arbeitet, wurde auf der Webseite „Canton Neighbors“ auf das Schicksal des armen Katers aufmerksam. Sie wollte ihm die Liebe schenken, nach der sich Tigger verzehrte. Arztkosten, Krankheit, Pflege? Für die gute Frau aus Baltimore kein Problem.

„Obwohl er an Nierenversagen litt und wir einen Tumor entdeckten, benahm er sich wie ein 12-Jähriger“ schreibt sie auf Facebook. Adriene päppelte zusammen mit ihrem Freund Michael, einem Biologen, den Stubentiger auf und – welch Wunder – der Totgeweihte blühte wieder auf. „Wir beschlossen, eine Liste mit unterschiedlichen Abenteuern für Tigger zu erstellen, die er vor seinem Tod noch erleben sollte“, so Adrienne. Und damit begann Tiggers Reise ins Wunderland, an der die weltweite Web-Community teilnimmt.

Tiggers Fotogalerien auf Facebook – ein Traum

Adriene Buisch dokumentiert minutiös die Ausflüge des Fellknäuels auf dessen Facebook-Seite Tigger’s Story – The 21yr. Old Cat & His Bucket List (Tiggers Fotogalerie ist für Katzen-Liebhaber ein Traum). Tigger am Strand, bei seinem 21. Geburtstag, beim Spielen mit Katzen-Kumpel Stuart, beim Shoppen in der Großstadt. Am Ende seines irdischen Katzen-Daseins blüht Tigger richtig auf.

Nicht nur Social Media, auch Tierschützer sind von der Herz-Schmerz-Story gerührt. „Es ist sehr begrüßenswert, wenn Menschen sich entschließen auch ein sehr altes oder krankes Tier aufzunehmen. Man kann auch mit so einem Tier eine tolle Beziehung aufbauen und ihm eine schönen Lebensabend bereiten“, sagt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes in Bonn. „Es gibt so viele liebesbedürftige Tiere, die in Tierheimen leben und ein neues Zuhause suchen. Das lohnt sich sehr. Wir können jeden nur dazu ermutigen, keine Angst vor kranken oder älteren Tieren zu haben.“

So weit so gut. Aber wie weit darf Tierliebe gehen? Soll ein krankes Tier mit zum Strand genommen, im Brustbeutel durch die Stadt geschleppt und im Auto rumgefahren werden? Wer die Bilder von Tigger sieht, wie er seelenvoll im Sand döst, auf Frauchens Arm kuschelt und aufs Meer blickt, wird dem Paar aus Baltimore Recht geben.

Wie viel Veränderung kann man Katze und Hund zumuten?

„Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint“, sagt Kurt Tucholsky. (1890- 1935). Die Frage ist berechtigt: Wie viel Veränderung braucht ein älteres und/oder krankes Haustier? Wie viel darf man ihm zumuten? Was ist zu viel des Guten? „Ob eine kranke Katze oder ein kranker Hund so etwas wie bei Tigger zu schätzen wissen, wage ich zu bezweifeln“, erklärt Lea Schmitz. „Ich sehe so ein Programm eher skeptisch. Katzen reisen nicht gerne, sondern bevorzugen es, in ihrem vertrauten Hause zu sein. Sie sind mehr an ihr Revier gebunden als an Herrchen oder Frauchen. Gerade wenn ein Hund oder eine Katze alt oder krank ist, bedeutet es für das Tier enormen Stress, wenn es herumgereicht und herumgetragen wird. Ich plädiere dafür, im eigenen Zuhause dem Tier noch ein schönes Leben zu schenken. Dort hat es seinen Alltag und seine Plätze, wo es seine Ruhe genießen und raus gehen kann, wenn es will.“

Katzen sind Genießer. Sie lieben es mollig-warm und samtig-weich, kuscheln den lieben langen Tag auf einer Decke und dösen bei sonnigem Wetter im Garten vor sich hin. Schlafen, fressen, gestreichelt werden – das sind Kittens Leidenschaften. Was umso mehr gilt, wenn sie alt, gebrechlich und krank werden. „Gerade dann sollte man nicht groß etwas verändern. Man braucht keine To-do-Liste für die todkranke Katze“, so die Tierschützerin. „Das sind sehr vermenschlichte Ansprüche. Katzen haben nicht das Bedürfnis eine Bootstour zu machen. Das gewohnte Leben beibehalten, keine großen Veränderungen, aber natürlich angepasst an das Alter – das wäre mein Rat.“

Was für Katzen-Oldies gilt, gilt für Hunde nicht minder. Lea Schmitz: „Auch alte Hunde sollte man beim Gassi-Gehen nicht überfordern. Die Länge der Spaziergänge muss angepasst werden. Lieber öfter rausgehen und dafür kürzer. Dem Tier mehr Ruhe gönnen und entsprechend die Nahrung anpassen. Es gibt für Senioren anderes Futter, das besser verträglich ist. Auch an die Behandlung von Zahnstein oder Diabetes sollte man denken.“

Tierische Freunde

Tiere sind fühlende und soziale Wesen

„Jede Partnerbeziehung ist einzigartig – bei Tieren wie bei Menschen“, erklärt Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe an der Universität Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im österreichischen Grünau. Katzen und Hunde hätten ein fast identisches soziales Gehirn wie der Mensch, erklärt der Biologe. Die grundlegenden Mechanismen zwischen den Spezies seien gleich. Deshalb sei auch anzunehmen, dass sie ähnlich wahrnehmen wie wir. „Wenn der Mensch einen Hund streichelt, gibt es bei beiden einen Ausstoß des Bindungshormons Oxytocin. Es handelt sich um eine sehr symmetrische Beziehung. Ich denke, das ist bei Katzen und Hunden nicht anders.“

Wie beim Menschen kommt es auch bei tierischen Freunden nicht darauf an, den Wertgeschätzten mit Geschenken zu überhäufen. Hunden ist es egal, ob sie ein Brillanten-Halsband oder eines aus Leder haben. Hauptsache, sie können herumtollen, schnüffeln, spielen und werden gestreichelt. Ohne Gassi-Gehen verkümmert jeder Luxus-Hund. Teure Accessoires befriedigen die Eitelkeiten der Halter, nicht aber der Vierbeiner.

Das Schöne, Hohe und Wertvolle wird erst zu dem, was es ist, wenn man es mit einem Freund teilt und von ihm wiederum beschenkt wird – durch seine Wertschätzung, sein uneigennütziges Interesse und vorbehaltloses Vertrauen. Warum sollte dieser Freund nicht eine flauschige Wonneproppen-Maine-Coone-Katze oder ein treuer Labrador sein? Dies gilt umso mehr, wenn die gemeinsamen Tage gezählt sind und man von seinem Freund bald Abschied nehmen muss.

Tiere können denken, fühlen und empfinden. Sie verfügen über Emotionalität, Erkenntnisvermögen, ein komplexes soziales Zusammenleben und echte Lernfähigkeit. Sie empfinden Freude und Trauer, sie nehmen Zuwendung und Schmerzen wahr, sie können Liebe empfangen und Liebe schenken. Wenn Tiere in freier Wildbahn spüren, dass ihr physisches Ende naht, ziehen sich zurück. Instinktiv wollen sie sich und ihre Artgenossen vor Feinden schützen. Auch eine Hauskatze oder ein Hund wird ähnliches empfinden. Sie bereiten sich auf das Sterben vor. Nicht in Panik und Todesangst, sondern in der Gewissheit, dass ihre Zeit gekommen ist und sie gehen müssen.

Ein altes Tier adoptieren

Was ist zu viel, was zu wenig Fürsorge im Alter? „Ich würde immer individuell entscheiden“, meint Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. „Wer sein Tier kennt, merkt, ob es betüttelt und gestreichelt werden will. Mancher Vierbeiner zieht sich zurück und will allein sein. Auch das muss der Mensch akzeptieren.

Zurück zu Tigger, dem Helden dieser Geschichte. „Das Wichtigste ist, dass Tiggers Geschichte zeigt, wie schön es ist, ein altes Tier zu adoptieren und ihm die besten verbleibenden Tage zu schenken“, lässt Adriene Buisch via Facebook die Welt wissen. „Er hat unsere Herzen für immer verändert und wird hoffentlich auch viele andere Herzen beeinflussen, wenn es darum geht, alte Tiere zu adoptieren.“