Im Permafrost werden immer wieder Relikte aus Urzeiten gefunden – wie hier ein gut erhaltenes Mammut. Doch welche Krankheitserreger lauern noch im Eis? Foto: imago/ITAR-TASS

Steigende Temperaturen lassen Permafrostböden und Gletscher immer schneller schmelzen. Dadurch könnten auch Viren und Bakterien aus früheren Zeiten wieder aktiv werden.

Wenn Menschen mit Krankheitserregern in Kontakt kommen, die für ihr Immunsystem völlig neu sind, kann das fatale Folgen haben. Das bekamen schon die amerikanischen Ureinwohner zu spüren, von denen viele an von den Europäern eingeschleppten Krankheiten wie Pocken, Masern, Mumps oder Grippe starben. In der Coronapandemie hatte es sogar die ganze Menschheit plötzlich mit einem neuen Virus zu tun.

Ähnliche Szenarien halten manche Forscher auch mit Blick auf Viren und Bakterien für möglich, die lange Zeit in Dauerfrostböden oder Gletschern eingefroren waren wie in einer riesigen Tiefkühltruhe. Denn Krankheitserreger können auch tiefe Temperaturen für längere Zeit überstehen und beim Auftauen des nur vermeintlich ewigen Eises wieder aktiv werden.

750 000 Jahre alte Bakterien

Chinesische Wissenschaftler beschreiben in einer kürzlich veröffentlichten Studie mehr als 10 000 verschiedene Virenarten, die sie in Berg- und Polargletschern nachweisen konnten. Mehr als 80 Prozent davon befallen zwar nur Bakterien. Die Forscher halten es aber für denkbar, dass das Viren-Erbgut in den Bakterien zur Entstehung von Antibiotika-Resistenzen beitragen könnte.

Französische Forscher berichteten vor gut einem Jahr über ein Virus, dass fast 50 000 Jahre im sibirischen Permafrost überdauert hatte und nach dem Auftauen wieder in der Lage war, Amöben zu infizieren – jene schleimigen Einzeller, die manche vielleicht noch aus dem Bio-Unterricht kennen. In den Proben fanden sich 12 weitere Virenarten, die ebenfalls noch infektiös für Amöben waren, aber nicht ganz so viele Jahre auf dem Buckel hatten wie der Virus-Methusalem. Den absoluten Altersrekord halten aber vermutlich die rund 750 000 Jahre alten Bakterien, die Forscher kurz nach der Jahrtausendwende im Eis des Qinghai-Tibet-Plateaus entdeckten und wieder zum Leben erweckten.

Doch stellen „Zombie-Viren“ aus dem Eis, wie sie von manchen genannt werden, tatsächlich eine ernst zu nehmende Gesundheitsgefahr für Menschen dar? Der französische Mikrobiologe Jean-Michel Claverie, der an der Entdeckung der gefrorenen Viren aus Sibirien beteiligt war, will das zumindest nicht ausschließen. Er kann sich durchaus vorstellen, dass Krankheitserreger, die einst Neandertaler befielen, im Permafrost überlebt haben könnten.

Ähnlich äußerte sich die Rotterdamer Virologin Marion Koopmans: „Wir wissen nicht, welche Viren sich im Permafrost befinden, aber ich denke, es besteht ein reales Risiko, dass eines fähig ist, einen Krankheitsausbruch zu triggern – sagen wir, eine urzeitliche Form von Polio“. Einige Forscher bringen auch einen Milzbrand-Ausbruch in Nordsibirien im Jahr 2016 in Zusammenhang mit infizierten Rentierkadavern, die infolge der Erderwärmung aufgetaut waren.

Verstärker für den Klimawandel

Der Hannoveraner Virologe Albert Osterhaus schätzt aber die Gefahr, die von Krankheitserregern im Eis ausgeht, als vergleichsweise gering ein. „Das Risiko, dass man sich in einem schmelzenden Gletscher mit einem alten Virus infiziert, ist sehr, sehr klein, aber nicht abwesend“, sagte er dem SWR. Gleichzeitig verweist er darauf, dass die weit größere Gefahr für neue Infektionskrankheiten von heutigen Wildtieren ausgehe, denen der Mensch durch die ständige Erweiterung seines Lebensraums immer näher kommt.

Wo es überall Permafrost gibt

  • in der arktischen und antarktischen Tundra (Polargebiete)
  • weltweit in den Hochgebirgen

Die größten Länder mit Permafrostböden

  • Grönland
  • Alaska
  • Russland
  • Kanada
  • China

Permafrostgebiete umfassen etwa ein Fünftel der nördlichen Hemisphäre, sind aber stark durch den Klimawandel bedroht. Wenn sie weiter auftauen, könnte das nicht nur neue Gesundheitsgefahren bringen. Sobald die Temperaturen dafür ausreichen, beginnen Mikroorganismen Pflanzenreste und anderes organisches Material abzubauen, das in den Böden reichlich vorhanden ist. Dabei werden große Mengen der Klimagase Kohlendioxid und Methan freigesetzt, was wiederum die Erderwärmung verstärkt und die Böden noch schneller auftauen lässt. Zunehmend geraten auch Gebäude oder Industrieanlagen in Gefahr, die auf gefrorenem Boden errichtet wurden.