In sich gekehrt sein: Das ist eine häufige Verhaltensweise von Autisten. Foto: thebigland45/stock.adobe.com

Ein 57 Jahre alter Mann aus dem Strohgäu ist beim Duschen seines behinderten Sohn mehrfach sexuell übergriffig geworden. Der Mann hatte sich selbst angezeigt und damit das Verfahren ins Rollen gebracht.

Stuttgart - Kann der Angeklagte noch eine Strafe auf Bewährung bekommen? Oder muss die Haft länger als zwei Jahre sein und der Mann damit direkt ins Gefängnis? Das waren die Fragen, die am Montag den vierten und letzten Verhandlungstag am Stuttgarter Landgerichts bestimmten. 26 Mal soll sich der Mann zwischen 2012 und 2017 an seinem nun 24-jährigen autistischen Sohn vergangen haben. Am dritten Verhandlungstag hatte der 57 Jahre alte Mann sein Geständnis, das er bei bei der Polizei abgelegt hatte, in vollem Umfang wiederholt.

Staatsanwältin plädiert für knapp drei Jahre Haft

Die Staatsanwältin plädierte für eine Strafe von zwei Jahren und elf Monaten, der Verteidiger hielt eine Bewährungsstrafe für angemessen: Niemand habe etwas davon, wenn der Mann ins Gefängnis müsse. Doch dort wird der Mann aus dem Strohgäu nun für zwei Jahre und neun Monate sein, wie das Gericht urteilte. Das Opfer selbst konnte nicht gehört werden. Betreuerinnen und eine Ärztin hatten dessen autistische Veranlagung geschildert, verbunden mit einer Verhaltensstörung und der Unfähigkeit zum Sprechen. So fehlte die Aussage des Opfers. Der Vater, so die Anklage, soll beim Duschen 26 Mal im Intimbereich des Sohnes Handlungen vorgenommen haben, die der Gesetzgeber als Missbrauch von Schutzbefohlenen und Widerstandsunfähigen einstuft.

Opfer konnte nicht aussagen

Weil das Opfer nichts dazu sagen konnte, konnten vor Gericht entscheidende Fragen nicht geklärt werden: Hat der Sohn die Berührungen abgelehnt? Wie hat er sie wahrgenommen, als Übergriff oder Missbrauch? Hat er sich gewehrt? Will er, dass der Vater dafür bestraft wird? Oder steht er weiter loyal zum Vater? Dies alles aber spielte angesichts der Selbstanzeige des Angeklagten und seines Geständnisses eine untergeordnete Rolle.

Die Staatsanwältin betonte die starke Abhängigkeit des Sohnes. Er sei ein „besonders schutzwürdiges Opfer“. Die Übergriffe seien eingebettet gewesen in die notwendige Pflege durch den Vater, eine aktive Gegenwehr des jungen Mannes nicht zu erwarten. Der Angeklagte sei an seiner eigenen sexuellen Befriedigung interessiert gewesen. Deshalb habe sich der Vater des Missbrauchs Schutzbefohlener schuldig gemacht. Die Taten hatten begonnen, als das älteste von drei Kindern noch jünger als 18 Jahre gewesen war. Sie hätten das „Urvertrauen“ eines Kindes in die Eltern zerstört und „extreme Auswirkungen“ auf die gesamte Familie.

Verteidiger ist für Bewährungsstrafe

Der Verteidiger Achim Wizemann erklärte, bei einer Anzeige durch Dritte, ohne die Selbstanzeige des Angeklagten, wäre das Verfahren eingestellt worden. Die Frage, ob das Opfer den Missbrauch als solchen wahrgenommen habe, bleibe offen. Man wisse auch nicht, ob die Handlungen eventuell sogar einvernehmlich gewesen seien. Und vielleicht wolle der Sohn gar nicht, dass sein Vater bestraft wird. Jedenfalls sei der Angeklagte mit der Pflege völlig überfordert gewesen. Angesichts aller Umstände sei eine Haftstrafe zur Bewährung angemessen.

Der Angeklagte habe Gelegenheiten ausgenutzt, die Taten in ungestörten Momenten begangen – obwohl er „ansonsten ein guter Vater“ gewesen sei, sagte der Richter Ulrich Tormählen zum Urteil von zwei Jahren und neun Monaten. Er gab zu, „ohne das Geständnis wäre es nicht zur Verurteilung gekommen“. Aber eine Gefängnisstrafe zur Bewährung werde „dem Gesamtunrecht nicht gerecht“.