Das neue Leitungsteam der Staatsoper Stuttgart: Chefdramaturg Sergio Morabito, Operndirektorin Eva Kleinitz, Chefregisseurin Andrea Moses und Intendant Jossi Wieler (von links) Quelle: Unbekannt

Der neue Opern-Intendant Jossi Wieler über Ethik und Ästhetik und ein kochendes Musiktheater
 

Stuttgart - Zur kommenden Spielzeit übernimmt Jossi Wieler die Nachfolge Albrecht Puhlmanns. Jetzt hat der 59-jährige gebürtige Schweizer seinen ersten Spielplan, sein Team und seine Ideen zum Musiktheater-Betrieb vorgestellt.

Herr Wieler, in Ihrer ersten Spielzeit als Intendant der Staatsoper haben etliche Premieren das Scheitern zum Thema. Das war doch wohl keine Absicht?
(Lacht) Nein, ganz sicher nicht. Aber es ist interessant, dass Sie das so sehen. Natürlich ist Scheitern immer möglich, wenn man Wagnisse eingeht. Buster Keaton hat uns gelehrt, wie erhaben Scheitern sein kann.

Ein Wagnis ist Ihre Idee eines hermetischen Opernzirkels. Gemeinsam mit Ihrem Koregisseur und künftigen Chefdramaturgen Sergio Morabito übernehmen Sie zwei Neuinszenierungen, Andrea Moses führt bei drei Premieren Regie, Calixto Bieito bei einer. Wird das dann eine Art neue Stuttgarter Opernschule?
Ich habe eine Vision von der Gestaltung eines neuen Musiktheater-Zusammenhangs. Wir wollen hier etwas versuchen - nichts Neues, wohl aber etwas, das es so im internationalen Opernbetrieb lange nicht mehr gegeben hat. Da dreht sich das Karussell ja immer schneller, Regisseure und Sänger sind mal hier, mal dort. Sergio Morabito und ich haben das auch genossen, aber manchmal verliert man bei dieser Arbeitsweise doch den Bezug zu dem, was man macht. Deshalb werden wir nicht mehr an anderen Häusern, sondern nur noch in Stuttgart arbeiten. Das ist eine Art Rückbesinnung - und vielleicht die streitbarste Entscheidung.

Sie machen Repertoiretheater für die Stadt und die Region Stuttgart und prägen dabei mit der konzentrierten Arbeit eines langfristig zusammenarbeitenden Teams eine bestimmte Ästhetik. Ist das die Idee?
Wir prägen vielmehr eine Ethik als eine Ästhetik. Uns geht es um kontinuierliche, längerfristige Dialoge und um eine Art Entschleunigung des Opernbetriebs. Dabei wollen wir hier viel, sehr viel arbeiten - allerdings auf eine Weise, wie es die Oper als kollektivste aller Kunstformen nahelegt, nämlich gerade nicht durch Diktat von oben, sondern durch eine Autorität, die sich aus dem Inhalt ergibt. Keiner von uns will sich hier selbst verwirklichen. Daneben hat es auch mit diesem Ort Stuttgart etwas zu tun und mit dem Potenzial, das dieses Haus hat: dass man hier vielleicht etwas wie neu justieren kann, was sonst im internationalen Opernbetrieb möglicherweise problematisch läuft. Es soll etwas Unverwechselbares entstehen - hier wird es hoffentlich kochen und sieden!

Andrea Moses wird "Fausts Verdammnis" und "Wozzeck" neu inszenieren, außerdem übernehmen Sie ihren "Don Giovanni" aus Bremen. Diese Regisseurin spricht aber nicht unbedingt Ihre Regiesprache.
Nein, und das ist auch gut so. Wir bügeln hier doch nichts glatt. Andrea Moses begeistert mich in ihrer Ernsthaftigkeit, in ihrer Intelligenz und ihrer Emotionalität. Und uns verbindet, dass wir uns nicht als Autoren, sondern als Interpreten verstehen. Es geht um das Hineinhören in den Text, in die Partitur: Sie neu erlebbar zu machen ist unsere Aufgabe. Unsere Autoren heißen Berlioz, JanÖcek, Mozart, Bellini, Schönberg . . .

Haben Sie nicht doch ein weinendes Auge, wenn Sie an die verpassten Gelegenheiten für Gastinszenierungen denken, die Sie wegen Ihrer Arbeit in Stuttgart nicht übernehmen können?
Ich war gerne in Salzburg, Berlin oder Amsterdam. Mit bemerkenswerten Sängern sechs Wochen lang eng zusammenzuarbeiten, das war sicher etwas ganz Besonderes. Aber das weinende Auge blickt eher zu den Freunden im Schauspiel. In diesem Bereich zu arbeiten werde ich erst einmal nicht schaffen.

Einen regieführenden Opernintendanten gab es bislang in Stuttgart noch nicht. Ändert das etwas im Haus?
Ich glaube schon. Man wirkt anders in ein Haus hinein. Wenn man die Mitarbeiter als Regisseur schon sehr gut kennt, kann man sie möglicherweise auch als Intendant ganz anders bewegen. Sie haben dann hoffentlich nie das Gefühl, sie seien nur ein Rädchen im Betrieb, sondern fühlen sich immer gemeint und ernstgenommen. Das ist mir wichtig. Es geht auch um ein bestimmtes Arbeitsethos, das eine ganz besondere Konzentration für künstlerische Arbeit möglich macht.

Gemeinsamkeit suggeriert auch das neue Logo, das die Intendanten der Staatstheater über ihr Spielzeitheft gestellt haben. Planen Sie mittel- oder langfristig auch künstlerische Kooperationen mit Schauspiel oder Ballett?
Zunächst einmal werden wir Christian Spucks "Orphée" wiederaufnehmen. Ansonsten denken wir noch über Projekte nach, mit denen wir an den "King Arthur" oder an Sebastian Nüblings "Judith"-Projekt anknüpfen. Dabei ist es mir sehr wichtig, dass jede Sparte so unabhängig, ja auch so divergent bleibt wie bislang, denn darin besteht für mich gerade der hohe Wert des Stuttgarter Staatstheatermodells.

Wo bleibt die zeitgenössische Musik?
Gemeinsam mit den anderen Sparten denken wir über ein Format nach, in dem wir unser Theater in den Dialog mit digitalen Medien bringen können.

Eine Fortsetzung von Klaus Zeheleins Forum Neues Musiktheater?
In gewisser Weise ja. Am Ende der Spielzeit wollen wir zu diesem Thema ein öffentliches Symposium veranstalten, dann wird es losgehen. Auch Mark Andrés Oper, die in Stuttgart zur Uraufführung kommen wird, ist ja zumindest in Teilen in diesem Zusammenhang zu sehen.

In Ordnung. Sind wir fertig?
Nicht ganz. Es fehlt noch mein Dank an Albrecht Puhlmann, der uns sehr beim sanften Übergang unterstützt. Im Opernbetrieb, in dem sich die Platzhirsche sonst oft sehr breit machen, ist das nicht selbstverständlich.