Wahrzeichen, Blickfang, prägendes Element der Stadtsilhouette: Die Befestigungsanlage zeugt vom Selbstbewusstsein der Stadt. Foto: Ines Rudel

Streng genommen ist die Bezeichnung Esslinger Burg falsch. Dennoch ist die Befestigungsanlage in ihrer Form einmalig – und ein Besuch lohnt sich. Unser Ausflugstipp.

Edle Kämpfer, die ihre Rüstungen aufpolieren. Schmucke Sänger, die ihre Minnelieder vortragen. Hochwohlgeborene Damen, die ihrem Gesang lauschen. Die romantisch-gängigen Vorstellungen von Burgen greifen nicht. Ritter, Knappen und Edelfräulein haben die Esslinger Burg nie bewohnt. Doch abseits abgegriffener Klischees und fernab historischer Vereinnahmungen ist die Anlage hoch über der Stadt ein Wahrzeichen bürgerlichen Selbstbewusstseins. Die Fantasie bekommt hier Flügel. Denn die frei zugängliche Anlage kann trotz aller anderslautenden geschichtlichen Erkenntnisse verklärende Gedanken an Ritter, Kämpfer oder Burgfräulein aufkommen lassen.

Warum gab es hier keine alten Rittersleut?

Die Esslinger Burg ist streng genommen gar keine. Adelsgeschlechter haben hier nie residiert. Ein Wohnort für Könige, Grafen oder Fürsten ist sie nie gewesen. Denn Bauherrin war Esslingen. Die freie Reichsstadt wollte sich damit schützen und für Auseinandersetzungen mit dem sie umgebenden Württemberg wappnen. Wohl spätestens um 1228 war der Ort laut Quellen des Stadtarchivs Esslingen durch den Stauferkaiser Friedrich II. zur Stadt erhoben worden – ein Herrschaftsakt, der ihr Bewusstsein und Selbstbewusstsein bis heute prägt.

Auch in früheren Zeiten wollten sich die stolzen Reichsstädter ihre Unabhängigkeit nicht nehmen lassen. Ab dem 13. Jahrhundert errichteten sie daher eine Stadtbefestigung zur Selbstverteidigung und als Ausdruck ihres Stolzes. 1314 wurde die Burg als Teil dieser Anlage erstmals urkundlich erwähnt, bis in das 16. Jahrhundert wurden laut Quellen des Stadtarchivs immer wieder Um-, Aus- und Weiterbauten an der Befestigung vorgenommen.

Wie einmalig ist die Esslinger Burg?

Sehr einmalig, meint Christian Ottersbach in seinem Aufsatz über die Esslinger Burg, der sich im Fundus des Stadtarchivs Esslingen befindet. Als städtische Wehranlage stehe die Befestigung „relativ singulär da“. Ein Bau ähnlicher Größenordnung sei der Munot im schweizerischen Schaffhausen. Er sei in seiner heutigen Form aber erst in den 1570er Jahren entstanden – und damit lange nach der Esslinger Feste. Ein weiteres Beispiel sei die Zitadelle Cyriaksburg in Erfurt, die der dortige Rat zwischen 1480 und 1530 errichten ließ.

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Was gibt es zu sehen?

Auf der Esslinger Burg gibt es jede Menge Geschichte zu sehen. Die frei zugängliche Anlage gilt in ihrer heutigen Form als Zeugnis der Befestigungskunst am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Vom Seilergang aus dem 13. Jahrhundert zwischen der Hochwacht im Westen und dem Dicken Turm im Osten bieten sich atemberaubende Aussichten auf die Stadt. In der Nordostecke prangt der Pulverturm, die Nordwestecke besetzt der Hellerturm, und aus der westlichen Mauer springt ein weiterer halbrunder Turm hervor. Zwischen den Schenkelmauern des Wehrgangs liegt ein Weinberg, der mit seinen 1,6 Hektar zu den ältesten und kleinsten in Württemberg gehört.

Warum ist der Dicke Turm so dick?

Sie wirken stattlich – und das aus gutem Grund: Die Mauern des Dicken Turms und anderer Teile der Befestigungsanlage mussten laut Quellen des Esslinger Stadtarchivs aufgerüstet werden. Um das Jahr 1300 wurde das Schießpulver erfunden, erste Geschütze wurden entwickelt, die Belagerungstechnik änderte sich. Die neuen Erfindungen konnten hochmittelalterliche Schutzmauern ohne große Probleme zerstören. Darum verstärkten auch die Esslinger ihre Anlagen. Der Dicke Turm ist derzeit nicht zugänglich, die Burgstube kann aber laut Homepage von Esslingen Live seit Jahresanfang 2021 für Veranstaltungen gebucht werden.

Wie wurden Eulen zur Gefahr?

Esslingen hatte sich moderne Waffen angeschafft. In einem Heft der Reihe „Der historische Ort“ aus dem Jahr 2000 in den Beständen des Stadtarchivs wird von einer 1506 gegossenen „Kartaune“ mit einem Kaliber von 16 Zentimetern, 14 leichteren Geschützen und zahlreichen Hakenbüchsen berichtet. Damit sei die freie Reichsstadt besonders gut ausgerüstet gewesen. Um stets einen Angriff abwehren zu können, standen die Waffen ständig in den Gewölben, Türmen und Kasematten. Das hatte Folgen. Der städtische Zeugwart Dionys Klein stellte 1608 besorgt fest, dass ein großer Teil der Geschütze durch Witterung und Eulenkot stark gelitten habe. Die Kanonen, Esslingens großer Stolz, wurden 1688 von den Franzosen geraubt.

Wann ging es mit der Burg bergab?

Das passierte niemals. Heute dient die Feste als Aufenthaltsort mit hoher Freizeitqualität, identitätsstiftendes Wahrzeichen und Blickfang in der Stadtsilhouette. Doch die Frage nach dem Baumeister musste laut Christian Ottersbach offen bleiben: Rechnungen seien keine entdeckt worden. Lange Zeit blieb die Feste wichtiger Bestandteil der Stadtverteidigung. Nach dem Ende der Zeit als freie Reichsstadt ab 1802 wurde ihr Naherholungswert entdeckt. Zeitweilig befand sich sogar ein Schießhaus auf der Burg.

Unterwegs in der Region

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Anfahrt
An der Mülbergerstraße steht eine begrenzte Anzahl an Autoparkplätzen in Burgnähe zur Verfügung. Über die Buslinie 110 ist die Burg vom Zentralen Omnibusbahnhof zu erreichen. Eine Gaststätte auf der Burg ist Trödler zur Burgschenke.

Spaziergang
Viele Wege führen von der Innenstadt zur Burg. Nach der Unterführung hinter dem Neuen Rathaus geht es rechts die Burgsteige hoch. Nördlich der Altstadt kann auch die Burgstaffel als überdachte, steile Treppe hinauf genommen werden.