Die Journalistinnen Megan Twohey (li.) und Jodi Kantor von der „New York Times“ freuen sich über den Pulitzer-Preis. Foto: dpa

Die New Yorker Reporter, die mit Geschichten über Harvey Weinstein eine Enthüllungswelle auslösten, sind mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden. Damit wird der Blick auf etwas ganz Wichtiges in der Ära der Klickhatz gelenkt: auf klassische Recherche mit langem Atem.

New York - Das sei „explosiver, wirkungsstarker Journalismus“: Solch ein Lob sollte man nicht leichtfertig aussprechen. Auch sehr gute Reportagen verändern noch lange nicht die Welt. Aber die Juroren des Pulitzer-Preises haben den Mund nicht zu voll genommen, als sie mit diesen starken Worten ihre Entscheidung für die Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor von der Tageszeitung „New York Times“ sowie Ronan Farrow vom Wochenmagazin „New Yorker“ begründeten. Twohey, Kantor und Farrow haben mit gründlich recherchierten Geschichten über den Filmproduzenten Harvey Weinstein und sexuellen Missbrauch in Hollywood die Metoo-Bewegung in Schwung gebracht, Hierarchien durchgerüttelt und eine vehemente Debatte entfacht.

Männer in Machtpositionen werden Frauen gegenüber regelmäßig anzüglich, übergriffig, gar zu Erpressern und Vergewaltigern. Solche Zustände, hätten wohl viele von uns gedacht, kann es im Zeitalter der sozialen Netzwerke gar nicht mehr geben. Via Facebook, Twitter, Whatsapp wären die Verantwortlichen im Nu geoutet, hätten die Fans der neuen Kommunikationswege wohl behauptet. Aber die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein sind eben nicht durch das Schwarmwissen großer Netzwerke publik geworden – sondern durch ganz altmodische Recherche.

Die Mühen der Recherche

Monatelang haben Megan Twohey und Jodi Kantor bei der „New York Times“ mit ihrer Recherche zugebracht, Ronan Farrow war Weinstein gar jahrelang auf der Spur. Gerüchte gab es viele, belastbare Aussagen keine. Zum System der Übergriffe, wie es sich nach den bisherigen Vorwürfen darstellt, soll auch eine fein eingespielte Maschinerie der Einschüchterung und der Schweigegeldzahlungen gehört haben.

Der Pulitzer-Preis für Journalismus gilt dieses Jahr also nicht bloß einer Mischung aus guter Geschichtenidee, solider Recherche und flotter Schreibe. Er würdigt einen sehr viel komplizierteren Prozess. Jetzt, wo sich so viele Frauen offen zu Wort gemeldet haben, vergisst man leicht, welche Angst unter möglichen Anklägerinnen des Systems zuvor geherrscht hat. Einige Journalisten haben mittlerweile berichtet, wie sie schon vor Jahren Weinstein-Recherchen letztlich ergebnislos abbrechen mussten. Einige Frauen hatten ihnen zwar ihre Geschichten erzählt, wollten aber nicht mit Namen genannt werden. Und sie hätten bei einer möglichen Verleumdungsklage gegen das jeweilige Medium wohl auch nicht als Zeuginnen vor Gericht ausgesagt.

Eine Frage des Vertrauens

Eine der großen Leistungen von Megan Twohey, Jodi Kantor und Ronan Farrow dürfte also die Vertrauensbildung sein. Die hat bei den Protagonistinnen ihrer Geschichten den Mut zum großen Risiko offensichtlich sehr gestärkt. Die bezahlte Arbeitszeit, die das braucht, hätten viele dauergehetzte, auf aktuelle Klicks angewiesene Online-Medien nicht aufgebracht.

Zudem bieten große, engagierte Medienhäuser die Gewissheit, bei Gegendruck und bei anwaltlichen Drohbewegungen weiter zu recherchieren, Prozesse auch mal durchzufechten – und die Protagonistinnen nicht einfach im Regen stehen zu lassen. Der Pulitzer-Preis weist in diesem Fall auf Qualitäten des klassischen Journalismus, die Facebook noch lange nicht ersetzen kann.