Die Richterin (Claudia Michelsen) wird durch den Fall an ein traumatisches Erlebnis erinnert. Foto: ZDF/Ben Knabe

Hat ein zweijähriges Mädchen das Recht auf ein Gehör? Darüber muss Claudia Michelsen als Richterin im ZDF-Drama „Du sollst hören“ entscheiden.

Der Staat soll eingreifen, wenn das Gemeinwohl gefährdet ist, doch für ihr individuelles Wohl sind die Menschen selbst verantwortlich. Eine Ausnahme bilden die Kinder, und darum geht es in dem intensiven Drama „Du sollst hören“.

Der Titel klingt nicht zufällig wie ein Gebot, die angesprochene Titelfigur ist die zweijährige Tochter gehörloser Eltern. Bei einer Routineuntersuchung stellt sich heraus, dass dem Kind geholfen werden könnte, denn sein Gehörnerv ist normal ausgebildet. Mit Hilfe eines Implantats und entsprechender Förderung, versichert der Chefarzt der Kölner HNO-Klinik (Kai Wiesinger), werde Mila ein normales Leben führen können. Doch die Eltern lehnen ab: Aus Sicht von Conny und Simon Ebert (Anne Zander, Benjamin Piwko) ist Mila weder krank noch behindert, zudem birgt die Operation Risiken. Nun soll ein Gericht entscheiden, ob die Haltung der Eltern das Kindeswohl gefährdet. Wie in vielen vergleichbaren Filmen gesellt sich zu diesem Grundkonflikt ein Handlungsteil. Der wirkt oftmals aufgepfropft und rückt eine Person ins Zentrum, die nur mittelbar betroffen ist wie hier die Richterin. Auch die Fragilität dieser Figur ist nicht unüblich. Zum Glück ist Grimme-Preisträgerin Katrin Bühlig eine erfahrene Autorin, deshalb wirkt dieser Handlungsstrang nicht bloß wie der Versuch einer weiteren Emotionalisierung. Dass lange offen bleibt, welches Päckchen die Frau zu tragen hat, sorgt ebenfalls für Spannung: Jolanda Helbig (Claudia Michelsen) leidet unter einem Trauma, von dem nicht mal ihr Mann weiß.

Die Figuren sind emotional fragil

Die Konfrontation mit dem lange zurückliegenden Leid hat zur Folge, dass die Richterin anders entscheidet, als es der vermeintlich gesunde Menschenverstand nahelegt. Ihr Schlusswort ist ein Plädoyer für eine tolerantere Gesellschaft und gipfelt in der Frage, wer denn definiere, was normal sei. Vor allem Milas Mutter wehrt sich vehement gegen die Einmischung der Behörden.

Die Eberts sind die Guten, das sieht man

An der Haltung von Redaktion, Buch und Regie (Petra K. Wagner) kann kein Zweifel bestehen, aber der Film klammert die gravierenden Nachteile einer Taubheit keineswegs aus. Ausgerechnet eine entsprechende Schlüsselszene bricht jedoch mittendrin ab, als fürchten die Verantwortlichen, sie könne die Botschaft konterkarieren: An einer roten Ampel legt der Vordermann versehentlich den Rückwärtsgang ein und stößt gegen das Auto der Eberts, meldet der Polizei jedoch einen Auffahrunfall. Der Beamte lässt Simon, der nur schwer zu verstehen ist, nicht zu Wort kommen. Später wird nachgereicht, dass die Situation erst durch Connys Schwester Jette (Laura Lippmann) geklärt werden konnte. Sie ist nicht taub, beherrscht aber die Gebärdensprache und bietet an, Mila zu sich zu nehmen, damit sie zweisprachig aufwachsen kann; dieser vermeintliche Verrat führt fast zum Zerwürfnis. Auch optisch lässt „Du sollst hören“ keinerlei Zweifel daran, dass die Eberts die Guten sind: Wagner und Kameramann Peter Polsak haben ihre gemütliche Wohnung in warme Farben getaucht.

Vorbildliche Akustik und Untertitel

Vorbildlich ist dagegen der Umgang mit der Akustik: Immer wieder übernimmt der Film die Wahrnehmung der Eberts; Geräusche und Gespräche sind dann nur noch gedämpft zu hören. Für den tauben Teil des Publikums wurden die Dialoge untertitelt, und das bei Dialogen zudem zweifarbig,. Auch die Musik wird beschrieben. Die Gebärdensprache ist ebenfalls übersetzt worden.

Besonders bemerkenswert ist die Leistung der tatsächlich gehörlosen zweiten Hauptdarstellerin, Anne Zander: Andere können die Stimme erheben, aber wenn Conny „schreit“, ist das dank Mimik und Gestik ungleich eindrucksvoller. Das ZDF hat der Schauspielerin am Montag die Reportagereihe „37 Grad“ (22.15 Uhr) gewidmet.

Du sollst hören. Mo, 20.15 Uhr, ZDF