Martin Winterkorn war in Personalunion Vorstandschef von VW und des VW-Großaktionärs Porsche-Holding. Das Stuttgarter Landgericht wirft ihm vor, im Dieselskandal nicht eingegriffen zu haben Foto: dpa

Erstmals hat die Porsche-Holding Niederlagen im Streit mit Aktionären kassiert, die dem VW-Großaktionär vorwerfen, zu spät über den Abgasskandal informiert zu haben.

Stuttgart - Das Landgericht Stuttgart hat den VW-Großaktionär Porsche-Holding dazu verurteilt, Aktionären Schadenersatz in Höhe von fast 47 Millionen Euro zu zahlen. Damit haben erstmals Aktionäre vor einem Gericht recht bekommen, die der Stuttgarter Holding vorwerfen, zu spät über die Manipulation der Abgasreinigung von Dieselmotoren informiert zu haben. Weil aus dem Auspuff der Dieselmotoren mehr lungenschädliches Stickoxid herauskam als erlaubt, wurde eine betrügerische Software installiert, die dafür sorgte, dass die Motoren die Grenzwerte auf dem Prüfstand zwar einhielten, diese im Straßenverkehr jedoch weit überschritten.

Die US-Umweltbehörde EPA deckte den Betrug im September 2015 auf. VW und Porsche informierten damals die Öffentlichkeit über die Manipulationen. Anleger mutmaßten jedoch, dass die betrügerischen Manipulationen intern auch auf höchster Managementebene bereits viel früher bekannt waren, die Information mithin zu spät erfolgte und sie ihre Aktien zu teuer gekauft haben.

Vorwürfe lösen Welle von Klagen aus

Diese Vorwürfe haben eine ganze Welle von Klagen ausgelöst. Allein vor dem Stuttgarter Landgericht gibt es nach Angaben eines Sprechers bei mehreren Zivilkammern rund 200 Klagen verärgerter Anleger gegen den VW-Großaktionär Porsche-Holding und gegen VW, die Schadenersatz fordern. Der Stuttgarter Richter Fabian Richter Reuschle wollte diese Klagen in einem Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart bündeln, in dem grundsätzliche Fragen vorab geklärt werden sollten, bevor die individuellen Forderungen dann vom Landgericht entschieden werden sollten.

Allerdings ist solch ein Musterverfahren bereits in diesem September vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig angelaufen. Andere Kammern des Stuttgarter Landgerichts haben deshalb ihre Klagen mit Hinweis auf diesen Mammutprozess ausgesetzt. Richter Reuschle wollte dagegen einen zweiten Musterprozess in Stuttgart beginnen. Das Oberlandesgericht Stuttgart signalisierte ihm vor kurzem jedoch, dass es darin keinen Sinn sehe, weil es sich in Braunschweig und in Stuttgart um den gleichen Sachverhalt handele.

Bevor diese Entscheidung des Oberlandesgerichts offiziell gefallen ist, hat Richter Reuschle nun zwei Klagen entschieden. Nach seiner Einschätzung hätte das Unternehmen bereits am 23. Mai 2014 über die Abgasmanipulation informieren müssen, weil Martin Winterkorn, der in Personalunion an der Spitze von VW und der Porsche-Holding stand, damals bereits über die Probleme informiert worden sei, aber nichts dagegen unternommen habe. Winterkorn habe seine Pflichten als Unternehmenschef grob fahrlässig verletzt.

Holding soll Aktionäre zu spät informiert haben

Der Kenntnisstand von Winterkorn könne auch dem Unternehmen zugerechnet werden. Die Holding habe deshalb im September 2015 zu spät informiert und damit gegen die Publizitätspflichten verstoßen. Eine frühzeitige Information hätte zu einem Kursrückgang geführt. Deshalb machen Anleger geltend, dass sie ihre Papiere in der fraglichen Zeit zu teuer gekauft haben und verlangen nun einen finanziellen Ausgleich.

Die Porsche-Holding kündigte umgehend an, Berufung gegen die Entscheidungen einzulegen. „Wir sind überzeugt, dass die Urteile in der nächsten Instanz keinen Bestand haben werden“, teilte das Unternehmen mit. Die Klagen seien unbegründet. Die Porsche-Holding wies darauf hin, dass das Oberlandesgericht Stuttgart darauf hingewiesen habe, dass die Verfahren nicht von einem Einzelrichter, sondern von einer Kammer entschieden werden sollten. Zudem vertrete das Oberlandesgericht Stuttgart ebenso wie das Oberlandesgericht Braunschweig die Auffassung, dass die Klagen ausgesetzt werden sollten, bis es eine Entscheidung im Braunschweiger Musterverfahren gebe. Der Kirchentellinsfurter Anwalt Andreas Tilp, der gemeinsam mit einer Partnerkanzlei einen der beiden siegreichen Kläger vertritt, misst der Entscheidung dagegen eine weitreichende Bedeutung für die anderen Klagen gegen die Holding und VW zu. Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, sprach von einem „Meilenstein im Kampf der VW- und Porsche-Aktionäre um Schadenersatz“. Das positive Urteil aus Stuttgart habe eine Signalwirkung.