Verdorrte Wiesen im Juni: Der Klimawandel in Stuttgart zeigt sich nicht mehr nur im Hochsommer. Foto: Fotoagentur-Stuttg/Andreas Rosar

2023 war das heißeste Jahr weltweit. Und in Stuttgart? Zahllose Temperaturrekorde verändern den Blick auf die lokalen Folgen des Klimawandels.

Weltweit wird 2023 absehbar das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sein. Und in Stuttgart? „Ich vermute, dass wir auf Platz vier landen“, sagt Andreas Pfaffenzeller vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Der Meteorologe wacht am Schnarrenberg über die vielen vom DWD gemessenen Daten, die online frei zugänglich sind und die wir unter anderem in unserem Projekt „Klimazentrale“ kontinuierlich auswerten. Im laufenden Jahr liegt die mittlere Temperatur am Schnarrenberg bei 12,1 Grad. Im bislang heißesten Stuttgartjahr 2022 waren es 12,2 Grad.

Ein Ganzjahres-Temperaturmittel sagt viel über den Klimawandel aus, man kann sich aber eher wenig darunter vorstellen. Menschen erinnern sich leichter an Kälte- und Hitzewellen oder an extreme Trockenperioden wie im Juni, als sich das Gras in Stuttgart gelb färbte.

Die vergangenen Jahre bringen mehr Allzeit-Temperaturrekorde

Genau das sei ein Problem, sagt Andreas Pfaffenzeller. Hitzestress, der vielfach mit Klimawandel in Verbindung gebracht wird, fühlt man nur im Sommer. „Eigentlich sind die Wintermonate in Stuttgart noch etwas stärker wärmer geworden als die Sommermonate“, sagt der Meteorologe. Nur spürt man es da nicht so sehr.

An 14 Tagen wurden im Jahr 2023 Allzeit-Temperaturrekorde gemessen. An jenen 14 Tagen war es heißer als in jedem anderen Jahr seit 1958. Nur 2015 und 2003 wurden für diesen Zeitraum mehr solcher Rekordwerte gezählt.

Unter den Rekordtagen des Jahres 2023 waren Sommertage wie der 9. Juli mit mehr als 36 Grad, aber eben auch acht Herbsttage. Klimawandel ist auch bei 27 bis 30 Grad im September, 25 bis 29 Grad im Oktober oder 16 Grad am 19. November. Der Herbst war laut Andreas Pfaffenzeller auch insgesamt „extrem viel wärmer“ als das, was bis 1990 als normal gelten durfte.

Mehr Temperaturrekorde im Sommer

Fast 30 Grad sind Mitte Oktober ein willkommenes Kurz-Comeback des Sommers – aber eben auch Ausdruck eines sich wandelnden Klimas. Zumal der Klimawandel sich bislang eher selten im Herbst markant ausdrückt. Das zeigt sich auch, wenn man die seit 2001 erzielten Allzeit-Höchsttemperaturen nach Monaten aufschlüsselt. Zwischen Juni und August wurden deutlich mehr Tagesrekorde gemessen als von Oktober bis März.

In der Sprache des DWD steckt noch das von der Erderwärmung mittlerweile überholte, frühere Normalwetter. „Von einer Hitzewelle sprechen wir, wenn es durchgängig mehr als 28 Grad hat“, sagt Andreas Pfaffenzeller. Solche Werte würde im Sommer kaum mehr jemand ungewöhnlich finden. 16 Mal warnte der DWD dieses Jahr vor starker, zwei Mal vor extremer Hitzebelastung – doppelt so oft wie im Vorjahr mit seinem gefühlt heißeren Sommer.

Dass am relativ hoch gelegenen Schnarrenberg auch im nur vermeintlich unauffälligen Sommer 2023 insgesamt 20 Tage mit dreißig Grad und mehr gezählt wurden, ist nicht mehr normal – jedenfalls nicht, wenn man die Maßstäbe zugrunde legt, mit denen die heutige Großelterngeneration aufgewachsen ist. Zwischen 1961 und 1990 wurden im Schnitt fünf solcher Hitzetage gezählt, also ein Viertel von dem, was diesen Sommer auftrat.

„Ein Büromensch kriegt das nicht so deutlich mit“

Selbst der Jahresanfang war 2023 rekordverdächtig mit 17 Grad am 1. Januar und 17,7 Grad am zweiten – das war nicht nur „ungewöhnlich mild“, sondern so warm, dass den Meteorologen die Worte dafür fehlen. Im gesamten Jahr 2023 war nur der April deutlich zu kühl. Ein Tages-Kälterekord wurde aber nicht gemessen. Kein einziger Tag im Jahr 2023 war kühler als die anderen mit dem gleichen Datum seit 1958, weder mit Blick auf den Tageshöchstwert noch beim nächtlichen Tiefstwert.

Auch wenn 2023 anders als global nicht das wärmste aller Zeiten in Stuttgart war – ein Jahr der Rekorde ist es letztlich doch geworden. Dass das Bauchgefühl womöglich etwas anderes sagt, liegt laut Andreas Pfaffenzeller an der Gewöhnung. Und: „Zumindest ein Büromensch kriegt die Veränderungen beim Wetter nicht so deutlich mit wie jemand, der draußen arbeitet.“