Monsignore Christian Hermes, der katholische Stadtdekan von Stuttgart, fordert Demonstrationen gegen t „Menschenverachtung im Rotlicht“. Foto: Screenshot

Freier, findet der katholische Stadtdekan Christian Hermes, sind „arme Säue“. Wortreich unterstützt er die Aktion #ichbinkeinfreier von Stuttgarter Künstlern, bei der immer mehr Männer mitmachen. OB Fritz Kuhn sagte dagegen ab.

Stuttgart - Dass ein Monsignore Prostitution ablehnt, kann nicht überraschen. Christian Hermes, der katholische Stadtdekan von Stuttgart, verblüfft dennoch in seinem Videostatement. Die Künstlergruppe der Aktion #ichbinkeinfreier wird den kurzen Film demnächst online stellen – unsere Zeitung bekam ihn vorab zu sehen. Darin wendet sich der Dompfarrer der Domgemeinde St. Eberhard, der bekannt für seine Haltung gegen Rechtspopulismus ist, mit scharfen Worten an die Freier – an seine Geschlechtsgenossen, die Frauen schädigten „fürs ganze Leben“, indem sie Bordelle besuchten und sich der Illusion hingäben, begehrenswert zu sein. „Das ist doch Quatsch!“, entfährt es dem 47-Jährigen vor der Kamera.

Künstler sind verärgert, dass OB Kuhn „kneift“

Nein, ein katholischer Würdenträger ist kein Freier – Sexualität darf er sowieso nicht ausleben. Hermes prangert scharf an, wie wenig sich die meisten Stuttgarter um „Menschenverachtung im Rotlicht“ scherten. „Es ist seltsam, dass es in einer Stadt, in der so viel demonstriert wird, ruhig bleibt, wenn Tag für Tag Frauen hundertfach missbraucht und vergewaltigt werden im Rahmen der Prostitution“, wettert er.

So ruhig bleibt es jetzt nicht mehr. Eifrig sind sechs Künstlerinnen und Künstler in der Stadt und Region unterwegs, um Stimmen von Männern gegen Prostitution zu sammeln. Hunderte haben sich schon filmen lassen. Immer mehr Prominente machen mit. Neben Hermes sind es etwa Søren Schwesig, der evangelische Stadtdekan von Stuttgart, sowie Matthias Klopfer, der OB von Schorndorf. Sie alle erklären in Videobotschaften, die bei Facebook gepostet werden, warum sie keine Freier sind.

Vom Stuttgarter Rathauschef Fritz Kuhn bekamen die Initiatoren der Kampagne eine Absage aus seinem Sekretariat, was Jusytina Koeke, Dozentin der Stuttgarter Kunstakademie, ärgert. „Ich nehme es ihm sehr übel, dass er kneift“, sagt die Aktivistin. Ob der grüne OB schon vergessen habe, dass er vor zwei Jahren eine Plakataktion gestartet habe, bei der Sprüche wie „Kondome benutzt man, Frauen nicht“ in der Stadt aufgehängt wurden?

„Wir wollen eine neue Kultur etablieren“

In der Debatte um das boomende Sexgeschäft kommen Männer meist als Zuhälter, Menschenhändler oder Freier vor. „Wir wollen eine neue Kultur etablieren“, erklärt die Künstlerin Justyna Koeke, „wir wollen zeigen, dass moderne, empathische Männer keine Frauen kaufen.“ Im Rotlicht dominierten kriminelle Organisationen – mit ihnen das Verbrechen, Frauen- und Drogenhandel. Dass der Paradise-Chef Jürgen Rudloff, der einst in Talkshows für eine angebliche moderne Art von Prostitution warb, nun vor Gericht steht, begrüßt Justyna Koeke. „Was in Großbordellen geschieht, ist jämmerlich“, sagt sie, „dank der Anklage spricht sich dies nun herum.“

Erschreckend findet die Dozentin, wie oft Männer bei den Videobefragungen zur Anti-Prostitutions-Kampagne der Stuttgarter Künstlergruppe damit angäben, immer mal wieder zu Huren zu gehen. „Nicht wenige finden das selbstverständlich“, ärgert sie sich. „Tödlich für die Sexualität in der Gesellschaft“ sei es, wenn Männer es „offensichtlich geil“ fänden, „angelogen zu werden mit gespielter Zuneigung“. Ihre Feststellung: „Je jünger die Befragten sind, desto mehr haben sie Verständnis für unsere Kampagne, und desto mehr wissen sie Bescheid über Missstände beim Sexkauf.“ Verständnis findet die Aktion bei Schauspielern, Künstlern, Musikern – und bei den Kirchen.

Sex gegen Geld ist für den evangelischen Stadtdekan „undenkbar“

„Liebe Freier, ihr seid arme Säue“, sagt Stadtdekan Hermes. Erbärmlich sei es, „wenn ein Mann sich gegen Geld die Illusion verschafft, dass eine Frau ihn hübsch findet“. Sein evangelischer Kollege Søren Schwesig warnt: Wer als Freier unterwegs sei, tauche ein in die „Welt von Kriminalität und Gewalt“. Sex gegen Geld zu haben sei für ihn „undenkbar“. Der große Zuspruch von #ichbinkeinfreier zeigt: Die Zahl derer, die sich als „gute Männer“ zu erkennen geben, steigt. Werden sie als Vorbilder gesehen und für ein Umdenken sorgen? Ob sich die Zahl der Bordellbesuche dadurch reduziert, lässt sich nicht in den sozialen Netzwerken ablesen, wo die Videobotschaften gegen Prostitution immer häufiger laufen. Kommen irgendwann auch noch die Schuldbekenntnisse? Etwa so: Ich bin ein Mann, es tut mir leid!