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Schon im Vorfeld der Sitzung des Verwaltungsrates der Württembergischen Staatstheater legte Wissenschaftsminister Frankenberg dem Gremium nahe, Albrecht Puhlmanns Vertrag nicht über 2011 hinaus zu verlängern.

Stuttgart - Schon im Vorfeld der Sitzung des Verwaltungsrates der Württembergischen Staatstheater legte Wissenschaftsminister Peter Frankenberg dem Gremium nahe, Albrecht Puhlmanns Fünf-Jahres-Vertrag nicht über 2011 hinaus zu verlängern. Am Montagnachmittag wird man dem Votum des Ministers wohl folgen. Wir geben Antwort auf die wichtigsten Fragen.

2006 kam Albrecht Puhlmann von der Niedersächsischen Staatsoper nach Stuttgart. Warum hat man ausgerechnet ihn als Nachfolger Klaus Zeheleins ausgewählt?

Puhlmann steht für eine Idee von Musiktheater, die derjenigen Zeheleins ähnelt - doch geht es Puhlmann nicht nur um einen intellektuellen Transfer der Oper in unsere Zeit, sondern auch um ihre sinnliche Wirkung. Für sie steht zuallererst der betont körperliche Zugriff des Regisseurs Calixto Bieito.

Mit welchen Problemen hatte Puhlmann anfangs zu kämpfen?

Im Vergleich mit seinem Vorgänger, dessen 15 Jahre währende Ära im Rückblick gerne verklärt wird, kam der neue Intendant zwangsläufig schlecht weg. Dass die Presse der Staatsoper zu Zeheleins Abschied noch einmal den Titel "Opernhaus des Jahres" verlieh, war eine schwere Bürde. Im ersten Jahr seiner Intendanz musste Albrecht Puhlmann zudem noch ohne Generalmusikdirektor auskommen. Und der radikale Umbau des Sängerensembles, das zu großen Teilen aus Hannover nach Stuttgart umzog, sorgte für Unmut, da die Qualität der Neuen nicht überzeugte. Zeheleins ambitionierte Experimentierbühne Forum Neues Musiktheater konnte Puhlmann nicht verteidigen.

Was hat der Opernintendant in der Folge falsch gemacht?

Dem künstlerischen Betriebsbüro der Staatsoper fehlte es an Struktur und Planungskompetenz. Bei den Sängerbesetzungen gab es viele Fehlgriffe und oft unzulängliche Qualität. Am Pult des Staatsorchesters leisteten sehr unterschiedliche Dirigenten sehr Unterschiedliches. Das Publikum beschwerte sich lautstark, die Verwerfungen reichten bis hinein in den zuvor sehr loyalen Kreis der Freunde und Förderer. Zu den musikalischen Mängeln gesellten sich zahlreiche Inszenierungen, die nicht oder nur wenig überzeugten. Zum Stein des Anstoßes wurde vor allem der Regisseur Calixto Bieito mit seinem "Fliegenden Holländer" und "La Fanciulla del West".

Wie geht Albrecht Puhlmann mit Kritik um?

Die unter Zehelein gut besuchten Zuschauerdiskussionen nach Premieren wurden abgeschafft. Nach Anfeindungen gegenüber seinen Produktionen zog sich Puhlmann oft zurück. Auch im gesellschaftlichen Leben der Stadt verankerte er sich - im Gegensatz zu seinem fast omnipräsenten Vorgänger - kaum. Doch wurden die sängerische und die dirigentische Qualität in den letzten Monaten - auch auf das Drängen seines Generalmusikdirektors hin - spürbar besser. Und im künstlerischen Betriebsbüro soll Michael Mund nun für eine klare Planung sorgen.

Welche Position nimmt Puhlmann im Kulturleben Stuttgarts ein?

Unter den Kooperationspartnern der Staatsoper gilt er als Mann mit offenen Ohren und großem Willen zu gemeinsamem Tun. Ergebnisse von Kooperationen sind unter anderem das neue Opernstudio, das in Zusammenarbeit mit der Musikhochschule entsteht, und die Liederabende mit der Hugo-Wolf-Akademie. Auch mit dem Ballett kam die Oper bei Glucks "Orphée et Euridice" jetzt erstmals seit 1996 wieder zusammen.

Was überzeugte seit 2006 an der Staatsoper?

Eine "Jenufa", stark ins Bild gesetzt von Calixto Bieito, getragen von Eva-Maria Westbroek in der Titelpartie und einer bühnenfüllenden Leandra Overmann als Küsterin. "La Juive", anspruchsvoll diskursiv inszeniert von Wieler/Morabito. Das Engagement für weniger populäre Werke des französischen Repertoires. Die Idee der "Zeitopern" - Musiktheater, das sich aus dem geschützten Raum hinausbegibt, hineingeht in die Stadt. Unter den neuen Sängern boten Tina Hörhold, Simone Schneider, Barbara Schneider-Hofstetter, Christiane Iven und oft auch Will Hartmann hohe Qualität. Starke Leistungen zeigte das Staatsorchester unter seinem neuen Generalmusikdirektor Manfred Honeck - bei Orchesterkonzerten ebenso wie als Qualitätsgarant bei Berlioz' "Les Troyens" und als Fürsprecher präzise einstudierter Ensemblearbeit etwa bei der Wiederaufnahme von "Così fan tutte".

Was waren jetzt die Ursachen und der Auslöser für den Unmut der Politiker?

Auslöser war wohl die Tatsache, dass Puhlmann in der kommenden Spielzeit bei Donizettis "Lucia di Lammermoor" bereits zum zweiten Mal (nach einem symmetrisch-pyromanischen "Lucio Silla") seine Frau Olga Motta verpflichtete. Sie wird für Bühne, Kostüme und Regie verantwortlich zeichnen. Tieferer Grund für den Vertrauensverlust des Intendanten bei den Trägern der Staatstheater dürften die sehr unterschiedlichen ästhetischen Konzepte von Puhlmann und Manfred Honeck, dem künstlerischen Aushängeschild des Hauses, sein.

Wie ist das Verhältnis zwischen Puhlmann und Honeck?

Zerrüttet - vor allem wegen gegensätzlicher Vorstellungen zu den Sängerbesetzungen. Honeck will das Ensemble verkleinern, um mehr Geld für renommierte Gastsänger zur Verfügung zu haben. Der Streit der beiden gipfelte vor der Premiere des "Lohengrin" im März: Honeck, der die großen Ensembles, Orchester und Chor an seiner Seite weiß, lehnte das Konzept des Regisseurs Stanislas Nordey ab, das Puhlmann mittrug. Honeck siegte. Sollte Puhlmanns Vertrag wider Erwarten doch verlängert werden, müsste er sich ab 2011 einen neuen GMD suchen.

Wer sitzt im Verwaltungsrat?

Kunstminister Peter Frankenberg, Finanzminister Willi Stächele, die Landtagsabgeordneten Stefan Mappus, Christoph Palm, Jörg Döppner, Sabine Fohler, Hans Heinz und Peter Hofelich, Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, Bürgermeisterin Susanne Eisenmann, die Stadträte Manfred Kanzleitner, Michael Kienzle, Reinhard Löffler, Iris Ripsam, Helga Vetter, Monika Wüst.

Welches Gewicht hat das Vorab-Votum Peter Frankenbergs, Albrecht Puhlmanns Vertrag über 2011 hinaus nicht zu verlängern?

Ein starkes - auch weil ihm viele Gespräche in kleiner Runde vorangingen. Frankenberg ist Vorsitzender des Gremiums, seine Vorwürfe konnte Puhlmann nicht entkräften.

Welche Konsequenzen hat eine Nicht-Verlängerung von Puhlmanns Vertrag?

Albrecht Puhlmann würde in diesem Fall 2011 gehen - also direkt vor der schwierigen Umbauzeit in seinem Haus. Bis dahin einen Nachfolger für ihn zu finden ist angesichts der langen Planungsvorläufe im (Musik-)Theaterbetrieb ohnehin schwierig. Einen profilierten Intendanten zu verpflichten, der sein Amt in einer Umbauspielzeit antritt, erscheint fast unmöglich. Es sei denn, Routiniers sprängen ein. Frank Baumbauer (verabschiedet sich gerade von den Münchner Kammerspielen)? Oder gar die in Stuttgart so beliebte Pamela Rosenberg (verlässt 2010 die Berliner Philharmoniker)?

Wie stehen die anderen Intendanten der Staatstheater zu ihrem Kollegen?

Reid Anderson (Ballett), Hans Tränkle (Geschäftsführung), sein Nachfolger Marc-Oliver Hendriks und Hasko Weber (Schauspiel) haben Minister Frankenbergs Vorab-Votum als "indiskret und vertrauenszersetzend" verurteilt. In ihrem offenen Brief fehlte nur eines: ein Votum für Puhlmann.

Was bleibt zu hoffen?

Vom Verwaltungsrat: dass er einlenkt und Puhlmanns Vertrag doch noch über die Umbauzeit hinaus verlängert. Und vom Intendanten: dass er sich dem Dialog mit dem Publikum und mit Kritik an seiner Arbeit offener stellt, dass er den eingeschlagenen Mittelweg zwischen Ensembletheater und guten Gastengagements weiter geht und sich bei Besetzungen kompetent beraten lässt. Und dass er im Falle einer Vertragsverlängerung einen profilierten neuen GMD findet. Er müsste am Dienstag damit beginnen.