US-Präsident Donald Trump verkündet den Rückzug der USA vom Pariser Klimaschutzabkommen. Foto: AP

Europa muss den Westen ohne den US-Präsidenten retten, meint unser Kommentator Michael Weißenborn. Dabei gilt jedoch: Trump bietet Anlass zur Sorge, aber nicht zur Hysterie.

Stuttgart - Wie es der Zufall so will: Am kommenden Montag jährt sich zum 70. Mal die berühmte Rede des US-Außenministers George C. Marshall an der Harvard-Universität, mit der er offiziell das „Europäische Wiederaufbau-Programm“, den Marshall -Plan, ankündigte. Mit dem erfolgreichsten Hilfsprogramm aller Zeiten ebnete die Siegermacht Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg auch den Weg für die Nato, die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Integration. Kurzum: für die Architektur der westlichen Welt. Natürlich war der Marshall-Plan keine Wohltätigkeitsveranstaltung. Es ging darum, Absatzmärkte für US-Produkte zu schaffen. Vor allem aber sollten Europas Regierungen gestützt und das Sowjetimperium eingedämmt werden. Das hat funktioniert: Die friedliche deutsche Wiedervereinigung und der Untergang der Sowjetunion 1990/91 sind der beste Beweis.

Kurzfristige nationale Interessen der US-Politik

Und heute? Jetzt will ausgerechnet ein US-Präsident diese internationale Ordnung aufkündigen. Denn Donald Trump sieht diese großen Erfolge nicht als Akt der klugen Selbsteinbindung in eine liberale Weltordnung aus Bündnissen, Institutionen und Normen, die Amerika maßgeblich beeinflusst, sondern als einen Weg, an dessen Ende der Niedergang der USA stünde. So ist auch der unnütze und selbstbeschädigende Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzvertrag zu verstehen. Außenpolitisch, da ist sich Trump sicher, haben Freunde und Verbündete die Großzügigkeit der Weltmacht stets nur ausgenutzt. Um sich im Handel unfaire Vorteile zu verschaffen. Oder um es sich sicherheitspolitisch unter dem mächtigen US-Schutzschirm bequem zu machen. Doch laut „Amerika zuerst“ ist damit Schluss. Jetzt soll es nur noch eine enggefasste, auf kurzfristige nationale Interessen ausgerichtete US-Politik geben. Damit einher geht ein massiver Verlust an Einfluss und Ansehen.

Kein anderes Land hat so sehr von der amerikanisch inspirierten Nachkriegsordnung profitiert wie Deutschland. Das gilt für Wohlstand und wirtschaftliche Sicherheit ebenso wie für die äußere Sicherheit und die Entwicklung einer freiheitlichen Gesellschaft im Inneren. Mehr noch: Mit der Westbindung Deutschlands in Nato und EU war die deutsche Frage ein für allemal gelöst. Die zieht ausgerechnet Trump mit seinen antideutschen Äußerungen wieder hoch. Vor diesem Hintergrund hat sich die Transatlantikerin Angela Merkel am vergangenen Wochenende im Bierzelt von Trudering besorgt zu Wort gemeldet: Man könne sich auf „andere“, sprich: auf Amerika, nicht mehr „völlig verlassen“.

„Entgegenkommen, Konfrontation und Aussitzen“

Für Deutschland bedeutet das zunächst: Finger weg von allen Gedankenspielen einer Abkehr vom Westen, sei es im nationalen Alleingang, in Anlehnung an Wladimir Putins Russland oder gar an China. Merkel sagt: „Wir Europäer müssen unser Schicksal in die eigene Hand nehmen.“ Nur ist das – seit langem – viel leichter gesagt als getan. Die Briten ziehen aus dem europäischen Haus aus. Und ob Trump als Schreckgespenst auf Dauer ausreicht, um für mehr europäische Einigkeit zu sorgen, ist mehr als ungewiss.

Gewiss ist, dass die Europäer sicherheitspolitisch noch lange ohne US-Militär nicht auskommen können. Da ist es beruhigend, dass Trump 2018 noch einmal 1,3 Milliarden Euro mehr für Europas Sicherheit ausgeben will. Doch mit der Weigerung, die Nato-Beistandsklausel zu bekräftigen, beschädigt er die Glaubwürdigkeit der Allianz. Der USA-Experte Thomas Kleine-Brockhoff hat recht: Der irrlichternde Präsident bietet zwar Anlass zur Sorge, aber nicht zur Hysterie. Deutschland muss ihm mit einem Mix aus „Entgegenkommen, Konfrontation und Aussitzen“ Paroli bieten. So lässt sich die Ära Trump überwintern. Und die wichtige Beziehung zu Amerika schützen.