Wieder einmal wird über das Kindergeld diskutiert. Foto: dpa

Der Fiskus zahlt das volle Kindergeld auch dann, wenn Söhne und Töchter im EU-Ausland leben. Das versteht keiner. Dennoch ist die Debatte völlig überzogen, meint Politikredakteur Roland Pichler.

Berlin - Wieder ist die Aufregung groß. Dass eine Nachrichtenagentur reißerisch einen „brisanten Rekord“ vermeldet, entfacht eine alte Debatte neu. Die Frage ist: Warum erhalten in Deutschland tätige EU-Ausländer das volle deutsche Kindergeld, wenn ihre Töchter und Söhne nicht hier, sondern in der Heimat leben? Vergleichsweise oft sind Polen, Tschechen und Ungarn empfangsberechtigt. Länder wie Rumänien und Bulgarien liegen nicht an der Spitze der EU-Staaten, in die besonders viel Kindergeld überwiesen wird. Dennoch stößt der bloße Umstand, dass Geld in diese Länder fließt, auf breites Unverständnis – schon deshalb, weil die Lebenshaltungskosten anderswo geringer sind. Damit werden Anreize für die Einwanderung in die Sozialsysteme geschaffen.

Auch mehr Deutsche bekommen Kindergeld

Dennoch ist das nicht der Kern des Problems. In der aktuellen Debatte kommen die Zusammenhänge viel zu kurz. Wenn von „Rekord“ die Rede ist, ist der Hinweis erforderlich, dass die Kindergeld-Zahlungen ständig neue Höchststände erreichen. Auch die Zahl der deutschen Empfänger wächst. Der Fiskus zahlt für knapp 15 Millionen Jungen und Mädchen Kindergeld – davon leben rund 268 000 im EU-Ausland. Soviel zu den Dimensionen. Weil die Konjunktur in Deutschland brummt, finden auch viele EU-Bürger hierzulande Arbeit. An jeden Arbeitnehmer und Selbstständigen zahlt die Familienkasse Kindergeld – unabhängig davon, wo die Kinder leben. In den meisten Fällen mit Auslandsbezug handelt es sich nicht um ein Erschleichen von Leistungen. Häufig arbeitet ein Beschäftigter etwa nur befristet in Deutschland, der Ehepartner und die Kinder bleiben in der Heimat. Das ist Alltag im gemeinsamen Europa und nicht zu beanstanden. Schließlich führen diese Arbeitnehmer auch Steuern an den deutschen Staat ab.

Deshalb ist es voreilig, die Auslandszahlungen unter Generalverdacht zu stellen. In den meisten Fällen handelt es sich um ganz normale Beschäftigungsverhältnisse. Das lässt sich auch daran ablesen, dass etwa viele hier lebende französische Eltern für ihre Kinder jenseits des Rheins das deutsche Kindergeld beziehen. Insgesamt macht das wenig aus. Von rund 36 Milliarden Euro, die der Staat jährlich an Kindergeld zahlt, entfällt auf die Fälle mit Auslandsbezug nur ein Bruchteil.

Dennoch stört dies das Gerechtigkeitsempfinden der Bürger. Die Bundesregierung hat darauf nach dem Vorpreschen der CSU reagiert. Die Regelungen wurden verschärft. So nehmen die Familienkassen nur noch Anträge an, wenn Antragsteller eine Steuernummer haben. Und die rückwirkende Beantragung wurde eingeschränkt.

Der Staat muss schärfer kontrollieren

In einem Punkt scheiterte der Bund jedoch: Die Regierung durfte die Leistungen für Kinder, die in anderen EU-Staaten wohnen, nicht an die Kaufkraft im jeweiligen Land anpassen. Dafür gab die EU-Kommission kein grünes Licht. Brüssel lässt nicht mit sich reden. Dabei war Europa in den Verhandlungen schon einmal weiter. Bevor es zum Brexit kam, bot die EU Großbritannien an, dass Kindergeld-Kürzungen je nach Wohnsitz möglich sein sollen. Mit dem Austritt der Briten geriet die Offerte in Vergessenheit. Die EU wäre gut beraten, das Angebot einzulösen. Damit könnte die Entfremdung zu den Bürgern abgebaut werden.

Dass nichts passiert, ist vor allem für Städte wie Duisburg, Bremen und Berlin ärgerlich. Sie beklagen den Missbrauch der Steuerförderung. Mit gefälschten Papieren versuchen Betrüger aus Rumänien und Bulgarien den großen Reibach zu machen. Dagegen muss die Verwaltung mit verstärkten Kontrollen vorgehen. Völlig unangebracht ist aber, alle Kindergeld-Zahlungen an EU-Ausländer in Misskredit zu bringen.

roland.pichler@stzn.de