Hatschi! Die Pollen fliegen schon wieder. Foto: dpa/Angelika Warmuth

Die Pollensaison hat begonnen – zum Leid aller Heuschnupfengeplagten. Torsten Zuberbier von der Berliner Charité erklärt, warum Allergien zunehmen und welche Therapien Erfolg versprechen.

Der Mediziner Torsten Zuberbier führt die Zunahme von Allergien unter anderem auf Umwelteinflüsse und veränderte Essgewohnheiten zurück. Bei richtiger Behandlung könnten Allergiker aber weitgehend beschwerdefrei leben.

Herr Zuberbier, immer mehr Menschen klagen über Allergien. Achten die Leute heute nur mehr auf die Symptome, oder gibt es tatsächlich einen Anstieg?

Aus wissenschaftlicher Sicht besteht kein Zweifel, dass Allergien in den letzten 100 Jahren massiv zugenommen haben. Besonders stark sieht man das bei Atemwegsallergien, aber auch bei Nahrungsmittelallergien. Es gibt objektive Befunde, die diesen Anstieg belegen – beispielsweise Daten von Rekruten in der Schweiz, die seit 1929 mit denselben Methoden getestet wurden.

Warum entwickeln Menschen überhaupt Allergien?

Allergien beruhen auf einer Überreaktion des Immunsystems. Eine starke Immunabwehr war in der menschlichen Evolution ein großer Vorteil. Ein gutes Immunsystem schützt vor schweren Infektionskrankheiten und auch vor bestimmten Arten von Krebs. Es reagiert aber auch leicht auf eigentlich harmlose Substanzen wie Pollen oder bestimmte Nahrungsmittel. Rund 60 Prozent der Menschen haben eine genetische Veranlagung für Allergien. Wenn Eltern an Allergien leiden, haben auch ihre Kinder ein höheres Risiko.

Und woher kommt die Zunahme in den letzten Jahrzehnten?

Da spielen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen die Umweltverschmutzung. An Pollenkörnern haften heute viele Feinstaubpartikel, wodurch die Atemwege noch stärker gereizt werden. Zudem fliegen Pollen durch den Klimawandel immer früher. Hinzu kommen veränderte Essgewohnheiten, die sich negativ auf das Mikrobiom im Darm auswirken, welches wiederum das Immunsystem beeinflusst. An der Charité haben wir dazu Versuche mit Probanden in der Pollenkammer durchgeführt.


Mit welchem Ergebnis?

Eine positive Veränderung des Mikrobioms kann die Beschwerden infolge intensiven Kontakts mit Pollen um 30 bis 40 Prozent verringern. Wir wissen aber auch, dass es nicht so einfach ist, das Darmmikrobiom zu verbessern. Da gibt es noch viel Forschungsbedarf. Man kann aber schon sagen, dass ballaststoffreiche Nahrung sich positiv auswirkt. Vollkornprodukte sind im Hinblick auf Allergien also besser als Weißmehl.

Es gibt auch die Hygienehypothese, wonach eine zu saubere, keimarme Umgebung Allergien begünstigt.

Diese Hypothese stimmt. Man hat beobachtet, dass Kinder, die viel Zeit in Kuhställen verbringen und nicht pasteurisierte Milch trinken, seltener Allergien haben als solche aus eher städtischem Milieu. Allerdings gibt es auch hier eine dramatische Veränderung in der Zeit: Kinder von Bauernhöfen haben zwar auch heute weniger Allergien, aber die Häufigkeit ist bei ihnen zehnmal so hoch wie bei Kindern, die vor 100 Jahren unter ähnlichen Bedingungen aufgewachsen sind.

Sie sehen in Luftschadstoffen einen wichtigen Faktor für Allergien. Tatsächlich ist die Luft bei uns in den letzten Jahrzehnten sauberer geworden. Wie passt das zusammen?

Die Schadstoffbelastung ist definitiv gesunken. Aber auch niedrige Konzentrationen reichen aus, um Pollen aggressiver zu machen. Das ist recht gut untersucht. Man muss auch bedenken, dass es Unterschiede zwischen einzelnen Schadstoffen gibt. Auch Zigarettenrauch erhöht das Allergierisiko.

So entsteht eine Allergie. Foto: Zapletal

Welche Rolle spielt Stress? Der beeinflusst ja auch das Immunsystem.

Nach derzeitigem Wissensstand kann sich Stress tatsächlich auf den Schweregrad von Allergien auswirken. Es gibt aber bislang keine Belege dafür, dass Stress auch die Entstehung von Allergien begünstigt.

Worauf kommt es bei der Behandlung an?

Leider werden Allergien immer noch zu oft trivialisiert. Nach dem Motto: Das halte ich schon mal ein paar Tage aus, und Medikamente nehme ich sowieso nicht so gerne. Deshalb werden nur ungefähr zehn Prozent der Betroffenen so behandelt, wie es eigentlich nötig wäre. Dabei kann man mit der richtigen Behandlung nach einer Zeit praktisch ohne Beschwerden leben. Es geht auch um die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Ein Kind mit einer unbehandelten Allergie verschlechtert sich Studien zufolge mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent bei einer Klassenarbeit um mindestens eine Note.

Und was ist mit den Nebenwirkungen der Medikamente?

Die Präparate wurden ständig weiterentwickelt und haben heute kaum noch Nebenwirkungen. Moderne Antihistaminika machen nicht mehr müde, weil sie nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren und moderne Kortisonpräparate führen nicht zu erhöhten Blutspiegeln. Sie können daher an Nase und Lunge langfristig eingesetzt werden. Auch eine Hyposensibilisierung sollte unbedingt bedacht werden. Hier muss jedoch zusammen mit dem Arzt sehr individuell das richtige Präparat bestimmt werden.


Warum ist die Behandlungsquote trotz verbesserter Medikamente so niedrig – auch bei Kindern?

Gerade Eltern haben oft die Sorge, dass Medikamente etwas Gefährliches sind und wollen ihrem Kind deshalb nicht vorbeugend ein solches Präparat geben. Dabei ist gerade eine frühe Behandlung besonders wichtig. Ich vergleiche die Antihistaminika gerne mit einem Regenschirm. Den muss man aufspannen, bevor der Regen fällt. Sonst wird man nass. Idealerweise sollte man mit den Antihistaminika kurz vor dem Pollenflug anfangen. Doch viele nehmen die Tabletten erst dann, wenn sie schon starke Symptome haben.

Auch wer bislang nicht allergisch war, kann eine Allergie entwickeln. Worauf sollte man achten?

Wenn man jetzt im Frühjahr merkt, dass die Nase kribbelt, sollte man das nicht gleich als Erkältung abtun. Wenn es länger als ein bis zwei Wochen anhält, ist eine Allergie nicht unwahrscheinlich. Dann lohnt es sich auch mal, beim Arzt eine Diagnostik durchzuführen. Denn je eher man mit der Behandlung anfängt, desto eher lässt sich verhindern, dass sich eine Allergie verstärkt.

Allergien im Fokus

Experte
 Torsten Zuberbier (62) ist Direktor des Instituts für Allergieforschung an der Berliner Charité. Zudem ist er Direktor des Standortes Allergologie und Immunologie des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie. Zuberbier steht der Europäischen Stiftung für Allergieforschung vor und ist Präsident des Global Allergy and Asthma Excellence Network.

Informationen
 Aktuelle Pollenflugprognosen und allgemeine Informationen zum Thema Pollenallergien findet man auf der Website der Deutschen Stiftung Polleninformationsdienst (www.pollenstiftung.de). Demnach steigt derzeit die Belastung mit Pollen von Eschen, Pappeln, Ulmen und Weiden sowie von Zypressengewächsen.