Viele vor wenigen Jahren gepflanzte Buchen stehen mit braunen Blättern in Bodennähe in einem über die nächsten zwei Jahrzehnte absterbenden Kiefernwald im bayrischen Rohr. Foto: dpa/Daniel Löb

Rund 90 Milliarden Bäume wachsen in Deutschlands Wäldern. Doch den meisten von ihnen geht es schlecht. Pilze greifen die von klimatischen Extremen geschwächten Bäume von innen an. Eine Freiburger Wissenschaftlerin will den gestressten Wäldern helfen – ausgerechnet durch Pilze.

Wildnis. Das Wort hat einen magisch-verzauberten Klang. Unwillkürlich denkt man an ausgedehnte, vom Menschen völlig unberührte Landschaften, wie sie in Kanada, Sibirien, Amazonien oder der Antarktis noch existieren.

In dem Wort spiegelt sich die Sehnsucht des Menschen wieder nach einer ursprünglichen Natur, in der wirtschaftliche Interessen außer Kraft gesetzt sind und wo sich Flora und Fauna nach ihren eigenen Gesetzen entfalten können und sich selbst überlassen sind, unabhängig vom menschlichen Eingreifen und Gestalten.

Warum sind Bäume schwierige Patienten?

Abgeholzte Waldfläche vor einem Panorama mit zahlreichen toten Bäumen in Neuenrade (Nordrhein-Westfalen). Foto: dpa/Markus Klümper

Doch die Realität sieht anders aus. Wälder gelten als extrem wichtige Faktoren im Kampf gegen die Klimakrise. Doch Bäume sind schwierige Patienten. Sie können nicht hören, sehen oder über seinen Zustand reden. Und doch geht es ihnen schlecht.

Die Gesundheit der Bäume liegt Kathrin Blumenstein von der Universität Freiburg am Herzen. Sie ist Deutschlands erste und einzige Professorin für Baumpathologie. Die Symptome sind ihr bekannt. Bröselige Stellen an der Rinde, gelb gefärbte Nadeln, Nekrosen, tote Äste – und schließlich oft das totale Absterben.

Warum ausgerechnet Pilze?

Aufgrund extremer werdender Klimabedingungen sind Bäume immer mehr Stressfaktoren ausgesetzt und dadurch anfällig für Schaderreger, wie pathogene Pilze. Foto: dpa

Dabei muss Blumenstein den Folgen des Klimawandels entgegenwirken. Ihr Fachgebiet sind Mikroorganismen, insbesondere Pilze. In ihrem Labor hat sie 500 Pilzarten in Petrischalen gezüchtet. Sie sind schwammig, cremig, pelzig, bunt und erinnern an moderne Kunst.

Die Forscherin geht der Frage nach, welche harmlosen Pilze als Gegenspieler für schädliche eingesetzt werden können. Weitere Fragestellungen gelten dem Schadstoffpotenzial und dem Wachstum der einzelnen Pilzarten sowie Veränderungen ihrer Eigenschaften bei unterschiedlichen Umweltbedingungen.

Warum werden Pilze plötzlich zur Gefahr für Bäume?

Ein Schichtpilz, vermutlich Stereum hirsutum, an einem umgestürzten Baum in einem Wald in Hessen. Foto: Imago/Panthermedia

„Pilze können für die Bäume Segen oder Plage sein“, sagt die Mykologin. Die Pilzexpertin unterscheidet drei Eigenschaften von ihnen. Pilze wie Ophiostoma novo-ulmi, der das Ulmensterben verursacht, schaden ihrem Wirtsbaum prinzipiell, in dem sie seine Wasserleitbahnen blockieren und den Baum in kurzer Zeit verdursten lassen.

Manche, sogenannte Endophyten, die im Inneren von Pflanzen wachsen, leben in Eintracht mit Bäumen. Der Baum bietet ihnen Lebensraum und Nährstoffe, im Gegenzug stärken die Pilze dessen Abwehrkräfte.

Wie können Deutschlands Wälder überleben?

Buchenwald auf der Insel Rügen: Dem Waldzustandsbericht der zufolge sind vier von fünf Bäumen krank. Foto: Jens Büttner/zb/dpa

Die dritte Gruppe umfasst die wachsende Zahl der sogenannten Opportunisten unter den Pilzen. Die für beide Seiten vorteilhafte Symbiose endet abrupt, wenn der Baum unter Stress gerät, sei es wegen Hagel, Klimaextremen oder Trockenheit.„Dann ändern die Pilze ihren Lebensstil und werden plötzlich zu einer Gefahr im Inneren des Baumes, die ihn absterben lassen kann“, erklärt Blumenstein.

Warum beseitigen diese zu Parasiten mutierten Pilze ihre Nahrungsquelle? „Für sie ist es leichter, sich Nährstoffe aus toten Zellen zuzuführen als aus lebenden.“

Als Beispiel für solch „undankbare“ Nutznießer nennt Blumenstein den wärmeliebenden Pilz Diplodia sapinea, der sich seit fünf bis zehn Jahren wegen des Klimawandels zunehmend in Mitteleuropa ausbreitet und Kiefern angreift, wenn sie durch Hitze oder Wassermangel bereits geschädigt sind.

Eine Folge zeige sich auch im Waldzustandsbericht der Bundesregierung. Dessen Daten zufolge ist der Anteil der deutlichen Kronenverlichtungen bei Kiefern innerhalb eines Jahres von 25 auf 28 Prozent im Jahr 2022 gestiegen.

Wie krank sind die heimischen Wälder?

Blumensteins Patienten geht es seit Jahrzehnten immer schlechter. Dem Waldzustandsbericht der zufolge sind vier von fünf Bäumen krank. Gemessen wird die Dichte der Baumkronen als Indikator für die Vitalität der Bäume.

Die mittlere Kronenverlichtung sei im Durchschnitt aller Baumarten von 26,7 Prozent auf 25,9 Prozent zwar geringfügig gesunken. Aber mit 6,7 Prozent sei ein Höchststand bei der Ausscheiderate erreicht worden, also dem Anteil der Bäume, die seit der letzten Erhebung abgestorben sind.

Trockene Bäume liegen in einer kahlen Stelle im Wald im hessischen Jossgrund, die durch Käferbefall, Trockenheit und Sturmschäden entstanden ist. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Welche Aufforstung ist die beste?

Für die Forscherin ist die internationale Vernetzung der Baumpathologen wichtig, um schneller wichtige Informationen auszutauschen. Denn durch molekulargenetische Biomarker kann man nachverfolgen, woher ein Pilz kommt, wo er sich ausbreitet, um dann zu prognostizieren, wohin er wohl weiterzieht. So können sich Regionen auf die ungebetenen Gäste einstellen und resilientere Bäume pflanzen.

Dazu eignen sich sogenannte Hybride, also Kreuzungen etwa von Esche oder Ulme mit importierten Bäumen. Blumenstein: „Wir werden uns von einigen einheimischen Baumarten verabschieden müssen und uns danach richten, welche Baumarten in 50 Jahren bei wärmerem Klima und neuen invasiven Arten noch vital bleiben“.

Info: Wald in Deutschland

Waldfläche in Deutschland
Deutschland ist ein waldreiches Land. Mit 11,4 Millionen Hektar sind 32 Prozent der Gesamtfläche mit Wäldern bedeckt. In den letzten zehn Jahren hat die Waldfläche um 50 000 Hektar (0,4 Prozent) zugenommen. 13 Prozent der Landesfläche werden für Siedlung und Verkehr sowie 52 Prozent für die Landwirtschaft genutzt.

Bäume
Über 90 Milliarden Bäume wachsen in Deutschlands Wäldern. Das ergab die letzte bundesweite Waldinventur. Von den 76 Baumarten, die hierzulande vorkommen, sind 56 Prozent Nadelwald und 44 Prozent Laubwald. Die Fichte ist mit 26 Prozent die häufigste Baumart in Deutschland, gefolgt von der Kiefer (23 Prozent), der Buche (16 Prozent) und der Eiche (zehn Prozent).

Waldland Baden-Württemberg
Nach Bayern (2,6 Millionen Hektar Wald) ist Baden-Württemberg mit 1,4 Millionen Hektar das Bundesland mit den meisten Wäldern. 40 Prozent der Landesfläche sind von Wald bedeckt. Damit steht der Südwesten auf Platz vier hinter Hessen und Rheinland-Pfalz (jeweils 42 Prozent) sowie dem Saarland (40 Prozent).

Geschädigte Wälder
Laut Waldzustandserhebung sind mehr als 70 Prozent der Laubbäume (Buchen und Eichen) geschädigt oder in der Warnstufe. Bei den Nadelbäumen (Fichte und Kiefer) sind über die Hälfte der Bäume stark geschädigt oder in der Warnstufe. Dem Waldzustandsbericht zufolge sind in Baden-Württemberg 38 Prozent der Wälder stark geschädigt . Dagegen ist die Waldfläche mit nicht geschädigten Bäumen um sechs Prozentpunkte auf nur noch 25 Prozent zurückgegangen.