Beste Freunde: Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe an der Universität Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle, mit seiner Eurasier-Hündin. Foto:  

Können Hunde und Katzen mit Menschen Freundschaft schließen? Der Wiener Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal über die Sozialpartnerschaft von Mensch und Tier.

Stuttgart - – Herr Professor Kotrschal, was bedeutet für Sie Freundschaft? Was heißt es, ein Freund zu sein?
Freunde sind Individuen, die viel Zeit miteinander verbringen. Es geht um soziale Verträglichkeit, Toleranz und das Aktivieren des Beruhigungssystems.
Wie wichtig ist Freundschaft für Menschen und Tiere?
Unsere Stresssysteme werden durch angenehme soziale Kontakte deaktiviert. Da gibt es keinen Unterschied zwischen menschlichen Freunden und Tieren, den sogenannten Kumpan-Tieren. Wenn die Beziehung okay ist, entfalten sie bei beiden dieselben positiven Wirkungen auf Psyche und Physiologie. Gelegentlich sogar noch bessere, etwa weil man sich bei menschlichen Freunden davor hütet, sich zu blamieren.
Menschliche Freunde sind oft schwierig, achten auf Etikette und Stil. Ein falsches Wort – und vorbei ist’s mit der Freundschaft.
Hunden, Katzen oder sonstigen Kumpan-Tieren ist so etwas völlig egal. Aber die tiefen sozialen Mechanismen sind zwischen Mensch und Tier tatsächlich identisch. Es geht um Zuwendung und Verständnis.
Gibt es einen Unterschied zwischen Hunden und Katzen hinsichtlich der Freundschaft mit Menschen?
Katzen sind besonders interessant, weil sie nicht solche ausgeprägten Bindungstiere sind wie Hunde. Es gibt aber auch Katzen, die sehr stark an bestimmte Menschen gebunden sind. Manche betrachten ihre Menschen auch bloß als Futterautomaten. Hunde können dagegen nicht anders: Sie sind gebunden und müssen nett sein. Das ist deren Lebensinhalt.
Woher rührt diese Verhaltensweise beim Hund?
Hunde stammen von Wölfen ab und ticken sozial ähnlich wie Wölfe. Der Wolf ist ein Rudeltier, das meistens Beziehungen zu allen Mitgliedern des Rudels hat. Hunde leben genauso gruppenorientiert wie Wölfe – mit gewissen Präferenzen. In der Familie haben Hunde meist eine bevorzugte Person.
Empfinden Hunde und Katzen Menschen als ihresgleichen?
Da ich keine Katze und kein Hund bin, weiß ich das nicht. Wir wissen aber, dass die grundlegenden Mechanismen die gleichen sind. Hunde und Katzen haben ein fast identisches soziales Gehirn wie der Mensch. Deshalb ist auch anzunehmen, dass sie ähnlich wahrnehmen wie wir. Wenn der Mensch einen Hund streichelt, gibt es bei beiden einen Ausstoß des Bindungshormons Oxytocin. Es handelt sich hierbei um eine sehr symmetrische Beziehung. Ich denke, das ist bei Hunden und Katzen nicht anders.
Die Katze stammt von der Wildkatze ab. Merkt man das noch in ihrem Sozialverhalten?
Hauskatzen sind im Vergleich zu ihrer wilden Stammform sozialer geworden, wahrscheinlich durch Domestikation. Sie stammen nun mal nicht von hochsozialen Kooperationstieren ab. Miteinander etwas tun und kooperieren ist den Katzen eher wesensfremd.
Sie haben die Beziehung zwischen Tier und Mensch sehr biologisch erklärt . . .
. . .  Gibt es im Grunde eine andere Welt als die der Biologie? Eine Katze ist mehr oder weniger ein Einzelwesen, das hin und wieder gerne sozial ist. Bei Hunden hat sich gegenüber Wölfen, was die Kooperationsbereitschaft und das soziale Leben angeht, nicht viel geändert.
Worin unterscheidet sich die Freundschaft des Menschen zu einem Hund beziehungsweise einer Katze?
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Hund und Katze. Man hat den Eindruck, dass das Bindungssystem bei Katzen wesentlich gestaltungsfähiger als bei Hunden. Ein Hund kann nicht anders. Er muss sich binden. Bei Katzen hängt das von dem jeweiligen Menschen ab und den Genen. Wir wissen, dass Nachkommen von eher distanzierten Katern ebenfalls eher distanzierende Wesen sind.
Wie nehmen der Mensch, der Hund und die Katze gegenseitige freundschaftliche Gesten wahr?
Körperkontakt, Interaktionen oder Streicheln wird beim Mensch und Hund ähnlich wahrgenommen. Das ist eine universale Eigenschaft. Alle Säugetiere haben wie der Mensch einen Hauthunger. Miteinander etwas tun, tolerant sein, das Ankurbeln von wechselseitiger Fürsorge – das machen Hunde und Katzen auch gegenüber dem Menschen. Da wird geleckt und geschleckt.
Der Mensch kann gegenüber seinem Tier nicht nur nehmen, er muss auch geben. Spürt das Tier so etwas?
Ja, aber umgekehrt gilt das genauso. Was Menschen oft übersehen, sind die Veränderungen, die Tiere in einer Familie mit sich bringen. Das Zeitbudget und die Kommunikationsmuster in der Familie ändern sich mit einem Hund oder einer Katze. Nicht nur Hund und Katze passen sich an den Menschen an, das gilt auch umgekehrt. Die Menschen stellen wegen einem Tier mitunter ihr ganzes Leben um.
Das hört sich so an, als ob Mensch-Tier-Freundschaften nicht grundlegend von denen zwischen Menschen zu unterscheiden wären.
Aus biologischer Sicht ist das Verhältnis von Tier und Mensch eine echte Sozialpartnerschaft und Freundschaft. Es muss aber nicht sein. Der Hund im Zwinger ist weniger ein Sozialpartner. In der Regel ist das ein Geben und Nehmen. Wenn in einer menschlichen Beziehung der eine nur gibt und der andere nur nimmt, dann wird die Beziehung nicht ewig halten.
Gibt es so etwas wie Liebe zwischen Mensch und Tier?
Biologen reden lieber von Empathie. Bei Menschen ist diese selbstverständlich vorhanden. Für manche Menschen haben Tiergefährten eine größere Bedeutung als andere Menschen, weil unter Umständen die Beziehung auf einer viel tieferen emotionalen Basis funktioniert als mit den Mitmenschen.
Wie das?
Menschen fühlen sich von ihresgleichen immer beurteilt. Man versucht gegenüber anderen nichts falsch zu machen. Tieren ist das völlig egal. Ob ich im Pyjama oder im Anzug mit Krawatte durch die Gegend laufe, ist dem Hund einerlei.
Gibt es Grenzen der Freundschaft zwischen Mensch und Tier?
Wie im zwischenmenschlichen Bereich gibt es auch hier nahezu pathologische Beziehungskollusionen. Manche Menschen neigen dazu, sowohl unglaublich zu klammern als auch Konflikte permanent auszutragen. Einerseits streiten sie wie die Hölle, andererseits können sie keine Minute ohne den anderen auskommen. Das wäre ein typisches Beispiel für die Ambivalenz zwischenmenschlicher Beziehungen.
Und solche Verhaltensweisen gibt es auch gegenüber tierischen Freunden?
Natürlich. Ähnliches kann auch zwischen Menschen und Tieren existieren. Und dann gibt es noch einen gewissen Anteil von Partnerschaften, die schief gehen. Wo das Tier für den Menschen nur noch ein Stressfaktor darstellt und umgekehrt und Tiere im Tierheim landen. Das ist ein Beispiel für gescheiterte Beziehung.
Kann das Tier die innige Liebe, die der Mensch ihm gegenüber vermittelt, auch spüren?
Da bin ich mir sehr sicher. Ich weiß zwar nicht, wie ein Hund oder eine Katze Liebe empfinden. Das Rüstzeug im Gehirn und die Physiologie, die dazugehören, sind aber exakt dieselben wie beim Menschen, das Verhalten auch.
Wie wichtig sind bei Tieren die geistigen Fähigkeiten, um eine Freundschaft untereinander und mit einem Menschen einzugehen? Muss es sich immer um ein höheres Säugetier handeln?
Um sich in den anderen einfühlen zu können, braucht man keine hohen kognitiven Mechanismen. Wir spüren wie unser Hund und unsere Katze drauf sind. Umgekehrt können Tiere das auch. Hunde können sehr gut menschliche Mimik lesen und Emotionen imitieren. Dasselbe dürfte auch für Katzen gelten.
Tiere sind wie Türöffner für die menschliche Seele. Welche Bedeutung haben sie als Weggefährten?
In der Pädagogik und Therapie werden Tiere häufig eingesetzt, wenn es Kommunikationsprobleme zwischen Betreuern und Betreuten gibt. Das funktioniert fast immer. Ein Hund ist einfach da und verbessert die Kommunikation zwischen Menschen. Für viele Menschen sind ihre Kumpan-Tiere soziale Unterstützer. Hunde sind exzellente Puffer für Kinder, die in sozialen Verhältnissen aufwachsen, die nicht sehr entwicklungsfördernd und sogar traumatisierend sind.
Und wie ist das bei älteren Menschen?
Bei ihnen ist das genauso. Hunde sind als soziale Tiere bestens dafür geeignet, nicht in Altersdepression zu verfallen. Mit einem Hund geht man Gassi, man spricht mit anderen Menschen. Hunde sind wie ein soziales Schmiermittel gegen die desaströse Altersdepression.
Haben Tiere einen siebten Sinn?
Natürlich nicht im naturwissenschaftlichen Sinn. Hunde und Katzen kommunizieren auch nicht besser mit dem lieben Gott als Menschen. Er flüstert ihnen auch nicht mehr ins Ohr wie uns Menschen. Aber ich anerkenne durchaus, dass es Dinge geben mag, die noch nicht erfassbar sind. Aber nur, weil man etwas naturwissenschaftlich nicht nachweisen kann, ist das noch lange kein Beleg dafür, dass es auch wirklich existiert.
Glauben Sie, dass Tiere in den Himmel kommen?
Schon diese Frage ist Ausdruck der jahrtausendealten „Emanzipation“ des Menschen vom Tier und von der Natur. Wir haben in unserer abendländischen Geschichte alles getan, um Menschen aufs hohe Podest zu heben und gegenüber anderen Tieren abzugrenzen. Wenn ich an die Seele und an den Himmel glaube, dann gibt es keinen Grund, dass wir Menschen dahin kommen, Hunde oder Katzen aber nicht.
Sie glauben also, dass der Himmel offen steht für alle Lebewesen?
Da ich nicht der liebe Gott bin, kann ich diese Frage nicht beantworten. Aber es gibt keinen Grund das nicht anzunehmen. Warum sollten wir in den Himmel kommen und Tiere nicht? Alle Dinge sind in unterschiedlichem Maße beseelt. Das ist zumindest seit Hunderttausenden von Jahren die spirituelle Grundüberzeugung des Menschen.
Wenn ein geliebtes Tier stirbt, was geht in einem Menschen vor?
Wenn man beispielsweise einen Hund verliert, ist das wie wenn man einen Menschen verliert. Wir hatten immer zwei Hunde. Da ich aber beruflich mit zwölf Wölfen und 19 Hunden voll ausgelastet bin, an die alle gebunden bin, reicht mir ein Hund privat vollkommen. Eine Eurasierin, sie ist neun Jahre alt.
Gibt es individuelle Freundschaften zwischen Tier und Mensch?
Jede Freundschaft ist einmalig. Sie besteht nicht nur aus den Eigenschaften der beiden Partner, sondern darin, was zwischen den beiden entsteht. Jede Partnerbeziehung ist einzigartig – sowohl bei Tieren als auch bei Menschen. Wenn man einen Partner verliert, halte ich es nicht für klug, sich gleich den nächsten Partner anzulachen und zu versuchen, die verlorene Partnerschaft mit einem neuen Partner zu leben. Das läuft meistens schief.

Zur Person

1953 geboren in Linz
Bis 1979 Studium der Biologie in Salzburg
1981 Promotion
1987 Habilitation
1981-1989 Assistenzprofessor an der Universität Salzburg
1989- 1990 Assistant Visiting Professor an der Universität Colorado, Denver (USA)
Seit 1990 leitet er als Nachfolger des Zoologen und Nobelpreisträgers Konrad Lorenz die Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau, Almtal/Österreich
Professur für Verhaltensbiologie an der Universität Wien
2008 Gründung des Wolf Science Center in Grünau, ab 2009 in Ernstbrunn

Buchtipp

Kurt Kotrschal, Einfach beste Freunde. Warum Menschen und andere Tiere einander verstehen, Brandstätter-Verlag, Wien 2014, 216 Seite, 22,50 Euro