Zeitweilig standen sie unter Polizeischutz: Malvina und Diaa Foto: Kinderkanal

Die Programmmacher sind alarmiert: Ein Film über ein deutsch-syrisches Teenager-Paar hat im Netz einen rechtspopulistischen Shitstorm ausgelöst. Das könnte gravierende Folgen für das Kinderfernsehen haben, das die Doku ausgestrahlt hat.

Stuttgart - Die Geschichte ist so besonders und gleichzeitig so alltäglich wie jede andere Romanze: Zwei junge Menschen verlieben sich ineinander und stellen fest, dass es Unterschiede gibt, mit denen sie klarkommen müssen. In diesem speziellen Fall aber haben die Differenzen kulturelle und religiöse Hintergründe: Sie ist ein christliches deutsches Mädchen, er ein geflüchteter Muslim aus Syrien.

„Malvina, Diaa und die Liebe“ heißt der Film, den Marco Giacopuzzi für die Kinderkanal-Reihe „Schau in meine Welt“ gedreht hat. Die Dokumentation, die der Kinderkanal (Kika) im November ausgestrahlt hat, sei ein Skandal, finden Mitglieder und Sympathisanten der AfD: weil er Propaganda für eine Beziehung mit muslimischen Flüchtlingen mache. Als auch „Bild“ das Thema aufgriff, zumal sich der Kika in einer Bildunterschrift beim Alter des Syrers vertan hatte (17 statt 19), entwickelte sich eine Dynamik, die in Morddrohungen gegen Malvina und Diaa gipfelte.

Für Joachim von Gottberg, Theologe, Pädagoge und Honorarprofessor für Medienethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, belegt die Diskussion „wieder einmal den uralten Irrglauben, Medien wirkten linear. In diesem Fall hieße das: Wenn ein Film von der Beziehung zwischen einem christlichen Mädchen und einem Moslem handelt, wollen die deutschen Mädchen diesem Beispiel nacheifern. Das ist natürlich Unfug.“ Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in München, ist bei einer Studie mit hundert Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Die Kinder teilten zwar die kritische Haltung der AfD, aber die Wirkung des Films ist eine andere, als rechtspopulistische Kritiker vermuten: Die Mehrheit der Mädchen lehnte eine Beziehung zu einem Jungen wie Diaa ab.

Zwischen Kritik und Hasskampagne

Seriöse Medien thematiserten einerseits die teils naive, blauäugige Machart des Films, die den Problemen dieser Beziehung nach Meinung einiger Kritiker nicht gerecht wird. Sie prangerten andererseits aber auch die Ungeheuerlichkeit der Skandalisierung und der daraufhin eskalierenden Hasskampagne an. Malvina und Diaa haben zwischenzeitlich Polizeischutz bekommen. Eine andere Frage ist bislang aber noch nicht gestellt worden: Welche Konsequenzen haben die Ereignisse für das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen? Werden die Sender von potenziell kritischen Themen die Finger lassen?

Maya Götz warnt, die Kampagne dürfe auf keinen Fall zur Folge haben, dass im Kinderfernsehen keine realen Menschen mehr gezeigt würden. Die Gefahr, „möglichst keine Realitätsbezüge herzustellen, um keine Angriffsfläche zu bieten“, sieht sie durchaus: „Dann drohen US-amerikanische Verhältnisse. Dort wird jedes Drehbuch auf Angriffsflächen durchleuchtet. Die Folge wäre Zuckerwattefernsehen.“

Auch Marco Giacopuzzi fände es fatal, „wenn die Sender nun jeden Vorschlag erst mal daraufhin abklopfen, ob irgendeine politische Seite einen Aufhänger für eine Kampagne finden könnte. Ich kann nur an die Redaktionen appellieren, sich auch in Zukunft ohne AfD-Schere im Kopf mit heiklen Stoffen auseinanderzusetzen.“ Er hält es „für ganz wichtig, dass das Kinderfernsehen weiterhin alle Themen aufgreift, mit denen sich Jugendliche beschäftigen, und zwar mit sämtlichen Widersprüchen, die solche Stoffe oft mit sich bringen“.

Nur noch mit Gebrauchsanweisung?

Astrid Plenk, Programmgeschäftsführerin des Kinderkanals, hat ebenfalls Hassnachrichten bekommen, was doppelt absurd ist, weil sie erst seit Anfang Januar im Amt ist. Sie betont, dass die unterschiedlichen Perspektiven von Kindern und Erwachsenen nicht miteinander vermischt werden dürften: „Kinder müssen mündige, kritische, selbstbewusste und eigenständige Haltungen entwickeln können.“ Mit anderen Worten: Man muss nicht davon ausgehen, dass Filme wie „Malvina, Diaa und die Liebe“ nur noch mit Gebrauchsanweisung ausgestrahlt werden, mit Kommentar oder – wie im Erwachsenenfernsehen – mit anschließender Diskussion.

Plenks Vorgänger Michael Stumpf, mittlerweile Leiter des Kinderfernsehens im ZDF, fürchtet jedoch, dass es schwieriger werden könnte, passende Protagonisten für engagierte Dokus zu finden: „Die Dynamik in den sozialen Netzwerken und der Hass von rechts setzen hier an. Diese Menschen wollen Andersdenkende und Anderslebende in Angst versetzen und zum Schweigen bringen. Das darf unsere Gesellschaft nicht akzeptieren.“