Foto: AFP/JOHN THYS

Premierministerin Giorgia Meloni plant mit umfangreichen Erlösen aus der Privatisierung von Unternehmen. Doch konkrete Pläne gibt es kaum.

Seit einem Jahr ist Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni nun im Amt. Ihre internationale Glaubwürdigkeit hat zuletzt erheblich gelitten. Im Sommer sorgte sie mit der Idee zu einer Bankensteuer und einem Preisdeckel für einige inneritalienische Flugverbindungen für erhebliche Irritationen. Beide Maßnahmen sind inzwischen de facto ausgehöhlt worden. Die größten Zweifel an der Politik der Regierung hat jedoch der Haushaltsentwurf für 2024 ausgelöst. Er beruht auf völlig unrealistischen Annahmen. Selbst im günstigsten Fall würde der Schuldenberg von 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bestenfalls nicht weiter wachsen.

Die Privatisierungserlöse scheinen zu optimistisch gedacht

Zu den viel zu optimistischen Grundannahmen gehören die geplanten Privatisierungserlöse von 20 Milliarden Euro bis 2026. Niemand glaubt, dass das realistisch ist. Spielraum gäbe es zwar, denn Rom hält direkt oder indirekt (über die mehrheitlich staatliche Förderbank Cassa Depositi e Prestiti – CDP) umfangreiche Beteiligungen (siehe Kasten). Doch von Ausnahmen abgesehen, sind Privatisierungen nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Staat hat seinen Einfluss in der Wirtschaft durch Vetorechte wie bei Pirelli ausgeweitet und plant, für mehr als zwei Milliarden Euro eine Beteiligung von bis zu 20 Prozent am Festnetz von Telecom Italia (TIM) zu erwerben, das aus dem Unternehmen ausgegliedert werden soll. Auch bei den Acciaerie d`Italia (Ilva-Stahlwerk in Taranto), in das Rom in den letzten Jahrzehnten hohe Milliardenbeträge gesteckt hat, droht eine Re-Verstaatlichung. Das Unternehmen, das zu 62 Prozent von Arcelor Mittal und zu 38 Prozent vom Staat kontrolliert wird, kann seine Gasrechnung nicht bezahlen und erhält keine Kredite der Banken mehr. Arcelor Mittal will aber kein Geld mehr investieren. Es ist wahrscheinlich, dass Rom, das versprochen hat, die 10 000 Beschäftigten nicht im Stich zu lassen, das Unternehmen nationalisiert. Das Stahlunternehmen soll künftig grünen Stahl produzieren. Die nötigen Investitionen von 5,5 Milliarden Euro für den Umbau sollen teilweise durch Mittel aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm sowie, vermutlich, staatlichen italienischen Mitteln aufgebracht werden.

Das einzige konkrete Privatisierungsprojekt findet kaum Interessenten

Zusätzlichen Ausgaben bzw. Kosten für Verstaatlichungen stehen so gut wie keine Privatisierungserlöse gegenüber. Die seit Monaten von den EU-Kartellbehörden blockierte Übernahme eines Anteils von 40 Prozent an Ita Airways durch die Lufthansa würde 320 Millionen bis 330 Millionen Euro in die Kasse spülen, aber das Geld flösse nicht Rom zu, sondern dem Unternehmen. Das einzig konkrete Privatisierungsprojekt ist der Verkauf der 64-prozentigen Staatsbeteiligung an der Bank Monte die Paschi di Siena (MPS). Mangels Interessenten dürfte wohl zunächst nur ein Anteil von etwa 15 Prozent verkauft werden.

Die Einnahmen wären überschaubar. Die Bank weist eine Kapitalisierung von um die drei Milliarden Euro auf. Rom hat MPS 2017 mit 5,4 Milliarden Euro vor der Pleite gerettet. Ende 2022 flossen weitere 1,6 Milliarden Euro an Steuergeldern in die Kapitalerhöhung um insgesamt 2,5 Milliarden Euro.

Beteiligungen an privatwirtschaftlichen Unternehmen

Angeblich wird über Anteilsverkäufe bei der Post, der Staatseisenbahn und der Autobahngesellschaft Autostrade per l`Italia (Aspi), die erst vor zwei Jahren re-verstaatlicht worden war, nachgedacht. Vor allem bei der Staatseisenbahn wäre das nicht einfach und langwierig, weil im Vorfeld die Betreibergesellschaft Trenitalia von der Netzgesellschaft getrennt werden müsste. Wesentlich problemloser und ergiebiger wäre der Verkauf der Beteiligungen an ENI, Enel, Leonardo oder Terni. Davon ist aber nicht die Rede.

Italien will die Kontrolle über als strategisch erachtete Unternehmen behalten. Frühere Privatisierungen etwa von TIM endeten im Desaster. Investoren bereicherten sich an dem Konzern und hinterließen ein schwaches und mit Schulden vollgepumptes Unternehmen, das international keine Rolle spielt. Andere frühere Großkonzerne wie Olivetti, Pirelli oder Fiat existieren nicht mehr, sind geschrumpft oder Teil ausländischer Unternehmen.

Ohne Privatisierungserlöse drohen Ausgabensenkungen

Ohne Privatisierungserlöse müsste Italien die Anstrengungen zur Schuldenreduzierung deutlich verstärken – etwa durch Ausgabensenkungen. Lorenzo Bini Smaghi, Ex-Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) und Chairman der Société Générale, sieht ohne entsprechende Privatisierungserlöse einen zusätzlichen Korrekturbedarf im Haushalt von knapp 60 Milliarden Euro bis 2026. Andernfalls wäre die Haushaltspolitik nicht nachhaltig. Die Schulden näherten sich dann „in gefährlicher Weise einem Wert von 150 Prozent“.

Der italienische Staat hält entweder direkt oder über die mehrheitlich staatliche Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) sehr umfangreiche Unternehmensbeteiligungen. Zum Portfolio gehören etwa die Staatseisenbahn Ferrovie dello Stato und die Fluggesellschaft Ita Airways (jeweils 100 Prozent). Nennenswerte Anteile hat Rom außerdem an der Post (35 Prozent), dem Energieversorger und Börsenkrösus Enel (23,6 Prozent), dem Mineralölkonzern ENI (26,2 Prozent), dem Rüstungskonzern Leonardo (30,2 Prozent), der Mehrländerbörse Euronext (7,3 Prozent), dem Werftenriesen Fincantieri (71,3 Prozent), dem Zahlungsdienstleister Nexi (13,6 Prozent) oder an Telecom Italia (9,8 Prozent) und vielen anderen Unternehmen. Ein Großteil der genannten Konzerne ist börsennotiert.