Andreas Wellinger hofft auf den Sieg bei der Vierschanzentournee. Foto: AFP/GEORG HOCHMUTH

Der deutsche Skispringer Andreas Wellinger setzt im großen Finale der Vierschanzentournee in Bischofshofen auf seine hohe Geschwindigkeit beim Anlauf. Das könnte im Duell mit Ryoyu Kobayashi zum Gesamtsieg führen.

Stephan Leyhe ist bei dieser 72. Vierschanzentournee so nah dran an Andreas Wellinger wie kein anderer. Und der Zimmerkollege des deutschen Überfliegers ist felsenfest überzeugt, dass das knappste Tournee-Duell seit sieben Jahren mit einem Triumph von „Welle“ gegen den Japaner Ryoyu Kobayashi endet: „Wenn man ihn länger kennt, weiß man, dass er für diese Situationen geboren ist.“

Zweifellos ist im Kampf um den ersten deutschen Tournee-Gesamtsieg seit 22 Jahren die außergewöhnliche Nervenstärke und Coolness des Doppel-Olympiasiegers gefragt. Mit winzigen 4,8 Punkten Rückstand – das sind umgerechnet knapp 2,67 Meter – geht Wellinger in das Finalspringen am Samstag (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) in Bischofshofen. Knapper war es letztmals 2017, als der Norweger Daniel Andre Tande mit einem Vorsprung von 1,7 Zählern auf Kamil Stoch zum letzten Springen der Tournee reiste.

Der „Jäger“ aus Polen holte sich damals auch deshalb noch den Goldenen Adler für den Gesamtsieg, weil sich bei Tandes Sprung ein Teil der Skibindung löste. Andreas Wellinger hatte in diesem Drama von Bischofshofen damals eine kleine Nebenrolle. Am Tag vor der Entscheidung gewann er mit 144,5 Metern die Qualifikation – noch heute ist das der zweitweiteste Flug der Tournee-Geschichte. Und ein Fingerzeig darauf, wie gut der „Jäger“ Wellinger diese große Naturschanze liegt. „Ich mag die Schanze in Bischofshofen und bin dort schon extrem gut Ski gesprungen. Ich bin jetzt nicht mehr der Gejagte, sondern der Jäger – mit der Rolle kann ich sehr gut leben“, sagt Wellinger und fügt hinzu: „Die Devise heißt Angriff – und dann hoffe ich, dass ich am Ende ganz oben in der Ergebnisliste stehe. Alles ist im Flow.“

Die Akkus aufladen

Am Donnerstag, dem zweiten Ruhetag der Vierschanzentournee, lud der 28-Jährige seine Akkus für das große Finale neu auf. Ein Krafttraining stand auf dem Plan, dazu reiste das deutsche Team ganz entspannt von Innsbruck nach Bischofshofen. Zwar zeigt die Resultatskurve von Wellinger bei dieser Tournee nach unten: Nach dem Auftaktsieg von Oberstdorf und Platz drei beim Neujahrsspringen von Garmisch-Partenkirchen reichte es in Innsbruck auf Rang fünf erstmals nicht für das Podest. Die Stimmungskurve aber ist nach dem halbwegs schadlos überstandenen Springen am deutschen Schicksalsberg ganz oben. „Wenn du den Bergisel überlebst und nur ein paar Punkte Rückstand hast, kannst du gelassen nach Bischofshofen fahren“, sagte Bundestrainer Stefan Horngacher und gab den Fahrplan für das Finale bekannt: „Wir werden Andi so präparieren, dass er die Chance hat, am Ende ganz oben zu stehen.“

Der Chefcoach baut da ganz besonders auf den Geschwindigkeitsvorteil von Wellinger in der Anfahrt, der auf der Naturschanze von Bischofshofen mit ihrem langem Anlauf noch wichtiger sein dürfte. 0,7 Stundenkilometer war Wellinger beim Finalsprung von Innsbruck schneller als sein Erzrivale Kobayashi. Bei gleichem Sprungniveau ist das etwa ein Vorteil von 3,5 Metern in einem Sprung – damit hätte Wellinger seinen Tournee-Rückstand locker aufgeholt.

Der Japaner Ryoyu Kobayashi ist jedoch ebenfalls in Topform. Allerdings nicht in der Überform, in der er bei seinen überlegenen Tournee-Gesamtsiegen von 2019 und 2022 war – nach drei zweiten Plätzen fehlt ihm bei dieser Vierschanzentournee noch ein Tagessieg. Deshalb glaubt auch der letzte deutsche Tournee-Gesamtsieger Sven Hannawald noch an einen Triumph von Andreas Wellinger: „Ich will meinen Rucksack endlich loswerden, es wird nach 22 Jahren wirklich Zeit für einen deutschen Gesamtsieg. Andi muss dafür allerdings zwei überragende Sprünge zeigen.“

Hannawald will zu gerne gratulieren

Hannawald wird als ARD-Experte selbst vor Ort sein und würde Wellinger im Auslauf von Bischofshofen allzugern gratulieren. Und er würde damit sicher nicht allein sein: Nachdem in Innsbruck schon Vater, Schwester, Schwager und ein Spezl als emotionale Unterstützung dabei waren, hat sich für Bischofshofen eine noch größere Wellinger-Fan-Delegation angekündigt: „Da werden noch ein paar mehr Leute aus Familie und Freundeskreis wegen mir da sein.“ Dazu pilgern Tausende deutsche Fans zum Finale.

Auch seine Kollegen aus dem schwächelnden deutschen Team haben angekündigt, dass sie Wellinger beim großen Finale als „Cheerleader“ unterstützen wollen. Und dann ist da natürlich noch die mentale Unterstützung von Zimmerkollege Stephan Leyhe. Gemeinsam schauen sich die beiden Skispringer aus dem „Kreuzband-Zimmer“ – das Duo hat sich nach einem schlimmen Kreuzbandriss im Knie in die Weltspitze zurückgekämpft – abends in diesen stressigen Tagen eine Folge aus der Netflix-Serie über Fußball-Weltstar David Beckham an. Für Wellinger eine Inspiration vor dem Herzschlagfinale, wie man es „ganz nach oben“ schaffen kann.