Eva Wolff (vorne) und ihr Ausbilder Mavin Naqui demonstrieren wie der Tactonom Reader bei einem Würfelspiel funktioniert. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Nikolauspflege hat für blinde und sehbehinderte Menschen ein neuartiges Gerät angeschafft, das ihnen die Orientierung im Raum erleichtert. Ermöglicht hat das „Hilfe für den Nachbarn“.

Eva Wolff ist eine Pionierin. Als erste Auszubildende bei der Nikolauspflege trainiert sie ihr räumliches Vorstellungsvermögen an einem neuartigen technischen Hilfsmittel, dem Tactonom Reader. Die junge Frau ist von Geburt an blind und ist im ersten Lehrjahr zur Fachinformatikerin für Anwendungsentwicklung. Gerade in IT-Berufen haben blinde Menschen gute Chancen, wissen die Ausbilder.

Das Gerät, das noch nicht lange auf dem Markt ist und von der Spendenaktion der Stuttgarter Zeitung „Hilfe für den Nachbarn“ finanziert wurde, hilft der 22-jährigen, sich mit Hilfe von haptischen Strukturen, einer Kamera und sehr detaillierten Sprachanweisungen in ihre Umgebung hineinzudenken. Es ist ein neuer Bestandteil der sogenannten Blindentechnischen Grundqualifizierung, die Eva Wolff derzeit absolviert. So kann sie sich beispielsweise mit Hilfe des Geräts eine Vorstellung verschaffen, wie sie von ihrem Lernort in der Firnhaberstraße zu Fuß zum Schlossplatz gelangen kann. Wenn Sehende sich, bevor sie zu ihrem Ziel aufbrechen, über Google-Maps einen Überblick über die Wegstrecke verschaffen, die sie zurücklegen müssen, können das Blinde jetzt mit Hilfe des Tactonom Readers.

Stadtplan Innenstadt zum Tasten

Das Gerät besteht aus einer großen Platte, auf die verschiedene Folien mit den verschiedenen Aufgabenfeldern gelegt werden. Über eine Kamera wird erkannt, an welchen taktilen Punkten sich der Finger von Eva Wolff auf dem haptisch strukturieren Papier befindet. Die Sprachausgabe beschreibt den Standort. Bei der Folie „Stadtplan Innenstadt Stuttgart“ wären zum Beispiel die markanten Orte durch eine haptische Hervorhebung auf der eingelegten Folie zu erkennen. Legt man einen Finger auf eine dieser Hervorhebungen, wird der Name dieses Standortes von der Sprachausgabe angesagt.

Dieses Prinzip funktioniert auch bei Spielen – und das ist für Eva Wolff besonders interessant, denn die Programmierung von Computerspielen wird neben der Softwareentwicklung von Apps und speziellen Programmen für die Kunden eine ihrer späteren Aufgaben im Beruf sein. Der Tactonom Reader ist dafür eine ideale Vorübung, denn mit seiner Hilfe kann sie sich als blinde Programmiererin vorstellen wie die räumliche Logik des Spiels aussieht.

„Ich habe schon ein Ratespiel mit Zahlen programmiert. Da bin ich mächtig stolz drauf“, sagt sie. Für die Ausbildung ist sie extra von ihrer Heimatstadt Soest nach Stuttgart gezogen: „Dort in der Gegend hätte ich nur eine Ausbildung in den Bereichen Verwaltung oder Hauswirtschaft machen können.“ Beides hat sie wenig gereizt, denn Eva Wolff war immer schon fit an ihrem PC.

Flink mit den Tastenkurzbefehlen

Navigieren auf dem Bildschirm ist für Blinde über Tastenkombinationen und die Sprachausgabe, die ihnen sagt, was auf dem Schirm zu sehen ist, möglich. „Ein blinder Mensch kann eventuell schneller am PC arbeiten als zum Beispiel ich selbst, weil er flinker ist mit den Tastenkurzbefehlen“, erklärt der Ausbilder Mavin Naqui. „Ich bin neugierig und will mich gerne immer wieder in Neues reinfuchsen“, sagt Eva Wolff, die neben dem praktischen Teil ihrer Ausbildung in der Firnhaberstraße die Berufsschule der Nikolauspflege am Kräherwald besucht. Neben der beruflichen Qualifikation sorgt die Nikolauspflege auch für die Bleibe im betreuten Wohnen, den Fahrdienst und das Mobilitätstraining, das Eva Wolff später einmal ermöglichen wird, sich alleine in der Stadt zu bewegen.

Die vielen Baustellen machen ihr da zur Zeit besonders zu schaffen, ebenso die E-Fahrzeuge. „Die höre ich erst, wenn sie schon ganz nah sind“, berichtet sie und Ausbilder Moritz Luft fügt an, dass besonders die Mischung aus E-Autos und Verbrennern für blinde Menschen akustisch sehr verwirrend sei. Alle zwei Wochen fährt Eva Wolff nach Hause zu ihrer Mutter. „Sie fand es von Anfang an gut, dass ich die Ausbildung machen will, auch wenn Stuttgart weit weg ist. Sonntags, wenn ich wieder fahren muss, ist das schon immer eine große Umstellung.“

Jetzt ist erst einmal Urlaub – zuhause. Dann geht es ins zweite Lehrjahr und Eva Wolff ist dann ihrem Ziel als Programmiererin schon einen weiteren Schritt näher gekommen.