Boris Palmer wettert gegen die Bürgergelderhöhung. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Für seine erneute Kritik am Bürgergeld erntet der Tübinger Oberbürgermeister mal wieder Kritik von Experten. Er vergleiche Äpfel mit Birnen. Boris Palmer hatte den Bürgergeld-Rechner der Caritas mit persönlichen Daten gefüttert – mit diesem Ergebnis.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Boris Palmer im Interview mit unserer Zeitung kritisiert, dass er die Grundversorgung mit Bürgergeld und die geplante Erhöhung am 1. Januar 2024 für zu hoch halte. Am Wochenende legte der Tübinger Bürgermeister auf Facebook nach – und sorgte damit wieder einmal bundesweit für Schlagzeilen.

Palmer hatte den Bürgergeld-Rechner der Caritas mit seinen persönlichen Daten gefüttert – und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er monatlich netto 3368 Euro bekommen würde, wenn er und seine Frau arbeitslos wären. Zu dieser Summe war Palmer gekommen, indem er die Zuschüsse für die vierköpfige Familie, die Mietkosten für eine 90-Quadratmeter-Wohnung in Tübingen samt Nebenkosten sowie Zuschüsse aus dem Bildungs- und Teilhabepaket addiert hatte.

 

Verweis auf den Tübinger Landrat Joachim Walter

Palmer hatte zum einen auf den Tübinger Landrat Joachim Walter verwiesen, der vor wenigen Monaten eine ähnliche Rechnung aufgemacht hatte und zum anderen seine Berechnung mit scharfer Kritik an der Ampel-Koalition verbunden. Er habe „erhebliche Zweifel daran“, dass die Haushaltsentscheidung der Regierung sozial sei. Palmer: „Wenn es sich kaum noch lohnt, Jobs im unteren bis mittleren Teil des Lohnsegments anzunehmen, dann ist ein Bürgergeld in dieser Höhe unsozial gegenüber denen, die mit eigener Arbeit ihr Leben finanzieren und kaum einen Vorteil gegenüber denen haben, die sich voll von der Gemeinschaft finanzieren lassen.“

Die Haushaltsbeschlüsse krankten daran, dass sie der Volkswirtschaft Leistungskraft entzögen statt diese zu stimulieren. Die fünf Milliarden Mehrkosten für zwölf Prozent mehr Bürgergeld bei einer Inflationsrate von nur noch drei Prozent seien unsozial, denn sie verminderten die Leistungskraft der Volkswirtschaft erheblich und würden durch verkappte Steuererhöhungen für Leistungsträger finanziert.

„Die Diskussion lässt jedwede Ernsthaftigkeit vermissen“

Michaela Hofmann, Referentin für allgemeine Sozialberatung beim Diözesan-Caritasverband des für den Bürgergeldrechner zuständigen Erzbistum Köln, kritisiert Palmers Facebook-Eintrag scharf: „Die Diskussion um die Bürgergeldansprüche sind emotional hoch aufgeladen und lassen jedwede Ernsthaftigkeit vermissen.“ Grundsätzlich gehe es um das letzte Auffangnetz für bedürftige Menschen. Mit dem Bürgergeld werde das Grundgesetz umgesetzt und die Höhe werde gesetzlich verankert. Hofmann: „Es handelt sich um das Existenzminimum. Und das Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen. Wer einfach seine Arbeit aufgibt, erhält Sperren und Sanktionen.“

Bei der Miete werde es in der Tat etwas kompliziert. Im ersten Jahr würden die Kosten der Kaltmiete plus angemessene Heizkosten übernommen. Im zweiten Jahr greifen dann Umzugsaufforderungen. Dabei werde die Quadratmetergröße und die Angemessenheit festgestellt. Wie das geschehe, sei in jeder Kommune anders. Es könne aber mitnichten davon ausgegangen werden, das solch hohe Mieten dauerhaft bezahlt würden.

„Wer arbeitet, hat netto mehr als jemand, der nicht arbeitet“

Auch Andreas Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomie und Professor für Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, will Palmers Rechnung so nicht gelten lassen. „Herr Palmer vergleicht Äpfel mit Birnen“, sagt Peichl. Zwar seien die Angaben Palmers auf den ersten Blick plausibel. Er setze jemanden, der Anspruch auf Bürgergeld hat, mit jemandem gleich, der offensichtlich keinen Anspruch darauf habe – in Palmers Fall vermutlich, weil sein Vermögen über der Grenze des so genannten Schonvermögens liege.

„Wenn Palmer tatsächlich keinen Anspruch auf Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag hat, weil sein Vermögen zu hoch ist, dann würde er nicht 3368 Euro Bürgergeld bekommen, sondern null Euro“, sagt Peichl. „Das wäre der relevante Vergleich und da hat man mit Arbeit deutlich mehr.“ Alternativ müsste Palmer bei seinem Bruttoverdienst den ergänzenden Anspruch aus Bürgergeld – oder bei seinem Einkommen eher Wohngeld plus Kinderzuschlag – dazu rechnen. Und damit hätte er dann netto auf jeden Fall mehr als der Haushalt mit Bürgergeld. Denn, so Peichl: „Es gilt immer aufgrund der Erwerbstätigenfreibeträge: Wer arbeitet, hat netto mehr als jemand, der nicht arbeitet.“

• 3368 Euro Bürgergeld und sonstige Zuschüsse würde Tübingens Boris Palmer nach eigenen Angaben potenziell für seine vierköpfige Familie bekommen.

• Er bewohnt eine 90-Quadratmeter-Wohnung zur Miete.

• Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sind darin enthalten.

• Nicht berücksichtigt sind die Vermögensfreibeträge pro Person; Familie Palmer dürfte womöglich weit darüber liegen und hätte somit ohnehin keinen Anspruch auf Bürgergeld.

Boris Palmer betonte am Montag, dass vierköpfige Familien mit mehr als 3000 Euro Leistungsbezug keine Seltenheit seien. Daher sei der Anreiz zur Aufnahme von Arbeit „gleich null“. Sozial sei aber, was Arbeit schafft. Palmer: „ Bürgergeld und Wohngeld zusammen betrachtet sind in diesem Sinn nicht sozial.“

Die Geschichte des Bürgergelds

Idee
Seit 1. Januar 2023 gibt es das Bürgergeld in Deutschland. Es hat das Arbeitslosengeld II, auch bekannt als Hartz IV, sowie das Sozialgeld abgelöst und soll staatliche Hilfe verbessern und vereinfachen. Mehr Gerechtigkeit, mehr Teilhabe, weniger Bürokratie: Das verspricht sich die Bundesregierung von der Sozialreform.

Erhöhung
Zum 1. Januar 2024 soll der Regelsatz planmäßig noch einmal ansteigen. Dann ist für einen alleinstehenden Bürgergeld-Empfänger ein Betrag von 563 Euro vorgesehen. Das sind gegenüber dem Vorjahr 61 Euro – rund 12 Prozent – zusätzlich pro Monat .