Immer wieder ereignen sich schwere Unfälle auf der Streif Foto: APA

Auf der Streif werden Helden geboren, aber auch Karrieren erschüttert. Die deutsche Skilegende Klaus Gattermann stürzte 1985 schwer. Vor dem 75. Hahnenkammrennen in Kitzbühel erinnert er sich.

Stuttgart - Er war gut drauf. Richtig gut sogar. In Gröden ist Klaus Gattermann im Dezember 1984 auf Rang vier gefahren, es war das beste Resultat in einer Weltcup-Abfahrt für den damals 24-jährigen Bayern. „Ich hatte den Sprung in die Weltspitze geschafft“, erinnert er sich. Wenig später ging es nach Kitzbühel – und auf der Streif kann eine ordentliche Portion Selbstvertrauen nicht schaden. Doch Klaus Gattermann nutzte dies am 11. Januar 1985 wenig.

Zunächst lief alles nach Plan. Gattermann, der bereits als 17-Jähriger im Weltcup hatte starten dürfen, fuhr ein beherztes und gutes Hahnenkammrennen, dann erreichte er die berüchtigte Hausbergkante. Er bekam einen Schlag, verlor die Kontrolle, es hebelte ihn aus, er schlug hart auf der Piste auf, er überschlug sich mehrfach, kurz vor einem Zaun blieb er schließlich liegen – und all jene, die diese Bilder noch im Kopf haben, erinnern sich mit Schrecken an diesen kapitalen Sturz. „Das“, sagt Gattermann heute, „sind Erlebnisse, die eben zu einer Profikarriere gehören.“ Er weiß aber auch: Dieser Sturz in Kitzbühel war mehr als das. Und das gilt nicht nur für ihn.

Die Streif in Kitzbühel hat viele Helden geboren, die Sieger werden bis heute verehrt, haben ihren Platz sicher in der Historie des alpinen Skirennsports. Doch das Hahnenkammrennen kann auch weniger gnädig sein – und hat so manche Karriere massiv erschüttert. Oder sogar beendet.

Der Österreicher Patrick Ortlieb kam einst nach einem Sturz auf der Streif nicht mehr auf die Beine. Der Schweizer Daniel Albrecht lag nach seinem Crash am Zielsprung viele Tage im Koma, er wagte später ein Comeback – vergeblich. Auch Hans Grugger (Österreich) kam nach seinem schweren Trainingssturz nicht mehr zurück. Und auch wenn Klaus Gattermann im Rückblick sagen kann, gesundheitlich mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, gibt er zu: „Die Streif hat mir den Zahn gezogen.“ Und: „Danach war nichts mehr, wie es war.“

Eine schwere Gehirnerschütterung war die offensichtliche Folge des Sturzes, der für eine halbstündige Unterbrechung des Rennens gesorgt hatte. Viel schlimmer für Gattermann aber war, dass sich das Ganze in seinem Unterbewusstsein festgesetzt hatte: „Das rauszubekommen brauchte Zeit.“ Die einem im Hochleistungssport selten gewährt wird. „Ich hatte nach diesem Sturz ein Handicap bei schlechten Bedingungen“, sagt Klaus Gattermann, „ich bin nicht mehr das letzte Risiko gegangen.“ Zwar kehrte er noch einmal auf die Rennpisten zurück, nahm an drei Weltmeisterschaften teil, der Weg nach ganz oben war aber verbaut. „Ich habe Mühe gehabt“, sagt Gattermann. 1989 hat er seine Karriere beendet – und kehrt doch immer wieder nach Kitzbühel zurück.

Auch an diesem Wochenende, wenn das Hahnenkammrennen zum 75. Mal ausgetragen wird, ist er dabei. Als Rennsportchef des Straubinger Skiherstellers Völkl gehört der Besuch zu seinem Job. Aber auch abseits des Beruflichen übt die Streif nach wie vor ihren Reiz auf Gattermann aus.

„Kitzbühel ist für die Abfahrer in jedem Jahr ein Meilenstein“, weiß der heute 54-Jährige, der sich noch genau an die spezielle Atmosphäre am Start der Streif erinnert. „Da fragst du dich: Boah, warum gibst du dir das?“, sagt Gattermann, „aber ich habe in zehn Jahren keinen Einzigen gesehen, der gesagt hat: Heute fahre ich nicht.“ Und wenn’s den gegeben hätte? „Dann wäre ich womöglich der Nächste gewesen.“ So aber blieb die Streif auch ein Spiel.

Bei dem es vor allem darum geht, seine Ängste zu kontrollieren, sie zu verdrängen und dennoch bereit zu sein, voll zu attackieren. „Kitzbühel ist ein Ausloten der Grenzen, die Streif das Extremste, was es für die Abfahrer gibt. Du musst gegen deine Psyche ankämpfen, damit du nicht zurückziehst“, sagt Gattermann, „denn das Risiko wird größer, wenn man die Streif nicht mit 100 Prozent angeht.“ Entsprechend angespannt ist die Lage hinter dem Starthaus. „Da herrscht mehr Nervosität als anderswo“, sagt der Bayer, denn alle wissen: „Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge.“ Der gut ausgehen kann. Oder so wie bei Klaus Gattermann.