Diskutieren in Schorndorf über eine bessere Gesundheitsversorgung junger Patienten: Der CDU-Landtagsabgeordnete Michael Preusch, die Kinderärzte Ralf Brügel und Annette Weinmann sowie Doris Reinhardt von der Kassenärztlichen Vereinigung (von links nach rechts). Foto: Gottfried Stoppel

Am Dienstag sind bis auf Notdienstbereitschaften alle Kinderarztpraxen im Rems-Murr-Kreis geschlossen geblieben. In einer Podiumsdiskussion in Schorndorf gab es Erklärungen dafür.

„Die Gesundheitsversorgung unserer Kinder ist massiv bedroht.“ Unter dieser Überschrift haben die Kinderärzte im Rems-Murr-Kreis in einem gemeinsamen Brief an die Politik die aus ihrer Sicht schon jetzt dramatische Situation geschildert. Am Dienstag haben sie mit einer eintägigen Arbeitsniederlegung einen weiteren Weckruf folgen lassen.

Arbeitstag eng getaktet

Ihr in der Regel zwölf Stunden andauernder Arbeitstag sei eng getaktet, sagt Annette Weinmann, die in Waiblingen eine Facharztpraxis für Kinder- und Jugendmedizin betreibt. Darüber will sie sich gar nicht beklagen – wohl aber darüber, dass oft nicht mehr genug Zeit für eine ausreichende Versorgung ihrer Patienten bleibe.

In einer Podiumsdiskussion in der Schorndorfer Barbara-Künkelin-Halle haben Annette Weinmann und Ralf Brügel, der Obmann der Kinderärztinnen und Kinderärzte im Kreis, ihre Situation geschildert, die, wie sie warnen, durch ständig zunehmende Aufgaben, eine überbordende Bürokratie und EDV-Mängel immer weiter verschärft werde.

Auf dem Papier überversorgt

Ein Kernproblem indes sehen die Ärzte in einem veralteten – wie Brügel es ausdrückt: geradezu kafkaesken – System der Bedarfsplanung. Während die meisten Kinderarztpraxen wegen Überlastung gar keine neuen Patienten aufnehmen können, gilt der Landkreis, wie viele andere Regionen im Land, in diesem Bereich rein rechnerisch als überversorgt. Selbst wenn sich ein Kinderarzt in einer Kommune irgendwo zwischen Spiegelberg und Waiblingen niederlassen wollte, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) dürfte das gar nicht genehmigen.

Das bestätigt auch Doris Reinhardt, die stellvertretende Vorsitzende der Körperschaft öffentlichen Rechts, die in Baden-Württemberg die vertragsärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten koordiniert. Reinhardt räumt aber auch ein, dass die Bedarfsplanung gar „keine Planung des Bedarfs, sondern eine gesetzgeberisch festgelegte, rein rechnerische Größe“ sei. Sprich: die einst in den 1990er-Jahren festgelegte Bemessungsgrundlage, mit der die Zahl der zulässigen Arztsitze in einem Gebiet geregelt wird, entspreche nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen.

Verzweifelte Eltern

Das unterstreichen bei der Diskussion in der Künkelinhalle auch zwei medizinische Fachkräfte. Sie berichten von täglichen, zum Teil herzzerreißenden oder wütenden Anrufen von Eltern, die verzweifelt eine Kinderarztpraxis suchen, die ihre Sprösslinge in die Regelbehandlung aufnimmt. Selbst werdende Mütter, die sich lange vor der Geburt um einen Platz bemühten, erhielten oft keine Zusage für die Zeit nach ihrer Entbindung.

Für den CDU-Landtagsabgeordneten Michael Preusch, selbst Arzt, ist die Bedarfsplanung durchaus etwas, an das „der Bund noch mal neu rangehen“ sollte. Zumal auch die Arbeitswirklichkeit heute eine andere sei als in jener Zeit, in der das Gesetz entstand. Viele Mediziner seien nicht mehr bereit, 140 Prozent ihrer Kraft zu investieren. Der Trend gehe auch hier zu mehr Teilzeit und einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance. Die Folge: „Wir brauchen pro Stelle einfach mehr Personal.“ Während die Politik früher einer drohenden „Ärzteschwemme“ einen Riegel vorschieben habe wollen, müsse man jetzt dafür sorgen, den Zugang zu erleichtern und das Berufsfeld wieder interessanter machen.

Krankenhausreform als Hebel?

Die Sorgen und Nöte der Ärzte seien angekommen und flössen in die weiteren Diskussionen ein, versichert der Politiker, der freilich darauf verweist, dass vor allem der Bund da am Zug sei. Aber vielleicht könnten die Länder auch die aktuell anstehende Krankenhausreform als Hebel nutzen, um für die ambulante Versorgung bessere Bedingungen auszuhandeln.

Die Kinderärzte und ihre Fachangestellten, die auch einen Gutteil des Publikums bei der Podiumsdiskussion in Schorndorf ausmachten, werden auf jeden Fall eines von dem Tag mitgenommen haben: Sie müssen dranbleiben, damit ihre Sorgen nicht nur einmal gehört, sondern auch gelöst werden.

Wunsch und Wirklichkeit

Lage
 Laut aktueller Bedarfsplanung gilt der Rems-Murr-Kreis bei der Versorgung mit Kinderärzten als überversorgt. Die Quote liegt nach der jüngsten Berechnung bei 112,8 Prozent. Die Praxis sieht anders aus. Zahlreiche Eltern klagen, wohnortnah keinen Kinderarzt zu finden, der sie aufnimmt. Die Kinderärzte wiederum klagen über einen enormen Zuwachs an Arbeit – etwa durch mehr Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen als früher, immer komplexere Krankheitsbilder und eine Zunahme an psychosozialen Problemen.

Forderungen
  Die Praxisinhaber fordern eine Änderung von Vorschriften, die eine problemlose Einstellung von Ärzten verhinderten, ebenso eine adäquate Vergütung. Außerdem sollte mittel- bis langfristig auf der Agenda stehen: Mehr Studienplätze, eine Entlastung der Praxen, weniger Bürokratie, Entlastung bei der EDV, darüber hinaus mehr psychosoziale Beratung durch die Kommunen.

Weitere Informationen: www.protesttag.de