Das Firmengebäude des Spielwarenherstellers Ravensburger Foto: Firmenfoto

Das liebste Spielzeug von Kindern ist ihr Smartphone, so scheint es. Karsten Schmidt, Chef bei Ravensburger, sagt, wie sein Unternehmen trotzdem wächst und wie er Asylbewerber unterstützt.

Stuttgart - Herr Schmidt, Kinder und Jugendliche sieht man ja nur noch auf ihrem Smartphone daddeln. Wie sehr belastet Sie das als Hersteller von klassischen Spielen?
Man hat tatsächlich den Eindruck, dass die Hälfte aller Kinder ab acht Jahren ein Smartphone besitzt. Uns tut das aber nicht weh. Im Gegenteil: Der klassische Spielwarenmarkt ist substanziell gewachsen.
Was heißt das in Zahlen ausgedrückt?
In Deutschland, Frankreich, England, Italien und Spanien ist der Markt um 5,6 Prozent gewachsen. In Deutschland lief das Geschäft besonders gut. Dort verzeichnet die gesamte Branche ein Zuwachs von 7,5 Prozent. Das heißt: Anscheinend können die klassischen Spielwaren und die digitalen Produkte gut miteinander leben.
Glauben Sie, dass die Qualität des digitalen Spielens eine andere ist. Manche Eltern sagen ja: Spielen mit dem Smartphone macht dumm.
Das glaube ich nicht. Die Auswahl der Apps ist riesig. Und darunter gibt es durchaus auch gute Angebote. Und dass die Kinder irgendwann über diese Technologie an das Arbeitsmittel ihrer Zukunft herangeführt werden, halte ich sogar für vernünftig.
Und wie gehen Sie als klassischer Spielwarenhersteller mit dieser Entwicklung um?
Wir reagieren darauf in dreierlei Hinsicht. Wir bringen jedes Jahr neue Versionen von klassischen Gesellschaftsspielen auf den Markt. Dieses Jahr bieten wir zum Beispiel das Spiel „Das verrückte Labyrinth“ mit „Star Wars“- und „Frozen“-Lizenzen an. Den zweiten Bereich, der bei uns gut funktioniert, nennen wir hybrid. Das sind klassische Produkte, die durch digitale Elemente ergänzt werden und so einen höheren Spielwert bieten. Das bekannteste Beispiel aus unserem Haus ist „Tiptoi“. Das ist ein audiodigitales Lernsystem, mit dem ein Kind in einem Bilderbuch zum Beispiel auf verschiedene Musikinstrumente gehen kann und dann den entsprechenden Klang hört. Wir haben auch klassische Brettspiele, bei denen elektronische Elemente integriert sind: Zum Beispiel als Spielleiter. Diese Hybridprodukte machen in Deutschland bei Ravensburger einen Umsatzanteil von 25 Prozent aus. Außerdem bieten wir auch rein digitale Produkte an. Da geht es sowohl um Familienspiele-Apps als auch um Apps für Kinder zwischen zwei und sieben Jahren.
Verdienen Sie mit den Apps auch Geld?
Im Moment noch nicht. Das Problem ist, dass wir in diesem Bereich Millionen von Wettbewerbern haben. Es gibt ja keine Marktzugangshürde. Jeder Student kann eine App programmieren und sie bei Apple einreichen. Zurzeit gibt es insgesamt etwa 400 000 Spiele-Apps – und drei Viertel davon sind umsonst. Das ist ein schwerer Markt.
Warum mischen Sie dann überhaupt mit?
Wir müssen dabei sein, um zu lernen und um den Anschluss nicht zu verpassen. Denn der Markt verändert sich ständig.
Was sind dann die Kassenschlager?
Das waren überraschenderweise die ganz klassischen Produkte wie 2-D- und 3-D-Puzzles und Gesellschaftsspiele. Dort sind wir stärker gewachsen als bei den digitalen und hybriden Produkten.
Woran liegt das?
Wenn man sich anschaut, welche Spielwaren in Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt am stärksten gewachsen sind, dann bekommt man ein Abbild dessen, was auf der Welt gerade passiert. Am stärksten gewachsen sind Actionfiguren. Das reflektiert den neuen „Star Wars“-Film, der 2015 in die Kinos gekommen ist. Das Zweite sind Outdoor-Spiele, das reflektiert den wahrscheinlich heißesten Sommer seit Aufzeichnung. Und das Dritte sind klassische Spiele und Puzzles. Und das reflektiert die gefühlte Unsicherheit der Menschen und die politische Instabilität.
Das heißt: Kriege, Terror und Flüchtlingskrise verstärken sogar das Wachstum der Spielwarenbranche?
In der Krise spielen die Menschen mehr. Wenn auf der Welt so viel passiert, findet eine Rückbesinnung auf das Wesentliche statt. Und der Kern des Lebens ist für die meisten Menschen die Familie. Dort verbringen sie dann mehr Zeit. Diese Tendenz haben wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa beobachtet.
Insgesamt haben Sie im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von 19,2 Prozent auf 444,9 Millionen Euro erreicht. Wie hoch ist der Anteil von Brio an Ihrem Wachstum?
Den schwedischen Holzeisenbahnherstellers Brio haben wir 2015 zugekauft. 60 Prozent unseres aktuellen Wachstums macht Brio aus. Dadurch haben wir die höchste Wachstumsrate seit ungefähr 15 Jahren erzielt.
Die Kassen sind also gut gefüllt. Welche Firma kaufen Sie als Nächstes zu?
Wir müssen die Zukäufe der letzten Jahre jetzt zunächst mal organisatorisch verdauen. Wir schauen uns jedoch weiterhin um und sind in einigen Jahren wieder bereit für einen Zukauf.
Und wie werden die nächsten Jahre wirtschaftlich für Sie laufen?
Wenn wir 2016 im einstelligen Prozentbereich wachsen, sind wir zufrieden. Das vergangene Jahr war wirklich ausgesprochen gut für unsere Branche: Die Löhne sind gestiegen, die Arbeitslosenquote ist gering, und die Spritpreise waren niedrig. Und was uns besonders geholfen hat: Die Kalenderwoche nach Weihnachten hatte einen Tag mehr. Zu Weihachten gibt es oft Geldgeschenke, und man geht dann in der Woche danach einkaufen. Da hat im Basistrend alles gestimmt.
Inwiefern wirkt sich das auf Ihre Belegschaft aus?
Wir haben 2015 insgesamt 160 Vollzeitstellen neu geschaffen, darunter circa 80 durch den Brio-Zukauf. Und wenn wir weiterhin wachsen, wovon wir ausgehen, werden wir auch 2016 mehr Mitarbeiter in Produktion und Logistik benötigen.
Einige Firmen setzen dabei auch auf Asylbewerber.
Wir haben der Stadt Ravensburg auf unserem Firmengelände ein Gebäude für Asylbewerber kostenfrei zur Verfügung gestellt. Das baut die Stadt gerade aus. Ende dieses Quartals ist es bezugsfertig. Perspektivisch bieten wir auch an, diese Asylbewerber als Praktikanten und Auszubildende zu beschäftigen. Weil wir glauben, dass es unsere Pflicht ist zu helfen.