Der mexikanische Verkehrsplaner José Castillo Foto: jc

„Mexiko-City gilt als die Staustadt Nummer eins in der Welt, Stuttgart als die Nummer eins in Deutschland“, sagt der Stadtplaner Josè Castillo. Er kämpft gegen das Verkehrsdesaster in Mexiko-City.

Stuttgart - José Castillo (47) ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Jedenfalls nicht durch Verkehrsverhältnisse wie in Stuttgart. „Mexico City gilt als die Staustadt Nummer eins in der Welt, Stuttgart als die Nummer eins in Deutschland“, rückt der Architekt und Stadtplaner, der gegen das Verkehrsdesaster von Mexico City ankämpft, die Verhältnisse zurecht. Am Freitag ist Castillo nach dem Besuch des Mobilitätskongresses von „Auto, Motor und Sport“ auf der Landesmesse wieder aus Stuttgart abgereist. Davor wurde der an der Harvard-Universität in Boston lehrende Planer ausgiebig gefragt, was das von Staus, Feinstaub und Stickoxiden geplagte Stuttgart aus den Entwicklungen in Mexiko lernen könnte, was er dem Stuttgarter Oberbürgermeister empfehlen würde.

Auf die Frage rät Castillo jedenfalls nicht zu hektischen oder gar panischen Aktionen. Man müsse den Autofahrern klarmachen, dass sie Teil des Problems mit den Verkehrs- und Luftverhältnissen seien, aber auch Teil der Lösung. Weiter müsse man wegkommen von der Konfrontation zwischen Autofahrern und Nichtautofahrern. Auch den Autoherstellern müsse man einen Vorteil durch ihre Mitwirkung aufzeigen. Kurzum: OB Fritz Kuhn (Grüne) hätte sich wohl zufrieden zurückgelehnt, schließlich fährt er bei Maßnahmen gegen Luftschadstoffe und Staus ja tatsächlich einen moderaten Kurs, geht konziliant mit Autofahrern und Autoherstellern um, mahnt sie aber auch zur Mithilfe bei der Problemlösung.

Pendler verbringen sechs Stunden im Auto

Genauere Einblicke in Stuttgart hat Castillo allerdings nicht, denn er war das erste Mal hier. Wie er tickt und was er will, das wird deutlicher, wenn er über seine Heimatstadt redet. Das ist ein Moloch: ungefähr 22 Millionen Einwohner. Das Durchschnittstempo der Autos sinke in den ausgedehnten Hauptverkehrszeiten auf bis zu sechs Stundenkilometer, berichtet Castillo. Pro Jahr würden in der Stadt 250 000 Autos gehandelt. Ungefähr 6,8 Millionen Fahrzeuge seien schon registriert. Von 2009 bis 2013 hätten sich 42 Prozent der Bautätigkeit auf Parkplatzflächen bezogen – 7,2 Millionen Quadratmeter seien dafür draufgegangen. Die Pendler würden im Schnitt drei Stunden rein und drei Stunden raus fahren, im Fall des Geschäftsviertels Sante Fé, in dem sich Castillo mit Unterstützung des deutschen Audi-Konzerns gezielt betätigt, sind es 2,6.

Von der Verbannung des Autos hält Castillo nicht viel – und nichts von kontraproduktiven Verboten wie etwa in Mexico City. Dort hätten sich manche ein weiteres Auto beschafft, weil sie mit ihrem bisherigen an manchen Tagen nicht mehr fahren durften. Dass man für Fahrten, die mehr Luftverschmutzung produzieren, mehr bezahlen muss als für Fahrten mit sauberen Autos, passt allerdings schon in seine Denke. Und in die richtige Richtung gehen für ihn auch Benutzervorteile, etwa für Hybridautos.

Castillo setzt auf bessere Nutzung der Autos

Entscheidend, sagt er, sei nicht die Zahl der Autos, sondern „wie wir sie einsetzen“. Um das herauszukriegen und maßgeschneiderte Konzepte kreieren zu können, betreiben er und seine Mitstreiter eine Erhebung von Daten bei Regierung, Firmen, Institutionen und Autofahrern. Dafür wirbt er um Vertrauen. Die Datensammlung komme bei den Menschen zwar mit dem Interesse am Datenschutz in Konflikt. Man müsse aber deutlich machen, dass die Datengeber auch etwas zurückbekommen: einen Nutzen. Lebensqualität. Mit immer mehr Straßen- und Parkplatzbau löse man die Probleme in Mexikos Hauptstadt nicht, sagt Castillo. Man müsse „die wirklichen Kosten der Mobilitätsarten offenlegen“ und dafür sorgen, dass das Geld richtig ausgegeben werde. Bisher gebe es „eine Asymmetrie“ zum Vorteil des Autoverkehrs und zu Lasten des öffentlichen Verkehrs. Castillo setzt unter anderem darauf, dass im Lauf der Zeit die Autos besser genutzt werden. Im Moment hätten sie im Schnitt 1,2 Insassen. Wären es 1,8, bräuchte man für die gleiche Transportleistung eine Million Autos weniger in Mexico City. Verhaltensänderungen müssten nicht nur negative Effekte haben, es könnten auch positive sein. Castillo hofft auf solche Prozesse, auch wenn sie lange dauern könnten.

Noch so ein Gedanke, wie ihn in Stuttgart auch Kuhns Mitarbeiter hegen. Die Parallelen zwischen Mexico City und Stuttgart sind allerdings endlich. Die Lektionen aus Mittelamerika seien noch eher auf andere Megastädte in Indien und China anwendbar als auf Stuttgart, deutet Castillo an.