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Verhandlungen zu Stuttgart 21 zwischen Sachpolitik und persönlicher Verbundenheit.

Stuttgart - Der Knackpunkt hieß Volksentscheid: Kommt er, oder kommt er nicht, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Diese Fragen haben Grün und Rot geklärt. Doch nun müssen die Verhandlungsführer das Ergebnis zu Stuttgart 21 ihren Parteien beibringen.

Chefredakteur Christoph Reisinger im Gespräch auf Deutschlandradio Kultur

Winfried Kretschmann ist ein Mann, der gesund lebt. Mit Nikotin hat der künftige grüne Ministerpräsident nichts zu tun. Und doch bemüht SPD-Landeschef Nils Schmid am Mittwoch das Bild vom süchtigen Raucher, um die Beziehung zu den Grünen zu beschreiben. "Wissen Sie", sagt er im Moser-Saal des Stuttgarter Landtags, "wenn man sich mit einem Partner zusammentut, sollte man nicht meinen, man könne ihm das Rauchen abgewöhnen." Schmid meint damit die unterschiedlichen Vorstellungen zu Stuttgart 21, die beide Parteien vor dem Mittwoch erkennen ließen. Noch am Tag zuvor hatte Kretschmann erklärt, man müsse darüber reden, ob der Landtag neu über das Bahnprojekt beschließt, falls ein Volksentscheid an den hohen Hürden in der Landesverfassung scheitern. Die SPD lehnte dies strikt ab.

"Beide Parteien respektieren die Position des anderen"

Als Schmid den Raucher-Vergleich zieht, da bleibt Kretschmann ganz gelassen, fast scheint es, als lächelt er in sich hinein. "Bei den strittigen Punkten haben wir uns die Köpfe heißgeredet", sagt er und lässt keine Zweifel aufkommen: Beim Thema Stuttgart 21 standen die Koalitionäre teilweise so weit auseinander wie bei keinem anderen Sachthema. Kretschmann formuliert es freilich in bestem Diplomatendeutsch: "Beide Parteien respektieren die Position des jeweils anderen."

Natürlich kommt die Frage nach der Standfestigkeit der Koalition. Sie muss kommen, gerade bei einem Thema wie Stuttgart 21. Also, Herr Kretschmann, Herr Schmid, war die Koalition angesichts dieser Differenzen jemals gefährdet? Die beiden, der jüngere und der ältere, schauen sich an, schütteln den Kopf. "Nein, die Koalition war zu keinem Zeitpunkt gefährdet", sagt Schmid.

Die harte Nuss für die Grünen ist das Quorum

"Es war uns von Anfang an klar, dass das schwierig wird", ergänzt Kretschmann. Wie er den Kompromiss nun seiner Partei verkauft? Kretschmann antwortet zuerst ausweichend. Es sei doch ein großer Erfolg, dass nun "ein Deckel drauf" ist in der Kostenfrage - dass man die Kostenobergrenze für Stuttgart 21 im Koalitionsvertrag auf 4,5 Milliarden Euro festschreiben will. Doch dann spricht er die eigentliche "harte Nuss" für seine Partei an: Die Senkung des Quorums für einen Volksentscheid. Dafür müsste nämlich die Landesverfassung geändert werden. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag wäre notwendig. "Dass wir da nicht selbst entscheiden können, sondern eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen, das wird ein schweres Vermittlungsproblem."

So hart die Koalitionäre in der Sache verhandeln, persönlich steht vieles zum Besten. Die Teilnehmer der Verhandlungsgruppe sitzen während der Pressekonferenz hinten im Raum. Als alles vorbei ist, eilen Grünen-Haushaltexperte Alexander Bonde und SPD-Generalsekretär Peter Friedrich zur Tür. Friedrich klopft Bonde lachend auf die Schulter. Erleichterung zeigt das. Aber auch die Botschaft: Wir verstehen uns.

"Notfalls auch gegen den Volkswillen"

Weniger harmonisch fällt naturgemäß die Reaktion der Opposition aus. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagt am Mittwoch, nachdem das Ergebnis feststeht: "Bei Lichte betrachtet ist dieser Kompromiss nur ein Burgfrieden. Kretschmann und die Grünen werden weiterhin alles tun, um das gesamte Bahnprojekt Stuttgart-Ulm scheitern zu lassen, notfalls auch gegen den Volkswillen."

Wenn es nach dem Willen von Grün und Rot geht, dann dauern die Koalitionsverhandlungen nur noch wenige Tage. Der Hauptstreitpunkt ist aus dem Weg geräumt, jetzt machen sich die Arbeitsgruppen daran, letzte Details zu klären. Grünen-Chef Kretschmann ist ein christlicher Mensch. Das Osterfest gehört für ihn zu den wichtigsten Feiertagen im Jahr. Und so wird der kommende Sonntag wohl verhandlungsfrei bleiben. "Wir sind bei unseren Familien", sagt ein Parteimitglied. Doch die Tage davor und danach nutzt man für Gespräche. Am Dienstag soll der Text des Koalitionsvertrags feststehen. Am Mittwoch dann präsentieren ihn Grün und Rot der Öffentlichkeit.