Hans Jörg Schnitzer inmitten seiner Schätze im Kolb-Lollipop-Museum in Korntal Foto: factum/Bach

Auf Spurensuche: In unserer Serie „Stuttgarter Entdeckungen“ wollen wir mit Hilfe unserer Leser Geschichten aufspüren, die in den vielen Winkeln dieser Stadt verborgen sind. Diesmal: das Kolb-Lollipop-Museum in Korntal – eine Reise in die Zeit des Wirtschaftswunders.

Stuttgart - Die Not des Schreibers ist groß. Wie um Himmels willen soll man all die Geschichten auf eine Zeitungsseite bringen, die Hans Jörg Schnitzer einem da erzählt. Sein Leben allein ist schon spannend genug, dann sind da noch Hunderte Fundstücke aus Zuffenhausen, die er gesammelt hat, sowie das Auf und Ab der Firma Kolb im Laufe der Jahrzehnte, das reichlich Stoff zum Erzählen bietet.

Fangen wir mit dem Makel an. Geboren ist Schnitzer in Berlin, den Rest seines Lebens hat der „Ü-70-Jährige“ aber in Zuffenhausen verbracht. Was ihn nicht nur zu einem Zuffenhausener, sondern zu einem Zuffahäuser (also einen echten Einheimischen) macht – mithin zu einem Experten, der mit Fug und Recht das heimliche Museum des Stadtteils betreibt. Womöglich haben ihm aber die drei Monate in Preußen die typische Berliner Schnauze und Forschheit beschert. Der Mann ist ein Entertainer, er schwätzt gerne, er ist unterhaltsam und ein Menschenfischer.

Was vor mehr als 40 Jahren mit Emailleschildern begann, ist heute ein Heimatmuseum, wenn auch auf Korntaler Boden, eine Schaubude mit allerlei Kuriositäten, ein Fanhaus des Moped-Herstellers Kreidler, ein Werksmuseum, auf jeden Fall aber ist es das Lebenswerk von Hans Jörg Schnitzer.

Schnitzer hatte „eine wilde Jugend“

Ein Hallodri sei er gewesen früher, erzählt er, und habe eine „wilde Jugend“ gehabt. „Ich war überall dabei, nur nicht beim Lernen“, sagt er. Richtig ernst genommen hat er nur das Handballspielen. In der siebten Klasse erwischten ihn die Lehrer mit einem Schlagring, er flog von der Schule. Besser wurde es nicht. Obwohl ihm der Opa ins Gewissen redete. Mit 15 hatte auch die Oberschule in Feuerbach genug von ihm. Er bewarb sich überall, „keiner hat mich genommen“. Schließlich durfte er sich „dank Opas Empfehlung bei Kreidler vorstellen“. Er wollte Kaufmann werden. 50 Lehrlinge traten an, er ließ sich mustern und prüfen von einem „Psychologen mit Doppelnamen“. Der schließlich alle 50 Mann versammelte, zwei aufzustehen hieß und ihnen sagte, sie seien „Nichtsnutze“ und „völlig untauglich“. Einer davon war Schnitzer.

Über eine Handelsschule in Hamburg, Sprachschule in London und den Einstieg in die väterliche Hydraulik-Firma Kolb machte Schnitzer doch noch Karriere. Jahrzehnte später ging Kreidler Konkurs, und Schnitzer kaufte sieben der Werkhallen. Der Kreis hatte sich geschlossen. Kein Wunder also, dass die Mofas und Mopeds in sein Museum gehören. Sie sind Teil der Stadt- und seiner Lebensgeschichte. 34 Kräder hatte er mal, jetzt sind es noch ein starkes Dutzend.

Sein liebstes Stück jedoch hat vier Räder – ein Lincoln Continental Mark V aus dem Jahre 1978. Er hat ihn von einer seiner zahlreichen dienstlichen Reisen in die USA mitgebracht. Ebenso den Cadillac, den er in Florida einem 91-Jährigen abgekauft hat. Und die Käfer dürfen nicht fehlen, für die macht seine Firma Ersatzteile und schickt sie an Sammler und Enthusiasten in aller Welt.

Schmiersysteme für die „Tante Ju“

Der Opa hat die Firma Kolb in Stuttgart-Berg gegründet. Er war ein Schwabe durch und durch, ein Techniker und Tüftler. Er entwickelte ein Schmiersystem für die „Tante Ju“ des Flugzeugherstellers Junkers. Wie findig der Opa war, zeigt Schnitzers Geschichte. Die Motoren mussten während des Flugs geschmiert werden, die Propeller verteilten Öl und Fett auf den Tragflächen. Was die Passagiere und Fluggesellschaften irritierte. „Die glaubten, das Flugzeug gehe kaputt.“ Also fragte Hugo Junkers bei Kolb an, ob der eine Idee hätte. Hatte er. Fortan strich man die Tragflächen oberhalb der Motoren schwarz an, man sah das Öl also nicht mehr. So entstand der legendäre schwarze Streifen auf den Flügeln der JU 52. Später baute Kolb Hydrauliksysteme, verlegte sich dann auf die Reparatur, um seit 1976 Sonderteile für VW-Käfer, Busse und Porsche zu bauen.

Natürlich Porsche, was auch sonst als Zuffahäuser? In mehr als 80 Ländern schaute er sich um, von überall hat er Fundstücke mitgebracht. Doch die Heimat liegt ihm besonders am Herzen. Und so hat er nicht gezögert, als die Zuffenhäuser Heimatstube eine, nun ja, neue Heimat brauchte. Das Ehepaar Bothner hatte jahrzehntelang alles gesammelt, was mit dem Ort zu tun hatte, und in der Rütlistraße gezeigt.

Als Helmut Bothner im Jahr 2010 starb, machte seine Frau Sigrid noch eine Weile allein weiter, schließlich wurde ihr das zu viel. Sie suchte den Kontakt zu Schnitzer, und der räumte Platz frei für die Neuzugänge, die in einem Möbellaster ankamen. Darunter waren eine alte Schuhmacherpresse, eine Hellebarde der Stadtwache ebenso wie ein Feuerwehrhelm, Werkzeuge, Urkunden und Erinnerungen an den 5er, also die Stroßaboh, die nach Wolle Kriwanek die Zuffahäuser hoim brachte. Schnitzer hat aber auch einen der ersten Kopierer der Welt, entwickelt von Walter Eisbein, natürlich in Zuffenhausen. Oder ein Mahlwerk, in dem in einem Café am Marktplatz der Kaffee gemahlen wurde. Die Bilder berühmter Zuffahäuser wie Robert Schlienz (VfB-Fußballer), Max Horkheimer (Sozialphilosoph) oder Blacky Fuchsberger (TV-Legende) dürfen nicht fehlen.

Museumsbar namens Route 66

Und jetzt haben wir noch nichts erzählt von dem Laufrad an der Decke, der Puppenstube, dem Kino und der Museumsbar namens Route 66. Und was es mit dem Bundesverdienstkreuz und dem thailändischen Orden auf sich hat, muss man Hans Jörg Schnitzer am besten selbst fragen. Er wird es gerne erzählen. Und ganz sicher wird man dann nicht nur mit schönen Geschichten belohnt, zum Abschied gibt es, in Erinnerung an die guten alten Wirtschaftswunderjahre, noch einen Lollipop.

Info:

Das Kolb-Lollipop-Museum

In seinem Kolb-Lollipop-Museum in Korntal zeigt Hans-Jörg Schnitzer Hunderte von Ausstellungsstücken, die er in den letzten 40 Jahren gesammelt hat. Sein Schwerpunkt liegt auf der Zeit des Wirtschaftswunders, aber eigentlich sammelt er alles, was ihm gefällt.

Das Museum ist an der Lilienthalstraße 11 in 70825 Korntal. Es öffnet nur nach vorheriger Anmeldung über 07 11 / 83 32 21. Oder via E-Mail info@kolb-international.de. Die Route-66-Bar kann ebenso wie die Museumshalle gemietet werden. www.kolb-lollipop-museum.de