Der Friedenstreff Stuttgart Nord war auch bei der Gedenkfeier des Netzwerkes Friedenskooperative zum Antikriegstag auf dem Stauffenbergplatz in Stuttgart beteiligt. Foto: privat

Der Friedenstreff Stuttgart Nord trifft sich einmal im Monat in einen Nebenzimmer der Bahnhofsgaststätte Feuerbach. Die Initiative sieht angesichts der Kündigung des INF-Vertrages die Gefahr eines neuerlichen Atomwettrüsten in Europa.

Stuttgarter Norden - Hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten – mal ausgenommen die Digitale Revolution – möglicherweise gar nicht so viel verändert? Es war am 1. September 1979, also vor etwa 40 Jahren, als in Bonn rund 40 000 Menschen auf die Straße gingen. Sie demonstrierten unter dem Motto: „Den Frieden sichern – das Wettrüsten beenden.“ Der damalige Anlass war der Antikriegstag: Denn wiederum 40 Jahre zuvor, am 1. September 1939, hatte der Zweite Weltkrieg begonnen. Mit dem Überfall auf Polen wurde von deutschem Boden aus eine Mord- und Tötungsmaschinerie in Gang gesetzt, die alles bisher Dagewesene übertraf.

Lieder gegen den Krieg bei der Kulturnacht

„Lieder gegen den Krieg“ werden auch am kommenden Samstag, 30. März, in der Kindertagesstätte Stuttgarter Straße 49 erklingen. Der Friedenstreff Stuttgart Nord lädt anlässlich der Feuerbacher Kulturnacht zu einem Programm ein, dass sicherlich nachdenklich stimmen dürfte. „Nachrichten vom Untergrund“ ist der Konzertabend überschrieben. Bernd Köhler (Gesang, Gitarre) und Joachim Romeis (Geige) treten auf. Sie tragen Antikriegslieder vor, werden aber auch Lieder aus ihrer aktuellen CD „In dieser Straße – das Waterboarding-Syndrom“ spielen und singen. Das Konzert beginnt um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Schon auf der Waldheide und in Mutlangen waren manche dabei

Szenenwechsel: Jeden vierten Donnerstag im Monat treffen sich Mitglieder der Initiative „Friedenstreff Stuttgart Nord“ um 18.30 Uhr im Nebenzimmer der Bahnhofsgaststätte in Feuerbach. Einige aus der Gruppe, wie zum Beispiel Heinz Wienand, waren schon vor 40 Jahren dabei, als sich die Friedensbewegung aus ganz unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Strömungen bildete. Als im Dezember 1979 der Nato-Doppelbeschluss gefasst, knapp vier Jahre später der Bundestag den Nachrüstungsbeschluss fasste und 1983 die Marschflugkörper auf der Waldheide bei Heilbronn stationiert wurden, formierte sich der Widerstand dagegen, erinnert sich Wienand: „Frieden schaffen ohne Waffen“ hieß der Slogan damals. Im Oktober 1983 bildete sich eine Menschenkette von Stuttgart bis Neu-Ulm, sie war 108 Kilometer lang. Und vor der Kaserne in Mutlangen versammelten sich Mitglieder der Protestbewegung zu Sitzblockaden, um gewaltfrei gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen zu demonstrieren.

Nicht nur ein Überbleibsel der Friedensbewegung

Ein „Überbleibsel dieser Nachrüstungszeit“, wie es eine Mitstreiterin aus der Friedensgruppe formuliert, ist der heutige Friedenstreff Stuttgart Nord natürlich schon, aber seine Positionen sind auch aktueller denn je: Denn offensichtlich spitzt sich die Lage in Europa wieder zu und die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Spätestens seit der Kündigung des sogenannten INF-Vertrages, der als bilaterale Vereinbarung zwischen der USA und Sowjetunion seit den 1987 Jahren bestand und den Verzicht auf landgestützte Flugkörper für Kurz- und Mittelstrecken regelte, sehen die Mitglieder der Friedensinitiative wieder die reale Gefahr eines atomaren Wettrüstens auf europäischem Boden.

„Ist ein Atomkrieg in Europa angesichts der Kündigung des INF-Vertrages wieder denkbar?“ lautet denn auch bei dem Treffen in dem Hinterzimmer der Bahnhofsgaststätte „Station F“ in Feuerbach die Frage: Um sie zu beantworten, hatte der Sprecher des Friedenstreff Nord, Ralf Chevalier aus Zuffenhausen, Ende Februar den Referenten und Friedensaktivisten Dieter Lachenmayer vom Friedensnetz Baden-Württemberg eingeladen. Denn die Atomkriegsuhr, die „Doomsday Clock“, sie ticke wieder, mahnen die Mitglieder der Feuerbacher Initiative. Doch deren Kassandrarufe verhallen derzeit noch – angesichts anderer Aufreger-Themen wie dem Klimawandel.

Der Krieg in der Ukraine war der Auslöser

Gegründet wurde der Friedenstreff Stuttgart Nord, der aus der Friedensinitative Feuerbach hervorgegangen ist, im Jahr 2015 während des Krieges in der Ukraine: „Seitdem verschärft sich die Konfrontation zwischen den Nato-Staaten und Russland kontinuierlich, immer mehr Truppen der Nato werden an die Westgrenze Russlands verlagert“, sagt Chevalier. Er und seine Mitstreiter treten für eine „friedliche Welt – ohne Militär, Rüstungsindustrie und Abschiebungen“ ein. Doch 40 Jahre nach dem Doppelbeschluss scheint der Kalte Krieg erneut für eine Frostperiode zu sorgen. Ost und West beäugen sich zunehmend kritisch. „Im Falle eines Krieges wäre Stuttgart mitten im Fadenkreuz, denn in Vaihingen befindet sich mit dem Eucom die US-Kommandozentrale“, sagen die Mitglieder der Initiative und fordern, sich endlich an einen Tisch zu setzen: „Konflikte sind ausschließlich auf Augenhöhe in politischer Form zu lösen.“ Und sie fordern, das Geld in den Sozialbereich zu investieren statt den Rüstungshaushalt zu erhöhen und die militärische Infrastruktur auszubauen.