Eine Mitarbeiterin hältin der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart das «Gengenbacher Evangeliar» aus Südwestdeutschland (Mitte 12. Jahrhundert Pergament) in den Händen. Das Buch wurde von Herzog Karl Eugen von Württemberg, dem Gründer der Bibliothek auf einer Auktion in Paris im Jahr 1789 erstanden. Foto: dpa

Zum 250-jährigen Bestehen der Württembergischen Landesbibliothek (WLB) Stuttgart gibt es einen Festakt und eine große Ausstellung. Und der Leiter der WLB, Hannsjörg Kowark, spricht im Interview über wachsende Bestände, ausgelagerte Medien und Neubauträume.

Stuttgart – Herr Dr. Kowark, wie wird die Ausstellung zum Jubiläum der Württembergischen Landesbibliothek aufgebaut sein?
Die Ausstellung zeigt im Buchmuseum Bestände aus der Zeit ihrer Gründung und auf Ausstellungs-PCs die Bibliotheksarbeit heute. Im Foyer werden die Gebäude der Landesbibliothek vorgestellt: vom ersten Bau in Ludwigsburg über den Prachtbau an der Stuttgarter Neckarstraße von 1886, dem heutigen Bau von Professor Horst Linde bis hin zu den Plänen und zum Modell des Erweiterungsbaus des Stuttgarter Architekturbüros Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO). Die Ausstellung wurde von über 30 Kolleginnen und Kollegen der Bibliothek unter Leitung von Frau Dr. Vera Trost erarbeitet.
Die Arbeiten am Erweiterungsbau werden rund zwei Jahre in Anspruch nehmen. Wie wird sich dies auf den Bibliotheksbetrieb auswirken?
Der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs von LRO hat den großen Vorteil, dass der Erweiterungsbau ohne massiven Eingriff in die Funktionalität des Bibliotheksbetriebes errichtet werden kann. Natürlich werden während der Bauzeit, vor allem zu Beginn mit dem Abbruch der Tiefgarage und den notwendigen Gründungen, eine nicht zu unterschätzende Lärm- und Staubbelästigung auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie auf die Bibliotheksbenutzerinnen und -benutzer zukommen.
Die Württembergische Landesbibliothek verfügt über das Pflichtexemplarrecht in Baden-Württemberg. Das bedeutet, dass Ihrem Haus von jeder Veröffentlichung im Land ein Exemplar zugestellt wird. In welchem Maße wächst die Bibliothek?
Der jährliche Zugang an Neuerwerbungen beträgt derzeit zwischen 70 000 und 80 000 Medieneinheiten, davon werden ca. 30 000 über das Pflichtexemplarrecht erworben.
Teile der Bestände werden bislang in angemieteten Gebäuden außerhalb der Bibliothek gelagert. Wie groß sind diese Bestände, welche Kosten entstehen, und welche Umstände bereitet diese Situation Mitarbeitern und Nutzern der Bibliothek?
Derzeit haben wir etwa 300 000 Bände in einem Ausweichmagazin in Fellbach ausgelagert. Des Weiteren gibt es Büroräume und Lesesäle in der Gaisburgstraße. Durch den Erweiterungsbau lassen sich jährlich etwa eine Million Euro an Miet- und Personalkosten einsparen. Der Betrieb der Außenstellen ist sehr personalintensiv und nachteilig für den Benutzer. Bei Bestellungen von Beständen aus dem Ausweichmagazin müssen die Benutzer derzeit einen Tag auf die Lieferung ihrer Bücher warten. Das ist heutzutage schlichtweg inakzeptabel. Das geht nicht.
Der Architekturwettbewerb zur Neugestaltung der Bibliothek fand bereits vor Jahren statt. Hat sich die Situation verändert? Gibt es andere Anforderungen, die nun berücksichtigt werden müssen – städtebaulich oder hinsichtlich der Bibliotheksbestände?
Das Anforderungsprofil für den Architektenwettbewerb gilt uneingeschränkt. Natürlich besteht die Hoffnung, dass die Konrad-Adenauer-Straße verkehrsmäßig beruhigt werden wird, um mit dem Erweiterungsbau der Württembergischen Landesbibliothek direkt an der Straße den früheren Boulevard-Charakter der einstigen Neckarstraße aufleben zu lassen.
Durch den Erweiterungsbau sollen Magazinflächen und Flächen für eine moderne Freihandbibliothek geschaffen werden. Was bedeutet dies konkret?
Die Württembergische Landesbibliothek ist eine der letzten reinen Magazinbibliotheken in Deutschland, das heißt, sie hat kein Freihandmagazin. Alle bestellten Medien müssen vom Magazinpersonal ausgegeben werden. Das ist personalintensiv und bedeutet stets erhebliche Wartezeiten für die Bibliotheksbenutzer. Mit einem Freihandmagazin von etwa 500 000 Bänden kann sich der Benutzer zukünftig direkt selbst am Regal einen Überblick verschaffen und sofort die gewünschte Literatur entleihen.
Welche Bestände sind es, die Sie in der neuen Freihandbibliothek zur Verfügung stellen möchten? Was wird sich für die Nutzer der Landesbibliothek ändern?
Da erfahrungsgemäß die neueste Literatur am häufigsten entliehen wird, stellen wir die Literatur, die die Württembergische Landesbibliothek seit 2005 erworben hat, ins Freihandmagazin.
Und wie hat sich das Nutzungsprofil der Landesbibliothek in jüngeren Jahren verändert? Von welchen Menschen wird die Bibliothek heute vor allem besucht? Und welche Rolle spielen die digitalen Medien?
Die Bibliothek wird mit kontinuierlich steigender Tendenz von immer mehr Studierenden genutzt. Inzwischen ist sie neben den beiden Universitätsbibliotheken zentraler Dienstleister für die Informations- und Literaturversorgung der Hochschulregion Stuttgart geworden. Über 56 Prozent der 30 500 Bibliotheksbenutzer sind inzwischen Studierende. Deshalb ist auch das elektronische Angebot mit Lizenzen für E-Journals und E-Books auf dieses Nutzerprofil abzustimmen. Leider haben die beiden Landesbibliotheken bei den landesweit geführten Verhandlungen mit den großen Verlagen Springer und Elsevier bislang keine Berücksichtigung gefunden.
Wie wird das Jubiläumsjahr der Württembergischen Landesbibliothek aussehen? Werden sich an Festakt und Ausstellung weitere Angebote und Veranstaltungen anschließen, die auf das historische Datum Bezug nehmen?
Neben der Ausstellung „Carl Eugens Erbe“ und der langen Nacht der Museen sind vor allem Vorträge zur Geschichte unseres Hauses sowie zu Carl Eugen und seiner Zeit geplant.