Was löst radioaktive Strahlung aus, wenn sie aus einem zerstörten Reaktor austritt?

Stuttgart - Gebannt schaut die Welt nach Japan. Überall sind die Menschen nach den Ereignissen im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi beunruhigt. Was löst radioaktive Strahlung aus, wenn sie unkontrolliert aus einem zerstörten Reaktor austritt?

Schon viele Jahrzehnte seit ihrer Entdeckung im Jahre 1896 durch Henri Becquerel wird radioaktive Strahlung in der Medizin erfolgreich eingesetzt. So erleichtern radioaktive Präparate die Diagnostik. Erkrankungen der Schilddrüse können genauer untersucht werden, wenn der Patient eine kleine Menge einer mit dem Isotop Technetium 99M angereicherten Flüssigkeit trinkt. Dabei wird das Isotop wie Iod in der Schilddrüse gespeichert. Diese Anreicherung lässt in dem sogenannten Szintigramm dann ein Bild der Schilddrüse entstehen.

Auch andere Tumore können auf diese Weise festgestellt werden. "Besonders in der Krebstherapie wurden in der Vergangenheit durch die Wirkung der radioaktiven Strahlung große therapeutische Erfolge erzielt. Da ionisierende Strahlen Zellschäden verursachen, werden Krebszellen abgetötet, wobei die heutige Technik gesundes Gewebe wirksam schont", sagt Dr. Helmut Gnann, Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Klinikum Esslingen. "Was wir jetzt in Japan miterleben müssen, ist die Kehrseite der Medaille. Welche verheerenden Folgen Radioaktivität haben kann, weiß man bereits durch die Atombombenabwürfe über Japan und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ziemlich genau", so der Strahlenexperte. Durch die Kettenreaktion im japanischen Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi droht dort nun eine Kernschmelze. Dabei können hoch radioaktive Stoffe wie Uran, Plutonium sowie Spaltprodukte von Strontium, Caesium oder Jod austreten.

Vor allem Einatmen ist gefährlich

Für den Menschen können diese radioaktiven Stoffe schlimme Folgen haben, heißt es vom Bundesamt für Strahlenschutz. "Die Menschen werden vor allem durch das Einatmen radioaktiver Stoffe oder durch die Aufnahme über die Nahrung bedroht, weniger durch die direkte äußere Bestrahlung", weiß Helmut Gnann. Wohin diese radioaktiven Stoffe aus dem Atomkraftwerk getragen werden, ist von der aktuellen Wetterlage abhängig, wobei Wind und Niederschläge die größte Rolle spielen.

Nach Einschätzung des Bundesumweltministeriums besteht für Deutschland keine unmittelbare Gefahr. "Vor allem für die Menschen in der unmittelbaren Umgebung des Atomkraftwerks wird die radioaktive Strahlung schlimme Folgen haben. Denn dort ist die Belastung am höchsten. So haben diese Menschen langfristig ein erhöhtes Leukämie- und Krebsrisiko", sagt Dr. Gnann.

Radioaktive Strahlen sind ab einer gewissen Stärke gesundheitsschädlich oder sogar tödlich. Die Schäden hängen dabei von der Dauer, Art und Stärke der Strahlen ab. Experten unterscheiden daher auch zwischen den akuten Strahlenschäden und den typischen Spätfolgen. Bereits niedrig dosierte Strahlen können das Erbgut verändern und damit langfristig Krebs auslösen. Von welcher Strahlendosis an solche Schäden auftreten können, ist jedoch unter den Wissenschaftlern noch nicht endgültig geklärt. Besonders Leukämie, Schilddrüsen-, Lungen- und Brustkrebs gehören hier zu den möglichen Spätfolgen. Geringe Schäden des Erbguts hingegen kann das Reparatursystem der Körperzellen aber beheben.

Hohe Strahlendosen führen schnell zu Fieber

Denn Menschen sind tagtäglich der natürlichen radioaktiven Strahlung im Boden oder der Atmosphäre ausgesetzt. Der Organismus hat daher Abwehrmechanismen entwickelt, um sich vor diesen Belastungen zu schützen. Er kann DNA-Schäden reparieren oder geschädigte Zellstrukturen gezielt abbauen. Bei Katastrophen wie in Japan jedoch reicht die Schutzfunktionen nicht.

Hohe Strahlendosen führen schnell zu Fieber, Übelkeit, Verbrennungen von Haut und Mundraum, in der Folge zu Haarausfall, inneren Blutungen und schlimmstenfalls zum Tod. Diese Auswirkungen einer Bestrahlung von großen Teilen oder des ganzen Körpers wird als Strahlenkrankheit bezeichnet. Die Intensität der Bestrahlung wird dabei in der Regel in Sievert (Sv) gemessen, wobei die Einheit Sievert die Menge der vom Körper aufgenommenen Strahlendosis angibt.

Ab dem kritischen Wert von einem Sievert reagiert der Körper, etwa mit Übelkeit, Fieber und Durchfall. Das Knochenmark wird angegriffen, es kann zu Blutungen und Infektionen kommen. Eine Belastung von mehr als fünf Sievert greift zudem den Verdauungstrakt an. Bei optimaler Behandlung kann der Betroffene sich unter Umständen aber davon erholen. Bei einer Ganzkörperbestrahlung mit mehr als sechs Sievert sind die Überlebenschancen gering. Fast keine Überlebenschancen gibt es bei mehr als zehn Sievert. Oftmals tritt solch eine Strahlenkrankheit jedoch erst Jahre nach der Belastung auf.

Wie hoch die Strahlenbelastung der Menschen in Japan ist oder sein wird, ist bisher unklar. Als einzig wirksame Schutzmaßnahme gilt daher eine Evakuierung im Umkreis des Reaktors. In welchem Radius das passieren muss, kann nur vor Ort aufgrund der vorgefundenen und der weiter zu erwartenden Situation von den Katastrophenschutzbehörden entschieden werden. Ebenso muss dort über die Verteilung von Jodtabletten an die Bevölkerung entschieden werden. Jodtabletten bewirken, dass sich in der Schilddrüse Iod anreichert und sich so kein radioaktives Iod einlagern kann. Ein einfacher Atemschutz, wie er in den Medien bei vielen Menschen zu sehen ist, ist dagegen kaum in der Lage, das Einatmen radioaktiver Stoffe zu verhindern.