Ryoyu Kobayashi, zum dritten Mal Tournee-Gesamtsieger Foto: AFP/Christof Stache

Ryoyu Kobayashi entwickelt sich zum Tournee-Alptraum der deutschen Skispringer. Mit vier zweiten Plätzen schnappt der Japaner dem Allgäuer Andreas Wellinger den Gesamtsieg weg und triumphiert damit zum dritten Mal.

Ryoyu Kobayashi hatte nach seinem dritten Triumph bei der Vierschanzentournee gleich zwei echte Kracher parat. Im Gespräch mit dem österreichischen Fernsehen ORF antwortete der Japaner, dessen ultrakurze Antworten ansonsten immer von seinem Übersetzer Markus Neitzel in die Welt transportiert werden, plötzlich auf Englisch. Und dann machte er auch noch eine spektakuläre Ankündigung. Auf die Frage, ob er nach seinem Adler-Triple nun Janne Ahonens ewigen Rekord von fünf Tournee-Gesamtsiegen brechen wollte, antwortete er: „Yeah. Im ready!“

Die Sache mit den vergessenen Ski

Diesem coolen 27-Jährigen ist auch dieses Kunststück zuzutrauen – das hat er beim Tournee-Finale in Bischofshofen eindrucksvoll bewiesen. Vor seinem ersten Sprung hatte Kobayashi zunächst seine Ski vergessen und musste dann zum Startbalken hoch joggen, um noch rechtzeitig zu kommen. Alles kein Problem: Ein bisschen aus der Puste flog der Überflieger aus Fernost trotzdem auf die Bestweite von 137 Meter. Damit entschied Kobayashi das bis dahin enge Tournee-Duell gegen Andreas Wellinger (132 Meter) vorzeitig für sich. Am Ende hatte er in der Tournee-Endabrechnung komfortable 24,5 Punkte Vorsprung auf den Deutschen – das sind umrechnet 13,61 Meter.

„Ich bin wirklich stolz auf meine Tournee. Aber Ryoyu hat einfach noch weniger Fehler als ich gemacht und ist noch besser Ski gesprungen – das muss man neidlos anerkennen“, gratulierte Wellinger fair. Bis kurz vor der Tournee eher im oberen Weltcup-Mittelfeld unterwegs, war Kobayashi wieder mal genau im richtigen Moment auf Topniveau. Mit vier zweiten Plätze auf den vier Tournee-Stationen sicherte er sich als erster Flieger seit dem Finnen Ahonen vor 25 Jahren den Tournee-Gesamtsieg ohne einen einzigen Tagessieg. Dieser Fakt war Kobayashi total egal – schließlich hatte er sich zum dritten Mal nach 2019 und 2022 den goldenen Tournee-Adler plus 100 000 Schweizer Franken für den Gesamtsieg gesichert.

Dieser Japaner wird damit immer mehr zum Tournee-Alptraum für die deutschen Flieger, die seit 22 Jahren auf einen Gesamtsieg beim Skisprung-Grand-Slam warten. „Erst ist Markus Eisenbichler 2019 gescheitert, dann ich vor zwei Jahren und jetzt Andi. Ryoyu ist schon ein verdammt guter Skispringer“, erklärte Karl Geiger. Als Kobayashi vor fünf Jahren mit Siegen in allen vier Tournee-Springen den Grand Slam gewann, sprach man wegen seines Katapult-Stils von einer Revolution des Skispringens. „Er ist wie ein Pfeil in der Luft und nimmt nach dem Absprung die maximale Geschwindigkeit mit in den Flug“, erläuterte der letzte deutsche Tournee-Gesamtsieger Sven Hannawald damals.

Ausgefeilte Technik

Doch seitdem haben sich die Regeln massiv geändert, die maximale Kamikaze-Vorlage ist nicht mehr gefragt. Doch Kobayashi ist immer noch die Nummer eins – weil er flexibel genug war, seine Technik auf ein noch feinfühligeres Fliegen anzupassen und seine Schwächen im jetzt noch wichtigeren Absprung-Bereich auszumerzen. Zu verdanken hat er das auch Veränderungen in seinem Umfeld. In Japan sind Skispringer traditionell bei Firmen angestellt – und Kobayashi startete jahrelang für die Tsuchiya Holding. Eine Immobilienfirma aus Sapporo, die mit der Legende Noriaki Kasai als eine Art Sportdirektor ein Skisprung-Team finanziert.

Doch jetzt hat sich Kobayashi sein eigenes „Team Roy“ zusammengestellt, mit dem finnischen Erfolgscoach Janne Väätäinen an der Spitze, der ihm einst mit zum raketenartigen Aufstieg in die Weltspitze verhalf. Dazu hat er im Skisprung-Zirkus seinen großen Bruder Junshiro, der im Mittelfeld mitspringt, immer an seiner Seite. Zum Fliegen hatte den Skilangläufer Ryoyu Kobayashi sein Vater gebracht, genau wie auch seine drei Geschwister.

Ein Mann, der schnelle Autos liebt und wenig spricht

Familie ist dem Mann, der in Japan ein Star mit zahlreichen Sponsoren ist, sehr wichtig. Aber er hat auch eine andere, verrückte Seite, die er seinen fast 140 000 Followern gerne auf Instagram präsentiert. Er hat sich deshalb selbst einmal als „etwas verrückten Neo-Japaner“ bezeichnet. Schnelle Autos etwa sind seine große Leidenschaft. So wurde er schon häufiger bei Weltmeister Red Bull, einem seiner Sponsoren, in der Formel 1 gesichtet. In jungen Jahren war ihm das bisweilen wichtiger als Skispringen. „Ich habe mich ablenken lassen. Aber dann habe ich verstanden, dass ich viel mehr machen muss, wenn ich siegen will“, sagte er einmal.

Bei seinen Konkurrenten ist der Japaner durchweg beliebt und hoch respektiert – auch wenn die Kommunikation oft nur nonverbal abläuft. So wie die mit der Öffentlichkeit in der Skisprung-Welt. Vielleicht ist genau das das Geheimnis, warum Ryoyu Kobayashi nun zum dritten Mal das Tournee-Duell gegen die deutschen Flieger für sich entschieden hat, wie Wellinger sagte: „Vielleicht, weil er weniger reden muss als ich.“