Sven Plöger Foto: Lichtgut//Max Kovalenko

Beim Coronavirus haben wir noch keinen Impfstoff, sagt der Meteorologe Sven Plöger, beim Klimawandel schon: Es sind die erneuerbaren Energien.

Stuttgart - Auch in Zeiten von Corona ist der Meteorologe und TV-Moderator Sven Plöger ein gefragter Mann. Kommenden Dienstag, 30. Juni, 19 Uhr, wird er im Treffpunkt Rotebühlplatz zum Klimawandel sprechen. Da der Robert-Bosch-Saal aus bekannten Gründen nur zu einem Teil besetzt werden darf, ist die Veranstaltung des Agenda-2030-Bündnisses längst ausverkauft. Für Herbst ist eine Wiederholung geplant. Wir hatten vorab Gelegenheit, mit Plöger zu sprechen – nicht nur übers Wetter.

Herr Plöger, draußen scheint die Sonne. Darf ich mich darüber freuen?

Aber natürlich. Jeder Mensch darf sich über schönes Wetter freuen. Gleichzeitig ist es kein Fehler, wenn man im Kopf mitlaufen lässt, dass wir in den vergangenen Jahren viel Sonne und zu wenig Regen hatten. Mit der Folge, dass unsere Böden ausgetrocknet sind, was problematisch für die Wälder und die Landwirtschaft ist. Beides im Kopf zu haben ist klug, auch, weil man dann wieder Freude am Regenwetter entwickeln kann.

„Zieht euch warm an, es wird heiß“ lautet der Titel Ihres jüngsten Buchs. Das klingt, als müsse man ein wichtiges Thema nicht bierernst präsentieren.

Message verstanden. Der Titel entspricht meiner Vorgehensweise: Ich versuche, nicht zu missionieren, sondern wissenschaftliche Zusammenhänge für Jedermann zu übersetzen. Dabei darf man Humor haben, muss aber auch den Finger in die Wunde legen.

Gehört Klimakatastrophe zu Ihrem Vokabular?

Das habe ich vor Jahren schon abgelegt. Natürlich haben wir eine ernste Lage, aber Katastrophe verbinden wir mit einem kurzfristigen Ereignis wie einem Asteroideneinschlag. Aber egal, wie man es nennt: Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir das wärmste Jahrzehnt seit Messbeginn auf diesem Planeten haben. Ich bezeichne den Klimawandel gern als Asteroideneinschlag in Superzeitlupe. Der ist so langsam, dass wir eigentlich Zeit hätten, um zu agieren. Der Unterschied zu Corona besteht darin: Das Virus wird als konkrete Bedrohung wahrgenommen. Also haben wir reagiert und, zumindest anfangs, auf die Wissenschaft gehört.

Die Coronakrise als Lehrbeispiel?

Unbedingt. Corona könnte ein Moment der Zäsur sein. Beim Virus haben wir noch keinen Impfstoff, beim Klimawandel schon: Es sind die erneuerbaren Energien! Wir müssen sie nur konsequent nutzen. Deshalb haben wir kein Recht, uns weinerlich zurückzulehnen. Es ist nicht fünf nach zwölf, wir haben noch eine gewisse Zeit, um gegenzusteuern. Klimarhetorik allein reicht dafür aber nicht, wir müssen die Probleme anpacken.

Wird der CO2-Ausstoß in 20, 30 Jahren noch eine Rolle spielen?

Das hängt, wie gesagt, davon ab, ob wir das tun, was wir uns auf der Klimakonferenz in Paris verbindlich versprochen haben. Ich kann bisher nicht erkennen, dass wir dazu neigen. Ich komme noch mal auf Corona zurück: Es hat so ein kleines Virus gebraucht, um unser Verhalten zu ändern. Es hat uns dazu gezwungen – und ich fürchte, das Prinzip menschlichen Handelns ist, Dinge leider nicht freiwillig zu tun.

Sie kommen demnächst nach Stuttgart, eine Stadt, in der die Luft im Winter schlecht und die Hitze im Sommer groß ist. Wagen Sie eine Prognose: Wie ändert sich das Stadtklima?

Stuttgart mit seinen Hängen und Hügeln ist wunderschön, aber die Kessellage mittendrin ist ein Problem. Es wird in Zukunft längere und stärkere Hitzewellen ebenso wie häufigeren Starkregen mit schweren Gewittern und Hagel geben. Um dem entgegenzuwirken, wäre schon viel geholfen, wenn wir den Verkehr mehr an Fahrrädern als an Autos ausrichten würden. Warum müssen die Parkplätze den immer größer werdenden Autos angepasst werden? Das Auto muss doch zum Parkraum passen und so wäre es schlicht klüger, kleinere Fahrzeuge zu bauen. Diesen und vielen anderen Fragen müssen wir uns ernsthaft stellen.

Sie sind Jahrgang 1967, gehören zu einer Generation, die das Leben in vollen Zügen genoss. Wenn junge Menschen für die Umwelt auf die Straße gehen, fühlen Sie sich schuldig?

Schuld ist so eine Sache. Hinterher weiß man immer mehr. Ich sag’s mal so: Eine Wetternachhersage ist einfacher als eine Wettervorhersage. In den Achtzigerjahren war das allgemeine Umweltbewusstsein und das Wissen darüber ein Anderes als heute. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir uns jetzt überlegen müssen, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Unsere Art des Wirtschaftens hat uns bisher Wohlstand gebracht. Aber wenn wir die Dinge so laufen lassen, wird unser Verhalten diesen Wohlstand wieder einkassieren. Hans Joachim Schellnhuber, der Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, hat es so formuliert: Beim Coronavirus müssen die Jungen die Alten schützen, beim Klimawandel ist es umgekehrt. Ein Gegeneinander der Generationen ergibt keinen Sinn.

Ein gern gehörtes Argument lautet: Das Klima ändert sich eh, also was soll’s.

Das stimmt natürlich, das Klima hat sich immer verändert, auch ohne unser Zutun. Aber jetzt geht es viel schneller – und zwar global. Und bei einer globalen Veränderung muss ich mir die Frage stellen, ob es einen zusätzlichen physikalischen Antrieb gibt. Und den gibt es, das sind wir. Viele Wissenschaftler sagen heute, die Änderungen seien komplett menschengemacht. Aber ob unser Einfluss am Ende 75 und 100 Prozent ausmacht, ist unerheblich. Die meisten Menschen erkennen das Problem und verstehen die Notwendigkeit, etwas zu verändern. Wenige tun das nicht und bestreiten mit längst widerlegten Argumenten die Zusammenhänge.

Was passiert, wenn wir nichts tun?

Dann würden die Wetterextreme zunehmen und sich weiter beschleunigen. Wenn wir den Amazonas, das größte Beatmungsgerät der Welt, weiter abholzen, und wir sind leider auf dem Weg dahin, kippt das System irgendwann – und wir haben dort eine Savanne. Es kann gut sein, dass es in 55 000 Jahren mal wieder eine Eiszeit gibt. Aber das ist für unsre Gesellschaft heute uninteressant und durch unseren massiven Einfluss auf das Klima nicht mal mehr sicher.

Zur Not würde Aldi Heizdecken verkaufen. Herr Plöger, auch wenn Sie teils düstere Prognosen zeichnen, es schwingt immer ein „Wir können es packen“ mit.

So ist das auch. Theoretisch ist klar, wir haben mindestens zehn Jahre Zeit, um das Klima vor dem Kippen zu schützen. Aber wir sollten endlich richtig damit anfangen. Durch Corona sind wir an einem Punkt angekommen, an dem sich für mich die Frage stellt: Wo wollen wir mit dem Hyperkonsum eigentlich hin? Es ist, als säßen wir in einem Hamsterrad und würden uns ohne Ziel abstrampeln. Wir sollten die Zeit der Entschleunigung nutzen, um nach anderen Möglichkeiten zu schauen. Ich sehe gute Ansätze, wenn die Bundesregierung sich jetzt eine Wasserstoffstrategie überlegt. Aber ich frage mich: Warum wartet man immer so lange, bis man einen Schlag vor die Rübe kriegt? Das ist zwar menschlich, aber gut ist das nicht. Wenn wir wollen, haben wir ein unglaubliches Potenzial.

Noch ein Wort zu Plöger als TV-Wetterfrosch: Sie bleiben sich treu und werden weiter auch Tiefs mit einer gewissen Heiterkeit verkünden?

Ich bleibe dabei, das bin ich schon meiner Herkunft als Rheinländer schuldig.