Irmgard-Elisabeth Poggendorf mit Tochter Sabine im Jahr 1957. Foto: StN

Sabine M.* weiß wenig über ihren Vater. Er war Fotograf in Stuttgart, er stammt aus Jugoslawien. Und er hatte im Frühsommer 1955 eine kurze Affäre mit ihrer Mutter. Trotzdem hofft Sabine M., jetzt – 58 Jahre später – ihren Vater ausfindig zu machen.

Sabine M.* weiß wenig über ihren Vater. Er war Fotograf in Stuttgart, er stammt aus Jugoslawien. Und er hatte im Frühsommer 1955 eine kurze Affäre mit ihrer Mutter. Trotzdem hofft Sabine M., jetzt – 58 Jahre später – ihren Vater ausfindig zu machen.

Hamburg/Stuttgart - Es ist die Geschichte der Suche nach den eigenen Wurzeln. Und es ist die Geschichte einer schweren Kindheit. Sie beginnt im Frühsommer 1955 in Stuttgart. Irmgard-Elisabeth Poggendorf, geborene Lange, ist im Alter von 33 Jahren aus dem Raum Magdeburg in den Westen geflohen und zunächst in Stuttgart in einer Auffangstation untergebracht. Von diesen gab es nach Recherchen unserer Zeitung einige. Im Flüchtlingslager Schlotwiese in Zuffenhausen waren etwa 1200 Personen untergebracht, im Isolierwerk in Hedelfingen rund 1000. Weitere Lager befanden sich zu jener Zeit in Feuerbach (Pfostenwäldle), Bad Cannstatt (Obere Ziegelei) oder in der Stadtmitte (Lager Olga). Zurückgelassen hat sie ihren Mann, die beiden gemeinsamen Kinder. Nur die uneheliche Tochter hat sie mitgenommen.

Um Bilder für Dokumente und Papiere zu bekommen, geht sie im Juni 1955 in Stuttgart zu einem Fotografen. Und der stammt aus Jugoslawien, das ist das Einzige, was Sabine M. mit Sicherheit weiß. Sie weiß weder seinen Namen noch wie alt er damals war. Und sie weiß auch nicht, wo das Fotostudio war, vermutlich aber in der Innenstadt.

Jedenfalls muss der Fotograf Irmgard-Elisabeth Poggendorf sehr gefallen haben, denn sie lässt sich nicht nur von ihm fotografieren, sondern auch verführen. Mit Folgen – neun Monate später wird Sabine geboren.

Aber da war die Mutter mit ihrer ersten unehelichen Tochter schon längst weitergezogen in den Norden, nach Tornesch bei Pinneberg. Dort leben die Mutter und der Stiefvater, und dort verspricht sie sich Hilfe. „Nach allem, was ich über meine Mutter weiß, war sie ein unglückliches, ein verlorenes Wesen“, sagt Sabine M., die heute in Hamburg lebt.

Schwangere aus dem Haus gejagt

Die erhoffte Hilfe bekam Irmgard-Elisabeth Poggendorf nicht. Ihre Mutter und der Stiefvater, der sie in der Kindheit immer wieder geschlagen hat, jagen die Schwangere aus dem Haus. Sie gibt ihre erste uneheliche Tochter in ein Heim und zieht weiter, in die Nähe von Schleswig. Dort kommt in einem Diakoniekrankenhaus am 9. April 1956 Sabine auf die Welt. Die Schwestern raten der Mutter, das Kind zur Adoption freizugeben. Doch sie entscheidet sich anders. „Das hat mir meine Mutter immer wieder vorgehalten“, erinnert Sabine M. sich. „Hätte ich damals doch bloß auf die Schwestern gehört“, diesen Satz wiederholte die Mutter ständig. Ebenso wie die Drohung: „Ich geb’ dich ins Heim.“

Sabine und ihre Mutter kommen auf einem Bauernhof in der Nähe von Pinneberg unter. Im Dorf werden die beiden gemieden. „Ich habe als kleines Kind fast immer alleine gespielt“, erzählt Sabine M. Am liebsten habe sie die Katze im Puppenwagen durch die Gegend gefahren. „Aber für mich war diese Zeit okay, draußen fühlte ich mich frei und vor den Beschimpfungen meiner Mutter sicher.“

Unbewusst versucht sie schon als kleines Kind, Verantwortung für ihre Mutter zu übernehmen, die von Sozialhilfe lebt und völlig überfordert ist. Wahrscheinlich lässt diese sich auch deshalb schon bald wieder mit einem Mann ein. Aus der Beziehung gehen noch einmal zwei Kinder hervor, zu denen Sabine M. aber nur wenig Kontakt hat. Der Stiefvater trinkt und schlägt die Mutter. Zur Einschulung erscheint Sabine geschminkt und mit toupiertem Haar, wie es damals Mode war. Die Augenbrauen hat sie sich mit abgebrannten Streichhölzern schwarz gemalt. „Ich hatte einen unglaublichen Drang, schnell erwachsen zu werden.“

Im Alter von neun Jahren geht Sabine zum Jugendamt und erklärt, dass sie in Zukunft in einem Heim leben will. Die Behörden stimmen zu. Von da an sieht sie ihre Mutter, die vor einigen Jahren gestorben ist, nur noch selten. Über ihre Herkunft hat sie mit ihr nie sprechen können.

Starker Wille vielleicht vom Vater geerbt

Die Jahre im Heim sind nicht einfach für Sabine; die Freiheit, die sie auf dem Bauernhof hatte, ist weg. Und obwohl sie eine gute Schülerin ist, stimmt die Heimleitung nur auf Drängen ihrer Lehrerin zu, dass sie als einziges Heimkind auf ein Gymnasium wechseln darf. Nach einem Jahr in einem Internat in St. Peter Ording lebt sie als Pflegekind bei einer Lehrerin, bis sie mit 16 Jahren dann alleine wohnt.

Vielleicht hat sie ja ihren starken Willen von ihrem Vater. Sabine macht Abitur, studiert Germanistik und Politik, schreibt nebenher als freie Mitarbeiterin für Zeitungen. Sie bricht ihr Studium ab und wird Journalistin, arbeitet viele Jahre zuerst als Autorin und Reporterin, dann als Redakteurin. Vor zehn Jahren macht sie noch eine Ausbildung zur Diplom-Supervisorin und zum Coach und arbeitet heute auch als Beraterin. Sabine M. lebt seit 23 Jahren in einer festen Beziehung. Eigene Kinder zu bekommen, hat sie sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen nie getraut. „Dafür gibt es jetzt einen süßen Enkel von meinem Mann aus erster Ehe.“

Sabines Vater dürfte heute jenseits der 80 sein, wenn er denn noch lebt. Vielleicht hat sie ja auch die Sommersprossen, die grünen Augen und den leichten slawischen Einschlag von ihm. Sollte der Vater noch leben und ausfindig gemacht werden, will Sabine M. nach Stuttgart kommen und ihn kennenlernen. „Natürlich nur, wenn es ihm recht ist! Ich merke einfach, dass ich diesen Versuch unternehmen muss, bevor es vielleicht zu spät ist.“

* Name von der Redaktion geändert