Die Vesperkirche in Stuttgart. Im Januar gibt es eine Neuerung. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In der Vesperkirche bekommen Obdachlose und Bedürftige vom 14. Januar an für sieben Wochen täglich eine warme Mahlzeit, ein Vesper sowie ein spirituelles und kulturelles Programm. In diesem Jahr gibt es erstmals einen Austauschabend mit Politikern.

Stuttgart - Kurz vor Wahlen stehen sehr arme Menschen vielleicht kurz im Fokus – zum Beispiel bei Fernsehdebatten oder Podiumsdiskussionen. Danach fühlen sie sich häufig wieder vergessen. Diesen Eindruck haben so auch die Verantwortlichen der Vesperkirche vom Evangelischen Kirchenkreis Stuttgart. Zumindest während der anstehenden Vesperkirchen-Zeit wollen sie dies ändern.

Deshalb haben sie sich für die Vesperkirche 2018 ein politisches Format ausgedacht: „Politikerinnen und Politiker hören zu“ nenne sich dieses, sagt die neue Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann. Den Rosenmontag, 12. Februar, habe man als Termin ausgewählt. An dem Abend haben die Besucher der Vesperkirche – darunter sind sehr viele Obdachlose und Langzeitarbeitslose – die Chance, den Politikern ihre Sorgen und Nöte zu schildern. „In der ersten Runde dürfen nur sie sprechen“, erklärte Ehrmann bei der Vorstellung des Programms für 2018 in der Leonhardskirche. Im Gespräch sei man mit Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern. Die dürften dann in einer anschließenden zweiten Runde sagen, was sie aus dem ersten Durchgang mitnehmen an Ideen.

Auch medizinische Hilfe wird angeboten

Vom 14. Januar an hat die 24. Ausgabe der Vesperkirche wieder für sieben Wochen geöffnet und bietet täglich eine günstige, warme Mahlzeit, ein Vesper und vor allem Gesellschaft für die sozial schwächeren in der Stadt. „Die Vesperkirche, das ist ein Zuhause auf Zeit“, sagt Dekan Klaus Käpplinger. „Wir wollen nicht nur den Magen füllen, sondern auch die Seele stärken.“

Neben dem Essen bietet die Vesperkirche auch medizinische Hilfe durch ein Ärzteteam, Seelsorge, tägliche Andachten, Gottesdienste und eben ein kulturelles Programm, dessen Highlight der Auftritt der Vesperkirchen-Band „rahmenlos und frei“ ist. „Künftig wollen wir die Band über das Jahr hinweg weiterführen“, kündigte Ehrmann. Auch außerhalb der Vesperkirchen-Zeit gibt es Proben und Auftritte.

Und weil man in 2018 sowieso einige Neuheiten einführt, haben die Verantwortlichen um Käpplinger und Ehrmann auch gleich noch das Zahlsystem geändert. Das Motto ist künftig: „Jeder gibt, was er kann“. In den vergangenen Jahren haben die Gäste immer einen symbolischen Obolus von 1,20 Euro bezahlt. Wer gar kein Geld hatte, konnte über ein Gutscheinsystem ein Essen bekommen. Das hätten Mitarbeiter und die Leitung als nicht so gut empfunden, sagt Käpplinger. „Niemand soll hier als Bittsteller auftreten müssen.“

Die Vesperkirche ist nur eine Hilfe auf Zeit. Die Probleme der Besucher werden allenfalls kurz gelindert, nicht gelöst. Das weiß auch Klaus Käpplinger. „Die Vesperkirche soll trotzdem ein Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft sein“, betont er. „Wir setzen das Thema Armut auf die Tagesordnung der Stadtgesellschaft.“ Dringlichstes Ziel sei zu politischem „Handeln und Wollen“ für bezahlbaren Wohnraum anzuregen. „Damit die Ärmsten überhaupt in dieser Stadt weiterhin leben können.“