Dynamo Dresden sorgte gegen den FC Schalke für die größte Pokal-Überraschung der ersten Runde Foto: dpa

Es gibt keine Kleinen mehr, sagte einst Berti Vogts. Der längst als überholt geglaubte Spruch hat am Wochenende neue Gültigkeit erlangt. Gleich neun Vereine aus Liga eins und zwei mussten in der ersten Pokalrunde die Segel streichen.

Stuttgart - Der FC Schalke 04 setzte dieser an Überraschungen nicht armen Pokalrunde die Krone auf. Die 1:2-Niederlage des  Champions-League-Teilnehmers bei Drittligist Dynamo Dresden markierte den Höhepunkt des vergangenen Wochenendes, an dem sich fünf Bundes- und vier Zweitligisten gegen unterklassige Clubs mehr oder weniger blamierten. Der Hamburger SV, Werder Bremen oder der VfL Wolfsburg sprangen dem frühen Pokal-Aus durch Verlängerung und Elfmeterschießen erst im letzten Moment von der Schippe.

„Wenn sechs, sieben Leute ihre Leistung nicht abrufen, ist es unheimlich schwer, hier zu bestehen“, schimpfte Schalke-Coach Jens Keller. Keine Frage, der Auftritt der Gelsenkirchener war eine Woche vor Bundesliga-Start nicht dazu angetan, beim eigenen Anhang Hochgefühle zu wecken. Allzu pomadig und konfus agierte der Dritte der abgelaufenen Bundesliga-Saison gegen den Absteiger aus der zweiten Liga. Ehe er sich versah, war er schon draußen. Das erste Mal seit 1989 übrigens wieder in der ersten Runde, damals gegen den VfL Osnabrück.

Seither hat sich viel verändert im DFB-Pokal und im Spiel der Kleinen gegen die Großen. Ein entscheidender Unterschied: Die wirklich Kleinen gibt es nicht mehr. Zumindest nicht in der dritten Liga, die in ihrer Professionalität europaweit ihresgleichen sucht. Selbst in den Regionalligen begreift ein Großteil der Kicker ihr Geschäft mittlerweile als Fulltime-Job.

„Heute gibt es so viele Leistungszentren und Stützpunkte, aus der jede Menge guter Fußballer und Trainer hervorgehen. Für die ist in der ersten und zweiten Liga gar kein Platz“, sagt einer, der sich auskennt mit Pokalsensationen: Reiner Geyer. Der Assistenztrainer des VfB Stuttgart war bei der vielleicht größten in der Geschichte des DFB-Pokals mit dabei: beim 1:0-Sieg der Spvgg Vestenbergsgreuth gegen Bayern München im Jahr 1994.

Der Club spielte in der Regionalliga Süd, damals die dritthöchste Klasse. Geyer erinnert sich: „Wir waren eine gute Mannschaft, aber richtige Profis waren wir nicht.“ Trainiert wurde nur abends. Insofern war der Triumph gegen den Rekordmeister eine wirkliche Sensation im Vergleich zu den aktuellen Früh-Ausscheidern Schalke, Mainz (gegen Chemnitz) oder Augsburg (gegen Magdeburg). Das Pokal-Aus des VfB Stuttgart bei Zweitligist VfL Bochum fällt allenfalls in die Kategorie Überraschung; Gleiches gilt für den SC Paderborn, den es in Leipzig erwischte.

Frank Schmidt ist auch einer von den Greuther Pokalhelden. Der Trainer des 1. FC Heidenheim kennt den höherklassigen Amateur- sowie den Profibereich aus langer Erfahrung. Er sagt: „In den unteren Ligen wird nicht nur mehr, sondern auch besser trainiert als früher.“ Mit der Folge, dass sich ein durchschnittlicher Drittligist seinem Pendant aus der ersten Liga in puncto Fitness nichts mehr schenkt. „Früher sind die Außenseiter oft nach 30 Minuten eingebrochen. Das sieht man heute nicht mehr“, sagt Schmidt und verweist auf Viertligist Offenbacher Kickers, der den zwei Klassen höher spielenden FC Ingolstadt rauskegelten – und dabei 75 Minuten in Unterzahl spielte.

Da zu einem Fußballspiel aber immer zwei gehören, tragen auch die Favoriten ihren Teil zu den Überraschungen bei. Eine Erklärung ist sicherlich der frühe Start. Während in der dritten Liga bereits vier, in Liga zwei immerhin schon zwei Spieltage absolviert waren, bedeutete die erste Runde im DFB-Pokal für die Bundesligisten einen Kaltstart. „Viele wissen noch nicht, wo sie stehen“, sagt VfB-Sportvorstand Fredi Bobic. „Man hat gesehen, dass die großen Teams noch nicht so eingespielt waren“, ergänzt Michael Zeyer, Sportdirektor bei den Stuttgarter Kickers, die Borussia Dortmund trotz des 1:4 ordentlich zu schaffen machten.

Was beim Blick auf die jüngste Pokalhistorie auffällt: Es sind oft die gleichen Clubs, die sich mit Blamagen besonders hervortun. Werder Bremen, der 1. FC Nürnberg und der FSV Mainz 05 sind solche Kandidaten. Das wiederum nährt den Verdacht, dass bei den Großen dem Kräftemessen mit den Kleinen nicht immer der größte Stellenwert beigemessen wird. Ein Zusammenhang zwischen der Attraktivität des Pokals und dem Abschneiden der deutschen Topteams ist nicht von der Hand zu weisen.

Wurde der Wettbewerb durch die Abschaffung des Europapokals der Pokalsieger, verbunden mit der Qualifikation des nationalen Titelträgers für den Uefa-Cup 1999 zunächst aufgewertet, schlug sich das auch im Abschneiden der etablierten Teams nieder. Durch die schleichende Entwertung der heutigen Europa League ist in den vergangenen Jahren eine Umkehr dieser Entwicklung zu beobachten.

Schalke wird sich bei allem Ärger über das Pokal-Aus in Dresden schnell wieder auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrieren: auf Bundesliga und Champions League.