Chefkoch Jaap Tijsze (Zweiter von links) isst später gemeinsam mit den ehrenamtlichen Helfern zu Abend. Foto: Stefanie Unbehauen

Einsamkeit betrifft viele. Gleichzeitig sind immer mehr Leute auf das Angebot von Tafeln und Suppenküchen angewiesen. Ein Restaurant in Amsterdam geht beide Probleme an.

Betritt man abends das Calvijn College im Amsterdamer Stadtviertel Nieuw-West, begegnet einem im Foyer ein weißes Banner, auf dem ein rotes Herz aufgedruckt ist. „Resto van Harte“ steht darauf. Zu Deutsch: „Restaurant des Herzens“. Der Speiseraum – tagsüber mit Studierenden gefüllt, die hier zu Mittag essen – wird abends von Montag bis Freitag kurzerhand umgewandelt in ein gemütliches Restaurant. An den Tischen sitzen Gruppen von vier bis fünf Leuten, nur vereinzelt sitzt jemand allein. Zwischen halb sechs und sechs füllt sich der Raum langsam.

Bevor es losgeht mit dem ersten Gang, begrüßt Chefkoch Jaap Tijsze die Gäste, geht scherzend von Tisch zu Tisch, unterhält sich. Der 58-Jährige trägt eine graue Jeans, Turnschuhe und ein schwarzes Hawaiihemd mit Palmen, über das er eine rote Schürze mit dem Resto-van-Harte-Logo trägt. Nicht nur die ehrenamtlichen Kellnerinnen und Kellner nehmen Getränke auf, auch der Küchenchef selbst nimmt mit einem iPad die Bestellungen auf.

Hauptsächlich kommen ältere Gäste

„Viele der Leute hier sind Stammgäste“, sagt er. So auch das Ehepaar Alida und Rob Hafkamp. „Wir wohnen hier in der Straße. Seit der Eröffnung vor rund sieben Jahren kommen wir fast täglich hierher“, sagt die 84-Jährige. Das Ehepaar hat durch das Projekt bereits viele Leute kennengelernt. „Es sind wirklich gute Freundschaften entstanden“, sagt Alida und blickt sich um.

Hauptsächlich seien es Ältere, die hierherkommen. „Ich versuche, auch junge Menschen anzuwerben, damit die Gruppe gemischter ist, aber es ist schwierig“, erklärt der Küchenchef. Ab und zu kämen auch Alleinerziehende. So wie Rachel, die zum ersten Mal hier ist. „Mein Sohn und ich dürfen heute kostenlos hier essen“, sagt die 43-Jährige und blickt auf ihren Sohn Rajan, der neben ihr sitzt und mit seinem Besteck spielt, während er auf das Essen wartet. Der Vierjährige ist heute Abend das einzige Kind im Raum.

Durch ein Programm, das sich an pflegende Angehörige wendet, können sie und ihr Sohn heute kostenlos im Resto van Harte essen. Normalerweise kann sie es sich nicht leisten, essen zu gehen. „Wir sind oft zu Hause“, sagt die Mutter.

Ziel ist es, Einsamkeit und soziale Isolation zu bekämpfen

Es gibt drei Gänge: Suppe, Hauptspeise, Nachtisch. Das Motto: nachhaltig, saisonal und regional. Das Projekt finanziert sich hauptsächlich durch die Regierung, aber auch durch Partnerschaften mit Stiftungen und Unternehmen wie großen Supermarktketten und Lebensmittelkonzernen. Drei Gänge kosten etwa sieben Euro. Das Konzept besteht seit 15 Jahren. In ganz Niederlande gibt es 50 Standorte der Nachbarschaftsrestaurants.

Restaurant-Pressesprecherin Renske Westerhof sagt: „Unser Ziel ist es, Einsamkeit und soziale Isolation zu bekämpfen.“ Das wollen sie schaffen, indem sie Menschen durch ein gemeinsames Abendessen an einem Tisch bringen. „Unsere Gäste sollen die Chance erhalten, ihr soziales Netzwerk zu erweitern und neue Freundschaften zu schließen.“

Hier kann man neue Freunde kennenlernen

Neue Freundschaften konnte durch das Resto van Harte auch Jopie schließen. „Ich komme zweimal wöchentlich hierher“, sagt die 76-Jährige. Die Leute, mit denen sie am Tisch sitzt, mit denen sie scherzt und lacht, habe sie hier kennengelernt.

Der Gründer von Resto van Harte, Fred Beekers, kam bei seiner Arbeit als ehrenamtlicher Fahrer für Senioren in Den Haag auf die Idee. Dabei sah er, wie viele Menschen einsam waren und allein aßen. „Er wollte sie mit einer guten, gesunden Mahlzeit versorgen und zusammenbringen, damit sie weniger einsam waren“, sagt Pressesprecherin Westerhof.

Einsamkeit ist in den Niederlanden kein Problem, das nur ältere Menschen betrifft. Bei einer Umfrage des niederländischen Statistikamts aus dem Jahr 2019 gaben 26 Prozent der Befragten ab 15 Jahren, also rund ein Viertel, an, sich einsam zu fühlen. Neun Prozent fühlten sich sogar „sehr einsam“. Bei Menschen ab 75 Jahren sind es laut Umfrage sogar ein Drittel der Befragten, die sich einsam fühlen.

Auch in der Bundesrepublik ein Problem

Auch in der Bundesrepublik ist die Einsamkeit ein immer größer werdendes Problem. Das weiß auch Helmut Kneppe, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe. „Einsamkeit ist ein Zukunftsthema“, warnt Kneppe. „Angesichts einer zunehmend individualisierten und digitalen Gesellschaft müssen wir Konzepte entwickeln, die das Wir stärken“, appelliert Kneppe.

Um Viertel nach sechs wird in Amsterdam das laute Tuscheln durchbrochen von einer Glocke. Der Restaurantchef hält eine kurze Rede, sagt, welche Gerichte es an diesem Abend gibt, und spricht den sieben Freiwilligen einen großen Dank aus. Lauter Applaus für die Ehrenamtlichen folgt. Jaap Tijsze verabschiedet sich in die Küche – und der Abend nimmt seinen Lauf.

Wie es in Deutschland aussieht

Forsa
 Laut einer Forsa-Umfrage von 2021 fühlten sich 22 Prozent der befragten Älteren häufig oder zumindest hin und wieder einsam. Überdurchschnittlich häufig sagten dies die über 84-Jährigen mit 31 Prozent, Alleinlebende mit 35 Prozent und Menschen mit größeren gesundheitlichen Problemen – ganze 41 Prozent.

Corona
 40 Prozent derjenigen, die sich zumindest hin und wieder einsam fühlen, berichteten, dass dies schon vor der Coronakrise so gewesen sei. Eine Mehrheit von 58 Prozent gab an, dass dies erst seit Beginn der Pandemie der Fall sei.