Von Gaby HerzogBERLIN. Rocko läuft schon mal vor. Mit einem Schokoladeneis

Von Gaby Herzog

BERLIN. Rocko läuft schon mal vor. Mit einem Schokoladeneis in der Hand drängt sich der Junge an den Beinen seines Vaters vorbei ins Café. Der versucht gerade den Kinderwagen über die Schwelle zu bugsieren, als er plötzlich innehält. Erst jetzt hat er das Schild an der Tür bemerkt: "Neu! Für Ältern ohne Kinder" steht da in schwarzer Druckschrift. "Rocko, Abmarsch. Hier sind wir nicht erwünscht", ruft er und geht zurück auf die Straße.

Draußen sitzen zwei junge Frauen auf einer Bank und stillen ihre Neugeborenen. Sie grinsen wissend. "Der hat wohl keine Zeitung gelesen", stellt die eine amüsiert fest. Denn das Café Niesen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist in diesen Tagen Gesprächsthema Nummer eins.

Seit das Fernsehen darüber berichtet hat, dass das kleine Kaffeestübchen eine kinderfreie Zone eingerichtet hat, kochen die Emotionen hoch. Die Zeitungen schicken ihre Reporter vorbei. In den Lokalzeitungen stehen Schlagzeilen wie "Schnullerverbot" oder "Café Kinderfrei".

Politiker aller Couleur wittern ein populäres Thema und wettern drauflos. Allen voran FDP-Landeschef Markus Löning. Die Einrichtung sei "familienfeindlich", erklärt der, er finde "die Ausgrenzung zum Kotzen", und fordert dazu auf, das Café zu boykottieren. Auch für SPD-Jugendexpertin Stefanie Winde ist die Aktion "unmöglich und nicht akzeptabel", und für den Grünen Benedikt Lux passt "eine solche geschmacklose Aktion nicht in eine weltoffene Stadt wie Berlin". Er wolle über ein Verbot dieser Kinderausgrenzung diskutieren.

Klaus Schulte, der Wirt im Niesen, nimmt die Schürze ab und setzt sich an einen der rosa bemalten Holztische. "Unglaublich, was wir da losgetreten haben", sagt der 49-Jährige. Die Idee zum kinderfreien Raum sei von seinen Gästen gekommen. "Ältere und Eltern - kurz Ältern - brauchen ihre Ruhe", sagt Schulte. Ihn ärgert, dass sich keiner der Politiker, die so lautstark Front gegen das Niesen machen, als Gast vorbeikommt. Dann wüssten die Damen und Herren, dass das Niesen anderen Cafés in Sachen Kinderfreundlichkeit in nichts nachsteht.

"Wir haben doch nur ein kleines Séparée eingerichtet", verteidigt sich der Café-Chef. Im restlichen Café würden sogar extra weniger Tische stehen, damit genug Platz ist für Kinderwagen.

Denn das Publikum im Prenzlauer Berg ist homogen. Das Viertel, in dem sich zu DDR-Zeiten die Oppositionellen trafen, ist seit der Wende fest in der Hand von jungen Kreativen und Studenten. Rund die Hälfte der Bewohner ist zwischen 25 und 45 Jahren. Viele haben schrille Partybesuche gegen Familie und Kinder eingetauscht.

Der Nachwuchs ist genauso hip und anspruchsvoll wie seine Eltern. Die Dienstleister überschlagen sich mit passenden Angeboten: Windelservice, Milchzahntherapie, ein Kindermuseum - mehr als 170 Kinderläden soll es geben. Die sogenannten Prenzlzwerge sind so allgegenwärtig, dass das Viertel schon in "Pregnancy Hill" (Schwangerschaftsberg) umgetauft wurde.

Da wirkt eine kinderfreie Zone zwangsläufig provozierend. "Das ist abstoßend. Genau wie die Raucherkneipen", urteilt die Mutter von Rocko. "Hier verschanzen sich ewiggestrige, egoistische Großstadt-Neurotiker", sagt sie und zeigt auf einen Mann im Séparée. Der lächelt zufrieden. "Schluss mit der scheinheiligen politischen Korrektheit", fordert er. "Ich finde es in Ordnung, wenn wir uns ein Stück unserer Stadt zurückerobern."