Observationsfoto der Polizei: Paul-Ludwig U. (vorne) und Werner S. Foto: StN

Nach vier Wochen Sommerpause suchen ab dem heutigen Montag die fünf Richter des 5. Strafsenats des Stuttgarter Oberlandesgerichtes im Verfahren um die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe S. weiter nach der Wahrheit. Ein Überblick über den bisherigen Verlauf des Prozesses.

Stuttgart - 23 Mal haben die fünf Richter des 5. Strafsenats des Stuttgarter Oberlandesgerichtes bislang im Verfahren gegen Werner S. und seine elf Mitangeklagten Zeugen vernommen, mitgeschnittene Telefonate gehört und Kurzmitteilungen gelesen. Der Generalbundesanwalt wirft den zwölf Männern vor, mit der Gruppe S. eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben. Künftig wird das bis Mitte kommenden Jahres terminierte Verfahren dienstags und donnerstags kommenden Montag wird der Prozess in Stammheim fortgesetzt.

Die Angeklagten

Vor der Sommerpause überraschten die Richter um den Vorsitzenden Herbert Anderer mit neu begründeten Haftbefehlen: Fünf Angeklagten werfen sie vor, die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe gegründet und sie angeführt zu haben. Oder aber die Rädelsführer unterstützt zu haben. Für drei Angeklagte könnten sich diese Tatvorwürfe strafverschärfend auswirken. Bei sieben Angeklagten schwächten sie den Tatvorwurf: sie sollen die Gruppe lediglich unterstützt haben. Auch beim Gründungsdatum sind die Richter zu einer anderen Meinung als die Anklage gekommen. Statt im September 2019 habe sich die Gruppe erst am 8. Februar 2020 – sechs Tage vor den Festnahmen – gebildet. Die Folge: Ein Angeklagter wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, weil er am Treffen im Februar nicht teilnahm.

Der vorsitzende Richter

Herbert Anderer führt strukturiert, mit großer Kenntnis der Ermittlungsakten und mit englischem Humor durch die Prozesstage. Die Folge: Anfängliche Muskelspiele zwischen einzelnen Verteidigern und dem Senat sind einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre im Gerichtssaal gewichen, zu der in den letzten Verhandlungstagen vor der Sommerpause Neckereien zwischen Anderer und dem Verteidiger André Picker um dessen roten Jutebeutel gehörten. Den drapierte der Jurist auf seinem Schreibtisch – und störte damit wohl das Bild Anderers von einem Gerichtssaal.

Der belastende Angeklagte

Paul-Ludwig U. ist der Mitgliedschaft in der Gruppe S. angeklagt und gleichzeitig der Belastungszeuge dieses Verfahrens. 21 Jahre verbrachte er bereits wegen Geiselnahme eines Polizisten im Gefängnis und in geschlossenen Anstalten, bevor er 2018 in die Freiheit entlassen wurde. U. gelangte im September 2019 zum Landeskriminalamt Baden-Württemberg, wo er berichtete, er sei – zum Schein – in einer Rechtsterrorgruppe, die sich bewaffne und Anschläge auf Moscheen und die Grünen-Politiker Robert Habeck und Anton Hofreiter vorbereite. So gelangte die Polizei überhaupt Kenntnis von der Gruppe S. Nach 23 Verhandlungstagen wird deutlich: Auf U.s Aussagen baut zwar die Anklage wesentliche Tatwürfe auf.

Es ist bislang aber unklar, inwieweit U. sogar die Taten initiierte, die einzelnen Angeklagten vorgeworfen werden. Auch dass er als Angeklagter offenbar Geld von den Ermittlern erhielt, ein Verfahren wegen des Besitzes kinderpornografischen Materials eingestellt wurde und er bis zum August der einzige Angeklagte auf freiem Fuß war, mutet merkwürdig an. Dass er bereits im Mai 2019 seiner Bewährungshelferin erzählte, er habe Kontakt zu Rechtsradikalen, die Anschläge auf Moscheen vorbereiteten und arbeite deshalb mit der Polizei zusammen, ist verwunderlich: Zu diesem Zeitpunkt kannten sich teilweise die Mitglieder der Gruppe noch gar nicht und U. hatte auch noch keinen Kontakt zu den Ermittlern.

Von denen ausgerechnet der, der U. seit September 2019 sehr eng betreute, nicht als möglicher Zeuge in der Anklageschrift aufgeführt ist. Der belastende Angeklagte ist inzwischen selbst stark belastet.

Die Anklägerinnen

Die drei Staatsanwältinnen der Bundesanwaltschaft verhalten sich äußerst passiv im Verfahren. Während die Verteidiger vor allem den belastenden Angeklagten U. nach Belieben zerpflücken, schweigen die Anklägerinnen meist.

Die Zukunft des Verfahrens

Viele der 24 Verteidiger gehen davon aus, dass noch in diesem Jahr weitere Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, in der diese sich am kommenden Montag seit 545 Tagen befinden. Die kommenden Prozesstage werden durch die Aussage Tony E.s geprägt werden, dem die Anklage vorwirft, hinter Werner S. der zweite Rädelsführer der Gruppe S. gewesen zu sein.

Zudem dürfte Paul-Ludwig U. in den kommenden Wochen weiterhin im Fokus des Verfahrens stehen: Der den Prozess begleitende Psychiater hat ihn im Juli untersucht, um so den Belastungszeugen besser beurteilen zu können. In dem so entstehenden Gutachten soll auch die Frage beantwortet werden, ob U. glaubwürdig ist und ob er möglicherweise seine Mitangeklagten massiv in die Richtung einer Anschläge planende, mutmaßlichen Terrorgruppe manipulierte.