Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone in der Nähe von Bachmut ab. Foto: dpa/LIBKOS

Kiews Truppen kommen gegen die russischen Besatzer kaum voran. Fortschritte sollen jetzt die umstrittenen Streubomben bringen.

Das Kohle-Bergwerk von Krasnohoriwka ist einer der vielen Orte, an denen sich russische und ukrainische Soldaten im Moment einen Kampf um jeden Meter Boden liefern. Nicht weit entfernt von der Stadt Donezk versuchen die Ukrainer hier, in die von Russen besetzen Gebiete vorzustoßen. Es ist ein zähes, blutiges und oft erfolgloses Unterfangen.

An der Kohle-Zeche haben die ukrainischen Einheiten jetzt Hoffnung geschöpft, weil sie – wie ukrainische Militärblogger berichten – Streumunition einsetzen können. Diese Granaten öffnen sich in der Luft und geben mehrere Dutzend kleinere Bomben frei, die sich über eine große Fläche verteilen und dann explodieren. So wird mit einer einzigen Granate ein weit größeres Gebiet als mit herkömmlicher Artilleriemunition attackiert. Die Wirkung der Streumunition, die von vielen Staaten der Erde geächtet und nun seit wenigen Tagen von den USA an die Ukraine geliefert wird, ist verheerend.

Um zu ihren vorderen Stellungen an das Bergwerk bei Krasnohoriwka zu kommen, müssen sich die russischen Truppen mehr als einen Kilometer über freies Feld bewegen. Die Ukrainer beobachten ununterbrochen dieses Gebiet und feuern ihre Granaten ab, sobald ein größerer Trupp russischer Soldaten auf der freien Fläche auftaucht. Mehr als 150 Mann soll die russische Armee bei ihren Angriffen allein an diesem Ort verloren haben.

So funktionieren Streumbomben Foto: Zapletal/dpa/Geneva International Centre for Humanitarian Demining

Ukrainer wie Russen zahlen weiterhin einen großen Blutzoll in diesem inzwischen siebzehn Monate andauernden Krieg. Was im Februar 2022 als russischer Großangriff auf die Ukraine begann, hat sich zu einem Abnutzungskampf entwickelt. Die Gegenoffensive der Ukrainer, in die auch die westlichen Unterstützer Kiews viel Hoffnung gesetzt hatten, kommt kaum voran.

Viele westliche Panzer sollen bereits zerstört oder beschädigt sein

Die Russen hatten die Zeit im vergangenen Winter und Frühjahr genutzt, um sich buchstäblich einzugraben. Sie haben hunderte Kilometer Gräben ausgehoben, Barrieren aus Panzersperren und Stacheldraht errichtet und riesige Gebiete vermint.

Als die Gegenoffensive im Juni begann, blieben die Ukrainer in diesen Abwehrriegeln hängen. Die Minenfelder erwiesen sich als extrem schwer zu überwinden. Da halfen den Ukrainern auch die frisch angelieferten westlichen Panzer wenig. Nach Einschätzung westlicher Experten sollen inzwischen bis zu fünfzig Prozent der gelieferten Leopard-2-Panzer beschädigt oder zerstört sein. Zudem wurden die ukrainischen Truppen durch russische Kampfhubschrauber und -flugzeuge attackiert, gegen die sie sich mangels eigener Flugabwehr und Flugzeuge kaum schützen konnten.

Vorstöße mit kleinen Infanteriegruppen

Seitdem verzichten die Ukrainer auf koordinierte Großangriffe mit Panzern, Artillerie und Infanterie. Stattdessen versuchen sie die russischen Einheiten mit Artillerieschlägen unter Druck zu setzen, um dann mit kleinen Infanteriegruppen vorzustoßen. Das verringert zwar die eigenen Verluste, aber es führt auch nicht zu größeren Geländegewinnen. Das Ziel, bis zum Asowschen Meer vorzustoßen und damit die Russen im Südosten der Ukraine von der Versorgung durch ihr Mutterland abzuschneiden, ist in weite Ferne gerückt.

Den Unterschied auf dem Schlachtfeld machen im Moment nicht die vom Westen gelieferten Panzer oder Schützenpanzer, sondern Artillerie-Geschütze. Und vor allem deren Bestückung mit Munition. Laut SPIEGEL verbrauchen die Ukrainer je nach Schätzung 4000 bis 8000 Granaten des Kalibers 155 Millimeter pro Tag.

Raketenangriffe auf die russischen Versorgungslinien

Das ist weit mehr, als die USA und ihre Verbündeten herstellen können. Solange der Westen nicht liefern kann, müssen die Ukrainer Munition sparen – oder auf Streumunition ausweichen, von der die USA noch Hunderttausende Granaten im Depot haben. Aber auch den Russen gehen die Granaten aus. Hinzu kommen auf russischer Seite allgemeine Probleme beim Nachschub an Menschen und Material. Zudem ist die Moral der Truppe schlecht.

Mit einigem Erfolg greifen die Ukrainer inzwischen mit Drohnen und Raketen weit hinter der Frontlinie liegende Ziele an, um die Versorgungslinien und Umschlagplätze der Russen zu zerstören – wie die Kerscht-Brücke oder ein großes Munitionsdepot auf der Halbinsel Krim. Drohnen-Angriffe auf Moskau tragen den Krieg bis vor die Türen des Kreml.

„Es wird lang, es wird hart, es wird blutig.“

Wladimir Putin und seine Militärs reagieren auf diese gewachsene Bedrohung mit einer neuen Eskalation. Die Hafenstadt Odessa mit ihren großen Getreidelagern und Verladeanlagen ist seit Tagen unter Dauerbeschuss mit Raketen und Drohnen. Selbst den ukrainischen Donau-Hafen in Reni nahe der rumänischen Grenze haben die Russen beschossen. Sie nehmen damit das Risiko in Kauf, dass der Krieg bis auf das Gebiet des Nato-Mitglieds Rumänien getragen wird.

Ist die Gegenoffensive der Ukrainer aber schon „gescheitert“, wie Putin am vergangenen Sonntag frohlockte? Seit Anfang Juni haben die Ukrainer laut Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar lediglich 210 Quadratkilometer eigenen Boden befreit. Zum Vergleich: Russland hält einschließlich der Krim mehr als 100 000 Quadratkilometer ukrainischen Territoriums besetzt. Bei diesem Tempo würde die Rückeroberung aller Gebiete mehr als 60 Jahre in Anspruch nehmen – und dabei hat Malja die geringfügigen Geländegewinne, die die Russen gleichzeitig im Nordosten der Ukraine gemacht haben, wohl noch gar nicht gegengerechnet.

Dennoch dürfe man nicht von einem „Misserfolg“ sprechen, erklärte US-Generalstabschef Mark Milley vorige Woche. „Ich denke, es gibt noch viel zu kämpfen, und ich bleibe bei dem, was wir zuvor gesagt haben: Es wird lang, es wird hart, es wird blutig.“

Journalisten getötet und verletzt

Russische Seite
 In der Ukraine sollen in den letzten Tagen Medienvertreter durch Streumunition getötet und verletzt worden sein. Ein russischer Militärkorrespondent kam am Samstag nach Angaben aus Moskau im Kampfgebiet im Süden ums Leben. „Durch Beschuss mit Streumunition vonseiten der ukrainischen Streitkräfte haben vier Journalisten unterschiedlich schwere Verletzungen erlitten“, teilte das russische Verteidigungsministerium mit.

Ukrainische Seite
 Im Osten der Ukraine geriet ebenfalls am Samstag nach Angaben der Deutschen Welle ein Team des Senders bei Dreharbeiten auf einem Truppenübungsplatz der ukrainischen Armee etwas mehr als 20 Kilometer hinter der Front bei Druschkiwka im Gebiet Donezk unter russischen Artilleriebeschuss. Ein Kameramann habe Splitterverletzungen durch russische Streumunition erlitten.