So kennen alte Echterdinger das Waldheim noch (das Bild entstand um 1960 Foto: Stadtarchiv Leinfelden-Echterdingen

Das Waldheim Echterdingen ist ein beliebtes Ausflugsziel. Wenig bekannt ist seine wechselvolle Geschichte während der Herrschaft der Nationalsozialisten.

Echterdingen - Vor 80 Jahren, in der Endphase der Weimarer Republik, weihte der sozialdemokratische Arbeiterverein Echterdingen das Waldheim feierlich ein. Nach der sogenannten Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde es zu einem Heim für die Hitler-Jugend (HJ). 1947 kam das Waldheim wieder an die SPD zurück. Seit 1964 wird es vom Waldheimverein Echterdingen betrieben.

Die Einweihung des Waldheims am 4. September 1932 bedeutete einen Höhepunkt in der Geschichte des 1901 gegründeten Arbeitervereins Echterdingen. Im Filder-Boten vom 5. September 1932 war unter der Überschrift „Waldheimweihe des Arbeitervereins Echterdingen“ zu lesen: „Am Sonntag, den 4. Septbr. feierte der Arbeiterverein Echterdingen seine Waldheimeinweihung, verbunden mit der Weihe der Kriegergedächtnisstätte seiner im Weltkrieg gefallener(!) und verstorbener(!) Mitglieder … Ein Vormittag voller Sonnenschein und Freude über das wohlgelungene Kulturwerk ließ die Herzen auch in dieser schweren Zeit, höher schlagen ... Das geschaffene Waldheim mit seiner herrlichen Lage trage die Möglichkeit in sich, allen Menschen Stunden der Erholung und des geselligen Beisammenseins zu geben; das geschaffene Waldheim sei der Ausdruck selbstloser Arbeit zum Wohle des Ganzen ...“

Mit viel Mühe errichtet

Mit viel Mühe errichtet

Es waren Mitglieder des sozialdemokratischen Arbeitervereins Echterdingen, die das Waldheim im Gewann „Sternlesberg“ als einfache Blockhütte „mit viel Mühe in Gemeinschaftsarbeit“ errichteten. Seine heutige Gestalt erhielt es erst durch den Umbau und die grundlegende Erneuerung in den 60er Jahren.

Gleichzeitig mit dem Waldheim wurde ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen 15 Mitglieder des Arbeitervereins eingeweiht. Schöpfer des Gedenksteins war der Steinhauer Josef Rothmund, ein Gründungsmitglied des Arbeitervereins Echterdingen. Das in Form eines rechteckigen Gedenksteins mit zentraler Schriftplatte errichtete Kriegerdenkmal ist heute als Ganzes nicht mehr erhalten. Lediglich die steinerne Platte mit den kaum noch lesbaren Namen der 15 Opfer existiert noch. Sie befindet sich hinter dem Waldheim-Gebäude.

Die Waldheim-Idee

Die Waldheim-Idee

Die Waldheime waren eine Besonderheit der Stuttgarter Arbeiterbewegung. Den Arbeitern und ihren Familien sollte damit die Möglichkeit gegeben werden, sich an den Wochenenden vom tristen Fabrikalltag im Grünen zu erholen, Sport zu treiben und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Kinder konnten spielen. Konsumzwang – wie in bürgerlichen Gaststätten – bestand nicht. Geistiger Vater der Waldheimidee war Friedrich Westmeyer (1873-1917), der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Stuttgart, Landtagsabgeordneter und Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Schwäbische Tagwacht.“ So entstanden zwischen 1908 und 1912 in Heslach, Sillenbuch, Gaisburg, Zuffenhausen, Wangen und Hedelfingen die ersten Waldheime, und zwar nicht im „Kessel“, sondern immer in Hanglage.

Die SPD – lange die traditionelle politische Vertretung der Arbeiterschaft – nahm nach der Aufhebung der Sozialistengesetze im Jahr 1890 einen großen Aufschwung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auch auf den Fildern zahlreiche Arbeitervereine oder sozialdemokratische Ortsvereine gegründet. 1901 war dies auch in Musberg, 1902 in Leinfelden, 1903 in Steinenbronn und 1918 in Stetten der Fall.

Fundamentaler Strukturwandel

Die Entstehung der Arbeitervereine war eine Folge des fundamentalen wirtschaftlichen Strukturwandels, der um die Jahrhundertwende auch in den zuvor ausschließlich landwirtschaftlich geprägten Fildergemeinden begonnen hatte: Die Rede ist von der Industrialisierung, die in Württemberg um 1850 verstärkt einsetzte und auch die Landeshauptstadt erfasste.

Aus den ehemals reinen Bauerndörfern auf den Fildern wurden nun auch Arbeiterwohngemeinden. Dabei kam der eigenen Industrieansiedlung zunächst kaum Bedeutung zu. Als Stuttgart jedoch um 1900 zur größten Industriestadt Württembergs wurde, erschlossen sich für die Bevölkerung auf den Fildern mit einem Mal Arbeitsplätze. Mit ihrem großen Bedarf an Arbeitskräften boten die Stuttgarter Industrie und das dortige Baugewerbe der weniger wohlhabenden Bevölkerung des Umlands neue Verdienstmöglichkeiten und damit neue Lebensperspektiven.

Eine Arbeiterkultur entsteht

Eine Arbeiterkultur entsteht

Damit entstand eine völlig neue gesellschaftliche Schicht: die am Ort ansässige Arbeiterschaft, die mit der Filderbahn oder dem Fahrrad nach Stuttgart zur Arbeit pendelte und häufig selbst noch über einen kleinen landwirtschaftlichen Grundbesitz verfügte. Die alte wirtschaftliche und politische Einheit existierte damit jedoch nicht mehr. Mit der Arbeiterbewegung kamen eine eigene Arbeiterkultur und ein eigenes Vereinswesen. Das Arbeitermilieu stand in scharfem Gegensatz zum traditionellen landwirtschaftlich-protestantischen Milieu und seinem konservativen Wertesystem. Zwischen Bauern und Arbeitern bestand ein sozialer, kultureller und nicht zuletzt ein politischer Gegensatz. Die SPD – später auch die KPD – wurde immer mehr zur Konkurrenz für die etablierten Parteien. Dies war in Echterdingen und den anderen Fildergemeinden in erster Linie der Württembergische Bauern- und Weingärtnerbund, eine rechtskonservative Interessenpartei mit antisemitischem Einschlag.

Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 kam es auch auf den Fildern zu einem politischen Erdrutsch: Der größte Teil der landwirtschaftlich-protestantischen Bevölkerung wählte nun NSDAP. In Echterdingen erzielte die Hitler-Partei mit 51,4 Prozent der Stimmen einen großen Erfolg (auf Reichsebene kam sie auf 37,4, in Württemberg auf 30,5 Prozent). Die SPD hingegen erreichte in Echterdingen immer noch 27,3 Prozent und blieb die zweitstärkste Kraft.

Härte und Brutalität

Härte und Brutalität

Das neu erbaute Waldheim hieß im Volksmund „Reichsbannerhütte“. Wie kam es zu dieser Bezeichnung? Seit der Jahreswende 1930/1931, als sich die Weltwirtschaftskrise voll auszuwirken begann, nahmen auch in Württemberg die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien an Härte und Brutalität zu. Der Kampf um die Staatsgewalt verlagerte sich in der Endphase der Weimarer Republik immer mehr von der Wahlurne auf die Straße.

Die beiden radikalen Flügelparteien NSDAP und KPD bekämpften die Republik aufs Entschiedenste. Beide legten bei den Reichstagswahlen 1930 und 1932 zu und beherrschten mit ihren Kampfverbänden, der SA (= Sturmabteilung) und dem Roten Frontkämpferbund, mehr und mehr die Straße. Die Kampf- oder Wehrverbände hatten paramilitärischen Charakter; sie waren quasi Bürgerkriegsarmeen zur Einschüchterung und Bekämpfung des politischen Gegners.

Prügelei auf der Straße

Prügelei auf der Straße

Vorsitzender des Echterdinger Reichsbanners war Friedrich Moltenbrey, der bis 1933 nicht nur Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Echterdingen, sondern auch Kreisvorsitzender der SPD (Amtsoberamt Stuttgart) war. Moltenbrey und seine Familie wurden im August 1931 Opfer eines Übergriffs der SA: 200 Angehörige der SA-Standarte 119 beschossen ihr Haus an der Stettener Straße, schlugen die Fensterscheiben ein und verprügelten Moltenbrey.

Im Vorfeld zahlreicher Wahlen kam es auf den Fildern mehrmals zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der SA und dem Reichsbanner. Ein Zeitzeuge (Jahrgang 1928) hat als Kind 1932 in Echterdingen eine Auseinandersetzung zwischen der SA und dem Reichsbanner miterlebt: „Eines Tages marschierten braun uniformierte Männer (der SA) in militärischer Marschordnung mit Gesang durch unsere Straße (die Hauptstraße). Kurz darauf brausten Lastwagen mit grün uniformierten Männern (Reichsbanner) heran, hielten und mit Geschrei gingen Grüne und Braune aufeinander los. Erwachsene Männer schlugen sich mit Schulterriemen und anderen Gegenständen blutig. In Württemberg, auf dem Dorf, vor unserem Haus!“

Das Ende der SPD und des Waldheims

Das Ende der SPD und des Waldheims

Am 30. Januar 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Wenig später wurde die SPD – wie alle anderen politischen Parteien – verboten und die NSDAP per Reichsgesetz zur Monopol-Partei erklärt. Im März des Jahres 1933 setzte auch auf den Fildern eine große Verhaftungswelle ein. Zahlreiche Kommunisten und Sozialdemokraten wurden in das berüchtigte „Hotel Silber“, das Polizeigefängnis der Stuttgarter Gestapo-Zentrale, oder in das Konzentrationslager auf dem Heuberg bei Stetten am Kalten Markt verbracht. Allein im Bereich der heutigen Städte Leinfelden-Echterdingen und Filderstadt waren hiervon mindestens 46 Regimegegner betroffen.

Das Waldheim wird HJ-Heim

In Anbetracht dieser Situation konnte sich der Arbeiterverein Echterdingen nicht lange an seinem neuen Waldheim erfreuen. Im Mai 1933 wurden die SPD-Orts- und Arbeitervereine in Echterdingen, Leinfelden, Stetten und Musberg aufgelöst. Am 11. Mai 1933 konfiszierten die Nationalsozialisten das Waldheim und zogen das Parteivermögen ein. Beim Kassier des Sozialdemokratischen Vereins Echterdingen wurden die Kassenbücher und das Vereinsvermögen beschlagnahmt. Von dem der Ortsgruppe angegliederten Arbeiterverein wurde das Vermögen beschlagnahmt. Bargeld war nicht vorhanden, dagegen wurde das im Gewann Sternlesberg erstellte Waldheim im Wert von 1200 Reichsmark, welches mit 600 Reichsmark Schulden belastet war, beschlagnahmt.

Das Waldheim wird HJ-Heim

Die NSDAP übergab das Waldheim für 300 Reichsmark zunächst der Gemeinde Echterdingen, die dem Arbeiterverein seinerzeit das Grundstück überlassen hatte. Wohl auf Druck der Partei stellte die Gemeinde das Gebäude dann für die Hitler-Jugend (HJ) als Versammlungsraum zur Verfügung – eine Demütigung des politischen Gegners.

Während sich das Echterdinger Jungvolk im ehemaligen Brauereigebäude an der Hauptstraße traf, kamen die älteren HJ-Mitglieder nun im ehemaligen Waldheim zusammen und wurden dort politisch indoktriniert. Ein Echterdinger Zeitzeuge (Jahrgang 1920) berichtet: „Immer mittwochs um 20 Uhr begann der HJ-Dienst. Man marschierte vom Treffpunkt alte Schule, rund 30 Mann, durch den Ort die Tübinger Straße hinaus, zum ehemaligen SPD-Waldheim. Hier war es ganz romantisch. Es gab kein elektrisches Licht, nur zwei Sturmlaternen. Da saßen wir dann auf harten Holzbänken an rohgezimmerten Tischen und lauschten den NS-Parolen. Gespenstisch wirkten die vorgetragenen Sprechchöre im nur dürftig erleuchteten Raum.“

Das Waldheim nach 1945

Das Waldheim nach 1945

Im März 1947 beantragte der SPD-Ortsverein die Rückgabe des Waldheims. Der Gemeinderat mit seinem neuen Vorsitzenden, dem Bürgermeister Friedrich Moltenbrey, stimmte dem zu. Im Jahr 1964 gründeten einige SPD-Mitglieder den Waldheimverein Echterdingen, der heute rund 100 Mitglieder zählt. Die Vereinsgründung war die Grundlage für einen Pachtvertrag mit der Gemeinde zur Weiterführung des Waldheims. Die anfänglich enge Bindung an die Sozialdemokraten wurde bald gelöst, so dass der Verein heute die angestrebte Parteiunabhängigkeit erreicht hat. Durch den Umbau in den Jahren 1966 bis 1968 erhielt das Waldheim seine heutige Gestalt.