Abschiebung am Baden-Airport: In letzter Minute kam ein neues Attest Foto: dpa

Trotz weiter steigender Asylzahlen reagiert auch Baden-Württemberg zurückhaltend auf die Pläne des Bundes, die Rückführung von Flüchtlingen einfacher zu machen.

Stuttgart - Die Zahl der Asylbewerber in Baden-Württemberg schnellt weiter nach oben. Im Januar registrierten die Erstaufnahmestellen des Landes 3695 neue Antragsteller. Das sind fast dreimal so viele wie im Vorjahresmonat und fast viermal so viele wie im Januar 2013. Wenn es so weitergeht, dürfte die Jahresprognose für den Südwesten (26 000 Flüchtlinge) bald nach oben korrigiert werden.

Die meisten der Flüchtlinge sind Armutsflüchtlinge. Allein vom Balkan kamen im vergangenen Jahr 30 Prozent aller Asylbewerber. Ihre Anerkennungsquote geht gegen null. Hinzu kommen viele Armutsflüchtlinge aus Afrika sowie aus Afghanistan und dem Irak. Insgesamt bekam 2014 nur ein Drittel aller Flüchtlinge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) irgendeine Art von Schutzstatus zugebilligt.

Dennoch tun sich Teile der SPD, vor allem aber die Grünen schwer, die Abschiebung abgelehnter Flüchtlinge zu erleichtern, wie dies die schwarz-rote Bundesregierung will. Am Freitag brachten die Ländervertreter zahlreiche Bedenken gegen die geplanten Änderungen im Aufenthaltsgesetz für Ausländer und Flüchtlinge vor. Der Bund hat die Änderungen allerdings so konzipiert, dass eine Zustimmung des Bundesrats nicht nötig ist. Die Bundesregierung will das Aufenthaltsgesetz für Ausländer und Flüchtlinge an vielen Stellen umbauen.

In Deutschland leben derzeit mehr als 100 000 Geduldete – also Menschen, deren Asylantrag keinen Erfolg hatte, die aus verschiedenen Gründen aber nicht abgeschoben werden. Die Regierung will ihnen mehr Chancen auf ein sicheres Bleiberecht geben. Vorausgesetzt, jemand lebt seit mehreren Jahren in Deutschland, hat ausreichende Deutschkenntnisse und kann seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern.

Gleichzeitig sind aber auch zahlreiche Verschärfungen vorgesehen: Das Ausweisungsrecht soll komplett neu geordnet werden. Ausländer, die sich etwa strafbar gemacht haben, Anhänger von Terrorgruppen sind und keinerlei Aufenthaltsrecht haben, sollen schneller aus dem Land geschickt werden. Behörden bekommen mehr Möglichkeiten, Aufenthalts- und Einreiseverbote zu verhängen. Zur Abwicklung von Abschiebungen will die Regierung einen neuen „Ausreisegewahrsam“ einführen; damit können Menschen kurz vor ihrer Abschiebung bis zu vier Tage festgehalten werden. Auch die Möglichkeiten für die Anordnung von Abschiebehaft für Asylbewerber sollen ausgeweitet werden.

Die Opposition und Flüchtlingsorganisationen kritisieren das Vorhaben scharf. Auch aus dem Bundesrat kamen nun zahlreiche Einwände. Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) appellierte an die Regierung, die Einwände genau zu prüfen. Die Länder begrüßen zwar die Ausweitung des Bleiberechts. Sie wollen an einigen Stellen aber mehr – unter anderem einen besseren Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende und ein Aufenthaltsrecht für jugendliche Geduldete, die in einer Berufsausbildung sind. Außerdem wollen sie Asylbewerbern und Geduldeten die Teilnahme an Integrationskursen ermöglichen.

In Baden-Württemberg schwelt derweil der Streit um die Abschiebung einer achtköpfigen Roma-Familie nach Serbien weiter. Teile der Grünen werfen dem Vernehmen nach Innenminister Reinhold Gall (SPD) vor, sie unvollständig über die humanitäre Situation der Familie informiert zu haben. Sein Haus weist das vehement zurück und beklagt zahlreiche Versuche der Einflussnahme von Abgeordneten der Grünen.

So leitete zum Beispiel der Grünen-Innenpolitiker Uli Sckerl noch am Tag der Abschiebung der Familie ans Innenministerium ein fragwürdiges ärztliches Attest weiter, bei dem höchstwahrscheinlich der Arzt die Mutter an dem datierten Tag gar nicht zu sehen bekommen hatte. Sckerl verteidigt sich damit, dass Flüchtlingsaktivisten ihn auf dieses Attest aufmerksam gemacht hätten und das Innenministerium ihn dann gebeten habe, das Attest zu besorgen.

„Ich bin in solchen Fällen nur der Mittler zwischen Flüchtlingshelfern und Regierung.“ Wie das Attest zustande gekommen sei, darauf habe er keinen Einfluss. Der Flüchtlingsexperte der CDU im Landtag, Matthias Pröfrock, nannte es hingegen „schon ein bisschen dubios“, dass Sckerl ein derart fragwürdiges Dokument ungeprüft weiterleite.